Sei gewarnt, eventuell könnten die nachfolgenden Zeilen dich schockieren, vielleicht sogar abstoßen. Es geht in diesem Text um die Essenz des Laufens auf höchstem Niveau. Besonders wenn du deinen Sport nicht leistungsgemäß betreibst, wirst du wohl in Unverständnis den Kopf schütteln und denken: "Alles Spinner!"
Nachfolgend habe ich einen Abschnitt aus dem Buch "Cassidys Lauf" von John L. Parker eingefügt, welches ich gerade lese.Ich schreibe diese Zeilen aber nicht aus werbetechnischen Gründen, sondern um dir einmal nahe zu bringen, wie Spitzenläufer ticken.
Ich war selbst einmal so ein Typ wie Cassidy in diesem Buch, ohne je seine Klasse zu besitzen. Vielleicht wirst du mich dann auch besser verstehen, warum meine Texte in diesem Newsletter oft so fordernd wirken.
Im Vorfeld dieses Buchabschnitts denkt Cassidy nach über Rückschläge und Zweifel, dem Umgang damit und stellt fest, was ein richtiger Läufer ist:
"Die Ansichten der marginalen Freizeitläufer, der Laufphilosophen, der Trainingsratten interessierten ihn nicht – Leute die eifrige geschwollene Runner´s World Artikel lasen, immer wieder hohle Phrasen erfanden, um das Unbeschreibbare zu beschreiben und mystischen Schwachsinn verzapften über die verschiedenen Stadien der Euphorie, die nur Eingeweihten vorbehalten waren.
Männer wie Cassidy fegten solche Typen gnadenlos von der Bahn. Cassidy war nicht auf der Suche nach euphorischen Momenten. Sie kamen, wenn sie kamen, ganz von selbst, und er genoss sie in Stille. Er lief nicht aus verschrobenen, religiösen Überlegungen heraus, sondern um Rennen zu gewinnen, um so schnell wie möglich voranzukommen.
Nicht nur um besser zu sein als seine Artgenossen, sondern besser als er selbst. Um eine Zehntelsekunde schneller zu sein, einen Zentimeter, einen halben Meter, zwei Meter schneller als vor einer Woche oder vor einem Jahr. Er wollte die physischen Grenzen, die ihm die dreidimensionale Welt auferlegte, überwinden (und wenn Zeit die vierte Dimension war, dann fiel sie ebenfalls in sein Arbeitsgebiet).
Wenn er seine eigene Schwäche, seine eigene Faulheit überwinden konnte, brauchte er sich um den Rest keine Sorgen zu machen - der kam von selbst. Trainieren war ein Reinigungsritual, das Schnelligkeit brachte, Schnelligkeit und Kraft. Ein Rennen war ein Sterbensritual, ein Quell des Wissens. Sollten diese Rituale überhaupt Bedeutung erlangen, dann musste man eine gewisse Zeit am äußersten Rand zubringen, an dem Ort, wo man von einem kurz gemähten Rasen direkt über den Rand des Abgrunds blicken konnte, Auge in Auge mit dem absoluten Nichts.
Alles, was sonst bei diesem Prozess entsteht, ist ein Nebenprodukt. Manche Komplimente und Bemerkungen gaben Cassidy ein unwohles Gefühl. Dann erklärte er, dass er ein Läufer war. Nur ein Sportler, wirklich, mit einer absurd schweren Aufgabe. Er war kein Gesundheitsfreak, er war auch nicht auf einen stilvollen und schlanken Körper aus. Er lebte nicht von Nüssen und Beeren - wenn der Ofen heiß genug war, verbrannte man alles, auch Big Macs.
Er achtete auf die Signale, die sein Körper aussandte, und gab auch mal seltsamen Impulsen nach. Manchmal bekam er unheimliche Lust auf Artischockenherzen, saure Rüben, geräucherte Austern - wie eine schwangere Frau. Seine tägliche Arbeit war schwierig und im Großen und Ganzen gesehen befriedigend, aber von fröhlichem Herumtollen in der freien Natur, wie in den Zeitschriften geschrieben wurde, konnte nicht die Rede sein. Andere Läufer, richtige Läufer, verstanden dies nur allzu gut.
Quenton Cassidy wusste, was die mystischen Läufer, die Jogger, die Laufpoeten, die Zenläufer und andere solche Leute behaupteten. Aber er wusste auch, dass diese euphorischen Typen an dunklen, regnerischen Morgen meistens nirgendwo zu sehen waren. Sie redeten lieber darüber, als es wirklich zu tun. Cassidy hatte schon sehr früh begriffen, dass ein echter Läufer auch dann lief, wenn er keine Lust hatte, und bei einem Rennen startete, wenn ein Rennen auf dem Programm stand, ohne Ausreden und ohne angezogene Handbremse. Er lief, um zu gewinnen, und wenn er dabei tot umfiel.
Er konnte wenig mit Leuten anfangen, die diese niedere Form von Motivation ablehnten. Keiner hat das Recht, etwas zu verurteilen, das er noch nie besessen hat, dachte er. Der wahre Wettkampfläufer schmorte in seinem eigenen existentiellen Saft und ertrug seine Melancholie auf die einzige Weise, die er kannte: sachte, zusammen mit einigen anderen die auch darunter litten, aber dennoch allein. Er lief, weil es ihn mit seinem Innersten verband. Es war das Leben, und es war der Tod. Es wurde nicht durch Medienhypes besudelt, auch nicht durch triviale Sorgen oder politisches Geklüngel.
Er vermutete, dass es ihn vor der ausgeprägten Variante von Schizophrenie beschützte, die zu dieser Zeit im Lande üppig gedieh. Laufen war etwas sehr Wesentliches für ihn, und die Art und Weise, mit der er sich damit auseinandersetzte, war das Wesentlichste, das er kannte. Laufen war Freude und Verdruss. Knallhart. Es saugte ihn so sehr aus, es gab dafür keine Worte. Aber es machte ihn auch frei."
Besonders der hier wiederholte Absatz hatte es mir angetan: "Aber er wusste auch, dass diese euphorischen Typen an dunklen, regnerischen Morgen meistens nirgendwo zu sehen waren. Sie redeten lieber darüber, als es wirklich zu tun. Cassidy hatte schon sehr früh begriffen, dass ein echter Läufer auch dann lief, wenn er keine Lust hatte und bei einem Rennen startete, wenn ein Rennen auf dem Programm stand, ohne Ausreden und ohne angezogene Handbremse."
Kannst du dir vorstellen, wie oft ich zu unmöglichen Zeiten, Orten und Bedingungen trainiert habe? Du wirst es kaum erahnen: Am Heiligen Abend 1 h vor der Bescherung im Schnee oder bei Gewitter auf einem 2200 m hohen Grat in den Alpen und bei 23 Grad minus im Schneesturm. Ich könnte noch viele Unmöglichkeiten mehr aufzählen, dieser ganze Irrsinn würde aber den Rahmen dieses Artikels sprengen. Und was denkst du, wie viel Läufer oder Läuferinnen ich zu diesen Zeitpunkten und Orten traf? Niemand, auch nicht einen einzigen Vertreter unserer Zunft.
Doch einmal passierte etwas von fast mystischer Bedeutung. Ich weilte als Trainer mit der Jugendlichen Ines Cronjäger in Hanau anlässlich einer Deutschen Hallenmeisterschaft. Das Mädchen war über 1500 m gemeldet und dieses Rennen sollte nur etwas Abwechslung in das Wintertraining bringen. So hatten wir auch kein Hotel gebucht, denn ich erwartete, dass sie den Vorlauf nicht überstehen würde.
Aber gefehlt, sie kam in den Endlauf und der fand am nächsten Nachmittag statt. Nun galt es ein Hotel zu suchen. Frankfurt war nicht weit und dort gab es in Hofheim eine kleine Pension, die wir schon beim damaligen Hoechst-Marathon nutzten.
Wir konnten dort übernachten und am nächsten Morgen wollte ich dann selbst auch einige km laufen. Aber wohin? Es war glaube ich im Februar, ein kalter Morgen, Nieselregen und stark dunstig. Ein richtig ekeliges Laufwetter. In der Ferne konnte ich die Umrisse einiger Berge erkennen, das konnten nur die Hügel des Taunus sein.
So dachte ich, du kennst den Weg zwar nicht, aber den Taunus kannst du nicht verfehlen und ab ging es. Bald hatte ich den Fuß der Berge erreicht und schraubte mich im Wald nach oben. Keine Menschenseele war unterwegs, durch die tiefhängenden Wolken war es auch noch ziemlich dunkel. Nach dem ich auf einem Höhenweg so 10 -15 km gelaufen war, tauchte mir entgegenkommend ein Schatten aus dem Nebel auf. Ein Läufer und es war sofort zu erkennen, dass es auch ein guter war.
Noch nicht nahe genug um ihn zu erkennen, hatte ich das Gefühl, dass mir sein Laufstil bekannt vorkam. Als wir uns soweit genähert hatten um körperliche Details zu erfassen, erschraken wir beide. Mein Gegenüber nahm eine Haltung an als ob er gerade einen Geist erblickt hätte und sprudelte los: "Mensch Peter, was machst du denn bei diesem Sauwetter auf meiner Trainingsstrecke? So etwas gibt es doch gar nicht, du kannst einfach nicht hier sein."
Der Läufer, den ich unter diesen so unwirtlichen Umständen traf, war Dr. Dr. Lutz Aderhold, damals einer der besten deutschen Ultraläufer mit einem persönlichen Rekord von 6:46 h. Lutz war schon lange Jahre Greif Club-Mitglied und trainierte fleißig nach meinen Plänen. Er versuchte sich auch im Marathon, scheiterte aber immer wieder an einer Zeit von unter 2:30 h, obwohl alle seine Trainingsleistungen es erwarten ließen.
Nachdem ich Lutz erklären konnte, wie es mich in sein Revier verschlagen hatte, konnte er sich immer noch nicht beruhigen und sagte: "Peter, das ist ein Zeichen Gottes. Im nächsten Marathon laufe ich unter 2:30 h." Ja, Lutz hielt Wort und schaffte im nächsten 42,2 km-Rennen eine 2:29:27 h.
Lutz war auch einer von den "richtigen Läufern", die sich nichts schenkten. Hätte er nicht an diesem so wetterwiderlichen Morgen trainiert, wäre es auch nicht zu unserer so völlig unerwarteten Begegnung gekommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese seine Blockade zum Überschreiten der imaginären 2:30-Mauer beseitigte.
Blockaden brechen ist wichtig, aber für ihn, für dich und mich galt und gilt: Du musst brennen, wenn du siegen willst. Dann hast du auch keine Problem mit deiner Ernährung, denn von Cassidy wurde berichte: "Er lebte nicht von Nüssen und Beeren - wenn der Ofen heiß genug war, verbrannte man alles, auch Big Macs."
Und noch eines fand ich in seinem Buch (dafür wird mir Uli Strunz bestimmt die Freundschaft kündigen): "Eigentlich war es nur gut, wenn nicht alles auf dem silbernen Tablett serviert wurde. Nur einige wenige vermerkten, wie herrlich, erlösend und erquickend es sein konnte, einfach nach dem Training stehen zu bleiben. Wenn man sich genau vorstellen konnte, wie es war in der Wüste zu verdursten – wenn das erste Bier sich überhaupt nicht flüssig anfühlte, sondern nur wie ein wundervolles Feuer in der Kehle brannte."
Ich kann dir versprechen, dass du dieses "wundervolle Feuer" niemals brennen spürst, wenn du bei jedem 15-er Trainingslauf mit einem dieser albernen Trinkflaschen los rennst. Den tragen nämlich "richtige Läufer" nur bei richtigen Extrembedingungen. Und wenn du einer von denen werden willst, dann lies das Buch "Cassidys Lauf", es wird dir die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen des Laufens näher bringen.
Egal wie alt oder jung du bist, wie schnell du laufen kannst und wie wenig Zeit du hast. Du hast deine Chance ein "richtiger Läufer" zu werden, wenn du denn nur willst. Schreite zur Tat: Lege deine Ziele fest, erhöhe die Anzahl deiner Trainingstage, nimm dir fest vor alle deine Holgers mit Niederlagen zu überschwemmen und kündige deiner Familie an, dass es ab sofort zur Sache geht. Vergiss dabei aber nicht loszulaufen!!