Weil es heute mit dem 21.6.2016 ein erfreulicher Tag ist, werde ich einmal etwas über die Macken von Läufern und Läuferinnen schreiben. Ich möchte mit einem Berliner Marathonläufer beginnen, der mich tatsächlich fast vor Lachen umgehauen hätte.
Das genaue Jahr weiß ich nicht mehr, aber es war Anfang der 2000.-Jahre. Diese Geschichte ereignete sich im Rahmen des Berlin-Marathons. Nebenakteurin war eine Athletin von der damaligen LG Seesen, die ich im Rennen coachte.
Diese Läuferin befand sich gerade innerhalb ihrer Promotionsarbeit. Sie forschte über Eisenmangel bei Marathonläufern. Dazu wollte sie eine ziemlich große Anzahl von Läufern und Läuferinnen im Test nach dem Marathon untersuchen.
Das Ziel lag damals noch am Glockenturm mitten in der Stadt. In einer Seitenstraße gab es eine Tagesambulanz, in der die Doktorandin die hereinkommenden Läufer und Läuferinnen untersuchen konnte.
Ich half ihr etwas dabei und unterhielt mich mit den, den dort in den Betten liegenden Finishern. Es war eigentlich eine angenehme Atmosphäre in diesem Klinikraum, besonders weil jeder im weichen Bett liegen konnte.
Nur ganz hinten links lag ein relativ junger Mann von vielleicht 30 Jahren, der fürchterlich stöhnte. Ich fragte ihn, wie schnell er denn gelaufen sei. Es waren über vier Stunden, also Durchschnitt.
Ungefragt sagte er dann: „Gestern bin ich noch eine halbe Stunde schneller gelaufen, stöhn! Da ging es wirklich gut, aber heute ganz schlecht. Es war bestimmt zu warm“ Ich dachte, ich hätte mich verhört und fragte nach: „Aber doch wohl keinen Marathon?“ Doch antwortete er: „Ich musste doch wissen, ob ich die Strecke schaffe!"
Ich fragte abermals nach. Was ihn völlig verwunderte, dass ich ihm scheinbar nicht glauben wollte und so erhob er seine Stimme: „Wenn ich eine Klausur habe, dann gehe ich diese am Tag vorher auch noch einmal durch.“
So langsam hatten die Liegenden in dem Klinikraum diesen Disput mitbekommen und fingen an zu lachen. Sie hörten minutenlang nicht mehr auf. Auch ich hätte mich in die Betten werfen können, weil mir später der Bauch so weh tat. So musste ich dann den Raum verlassen, weil ich nicht mehr aufhören konnte zu lachen.
Ja, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Aber der arme Mann hatte wohl überhaupt keinen Zugang zu erfahrenen Läufern, von einem Trainer schon gar nicht zu sprechen.
Es gibt noch andere Ticks von Läufer und Läuferinnen, wobei wir uns doch zur Elite zählen. Denn in unserer Gruppierung herrscht oft die Meinung vor, dass wir nicht nur besonders leistungs- und gesundheitsorientiert sind, sondern uns auch besonders intelligent und rational verhalten.
Da ich nun schon fast 45 Jahre in dieser Gesellschaft der Läufer und Läuferinnen lebe und arbeite, möchte ich dir aufzeigen, dass wir auch nicht besser sind als alle anderen.
Da nimmt sich der Schreiber dieser Zeilen nicht aus. Es gibt auch in meinem Leben Fehlleistungen, an die ich mich aber nicht gerne erinnere. Aber sei es so, denn was man früher einmal falsch gemacht hat, ist heute nicht mehr zu reparieren. Aber gerne betrachten wir die Missetaten der anderen und lernen davon. Fangen wir mal an:
Du kennst ganz sicher in deiner Umgebung auch Läufer, die bei anstehenden Wettkämpfen ständig kurz vor dem Rennen ein Zipperlein haben und so nicht starten können. Es ist schier unglaublich, was sich manche so einfallen lassen, um den Druck des Wettkampfs zu entgehen.
Eigentlich ist das Ganze banal, wir kennen unsere Pappenheimer ja schon länger. Rücken, Grippe, Kopfschmerzen und vieles mehr lassen sich einige einfallen, um besonders bei einem Marathon nicht starten zu müssen.
Eine weitere Gruppe, die wir alle kennen, sind die Trainingsverrückten. Die immer eigene Ideen haben, scheinbar völligen Blödsinn trainieren und dennoch behaupten, dass sie die einzigen sind, die den wahren Weg zum Erfolg gefunden haben.
Vor langen Jahren hatten wir hier bei uns einen guten Läufer, der praktisch vor jedem Marathon erkrankte. Natürlich bekamen seine Mitläufer diese ganze Sache mit der Zeit mit und er wurde kräftig gehänselt.
Vor dem anstehenden 42,2 Kilometer-Wettkampf schwor er uns allen, dass er nun dieses Rennen mit aller Kraft und Gesundheit bestreiten würde. Wir waren gespannt. Tatsächlich in der letzten Woche vor der großen Tat keine Bauchschmerzen, Muskelkater oder auch Rückenprobleme.
Es war unfassbar, sollte er bis zum Start wirklich gesund bleiben? Am Sonnabendmorgen, einen Tag vor dem Rennen klingelt es und unser Hypochonder war am Telefon: "So ein Mist, ich kann morgen nicht laufen, ich habe schweres Zahnfleischbluten!"
Als ich ihn auslachte, stand er eine Viertelstunde später vor der Tür, um mir seine leicht gerötete Zahnbürste zu zeigen. Es war schwer einem Lachanfall zu entgehen. Wie auch immer, der Gute lief seinen Marathon nicht.
Läufer und Läuferinnen haben so ihre eigenen Ideen, um sich das Leben schwer zu machen. Ein Jugendlicher aus unserem Verein qualifizierte sich für die Europameisterschaft der Junioren in Birmingham/England für das Rennen über 20 Kilometer (nicht HM!).
Da meine Zeit knapp war, flog ich erst einen Tag vor dem Rennen zum Wettkampfort. So sah ich den Athleten erst kurz vor dem Start und als ich ihn fragte, was er dort im Rahmen der Junioren Nationalmannschaft in den letzten Tagen trainiert hatte, sagte er: "Gestern habe ich 30 mal 100 Meter gemacht, damit ich endlich mal etwas schneller werde."
Auf die Frage hin, ob er denn das in der Gemeinschaft mit den anderen Startern trainiert habe, antwortete er: "Das habe ich heimlich gemacht, damit es kein anderer sieht."
Mir entgleisten wohl die Gesichtszüge, ich war fassungslos. Denn so ein Programm war völlig neu für ihn. Das Resultat war, dass der Gute bei zehn Kilometer schon 50 Sekunden Rückstand auf das Feld hatte und schließlich als Vorletzter in das Ziel kam.
Das war eine Enttäuschung, die kaum zu beschreiben war. Es war nicht nur für den Trainer so, sondern auch für den Athleten. Er strich die Segel und hörte auf mit dem Leistungstraining.
Selbst heute ist mir nicht klar, warum dieser junge Mann sich derart verhalten hat. Er war alles andere als ein Mittelstreckler und muss einfach gewusst haben, dass so eine Einheit negative Spuren in seinem Körper hinterlassen würde.
Vielleicht hatte er auch einfach Angst vor diesem Rennen und suchte einen Ausweg, um sich bei einem schlechten Resultat entschuldigen zu können. Den Offiziellen vom DLV berichtete er, er habe Rückenschmerzen gehabt.
Belastend und nicht immer lustige Eifersüchteleien der Damen aus der damaligen LG Seesen, war wohl deren tägliches Seelenfutter. Zwischen denen herrschte ein permanenter Zickenguerillakrieg. Du wirst dich Fragen warum.
Die Antwort ist: Diese Kampfhandlungen fanden nur im Hinter- und Untergrund statt und alle behaupteten, dass sie bestens miteinander auskamen. Darum schweige ich jetzt auch an dieser Stelle, denn in mir lauert immer noch eine permanente Angst, dass mir irgendwann das eine oder andere Auge ausgekratzt wird.