Wieso kommt mir diese Situation nur so bekannt vor?

Ich stehe an der Startlinie in Hahnenklee und blicke um mich. Teilweise lächelnde Gesichter, teilweise angespannte Gesichter. Und bekannte Gesichter! Neben mir steht die Frau, die letztes Jahr den zweiten Platz gemacht hat. Sie scheint einiges vor zu haben- jedenfalls flitzt sie direkt nach dem Start davon. Ich bleibe gelassen, heute soll ein ganz normaler Longrun werden. Keine Ambitionen, keine Erwartungen, kein Druck. Klar, gerne mit dem nötigen Motivations-Kick ein bisschen mehr aufs Gas zu drücken als sonst- ist eben doch ein Wettkampf ;-)

Also los geht es.

Wir laufen der Flitzefrau hinterher. Es sind noch einige andere Frauen vor uns und ich merke, dass ich so immer entspannter werde. Denn zugegebenermaßen ist ein gewisser Erwartungsdruck da gewesen: Letztes Jahr hatte ich hier ganz knapp die Frauenwertung gewonnen. Es war wirklich knapp gewesen und ich hatte ein enorm schlechtes Gewissen der 2. Frau gegenüber gehabt, weil ich sie circa bei km 38 noch überholt hatte. Bis dahin war sie durchgehend an der Spitze gewesen. Das tat mir echt Leid und so richtig wollte ich sie gar nicht überholen... Zum Glück hatte mir vorher noch ein Freund zugeflüstert: "Hanna, wenn du das Ding hier gewinnen kannst, dann gewinne es" - na gut, das habe ich dann also letztes Jahr auch getan. 

Danach habe ich mir geschworen:

NIE WIEDER MARATHON !!!

Ganz vielleicht kennt das der ein oder andere von euch? Noch nie gehört? Glaube ich nicht!!!
Aber ganz speziell habe ich mir vorgenommen NIE WIEDER DIESEN MARATHON zu laufen- die circa 1100 Höhenmeter sind einfach doch enorm herausfordernd und gerade das letzte Stück dieser Strecke hat mir letztes Jahr echt den Rest gegeben. Ok- wie ihr schon gelesen habt, ich stand trotzdem wieder am Start... etwas verrückt sind wir wohl Alle.

Der Lauf an sich war rund und erstaunlich entspannt. Da ich sowieso der Meinung war, dass da nichts zu holen war, lief ich eben zügig mein Tempo, aber auch nicht mehr. Ok, ein bisschen mehr schon- auf dem Stück bergab- weil ich dachte vieeeelleicht... habe ich doch eine klitzekleine Chance? 

Und die Chance sollte kommen...

Die Strecke führt die Läufer hügelig abwärts und die letzten 6 Kilometer geht es quasi nur noch steil bergauf. Das tut schon etwas weh- vor allem, wenn man eben am tiefsten Punkt angekommen ist. Das waren wir. Ich wusste, dass ich mittlerweile den 2. Platz sicher hatte- einige der anderen Läuferinnen hatten wir inmitten eines starken Regenschauers überholt und nun blieb nur noch eine Frau vor uns. Es war übrigens NICHT diejenige aus dem letzten Jahr- zum Glück! Das hätte ich nicht verkraftet ihr das anzutun.

Was dann aber passierte, konnte ich kaum glauben... Es wiederholte sich ein und dieselbe Situation vom letzten Jahr. Kilometer 38 beim letzten Checkpoint wurde uns die Auskunft gegeben, dass die erste Frau gerade vorbei war. Das kann doch wohl nicht wahr sein!

Ich hatte mich nun eingestellt auf gemütliche Auslauf-Kilometer, darauf, dass ich keinerlei Chance mehr habe. Und dann sowas? Jetzt musste ich ja quasi Gas geben. Oder die Hoffnung aufgeben? Einen Moment wusste ich gar nicht, ob ich überhaupt gewinnen wollte.

Wofür? Aber doch, wenigstens versuchen musste ich es natürlich. Zumindest an sie heranzulaufen.

Also los... Um die nächste Kurve - und da war sie auch schon! Sie geht! Sie läuft nicht, sondern sie geht. Kein Wunder bei dem steilen Berg. Mir war auch zu gehen zu Mute. Aber das war natürlich jetzt keine Option mehr. Langsam aber beständig trabten wir an ihr vorbei. Dabei nickten wir beide uns anerkennend zu und auch sie trabte immer wieder an. Und doch war es relativ eindeutig, dass ich nun gewinnen würde- diese letzten Kilometer waren wieder entscheidend gewesen und entscheidend auch sicherlich, dass ich die Strecke kannte und mir meine Kräfte relativ gut eingeteilt hatte. 

Das allerletzte Stück ist wirklich fies: Matschig, steinig, rutschig, nass. Aber es gehört eben dazu und der Zieleinlauf machte dann alles wieder gut. HANNAAAA höre ich schon eine Stimme rufen. Außerdem erwartete mich Malouna und mein wunderbarer Mann im Ziel - was gibt es Schöneres!? 

Ihr Lieben, aus gesundheitlichen Gründen habe ich in den letzten Wochen mein Laufpensum deutlich zurückgefahren. Wir werden euch selbstverständlich auf dem Laufenden halten, sobald es News gibt.

Lasst es euch gut gehen,

eure Hanna


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