Ärger war der Antrieb, warum ich 1986 den Marathonplan "Count-Down zur Bestzeit" schrieb. Zu dieser Zeit gab es auch schon andere Pläne, mit denen man sich auf einen Marathon vorbereiten konnte, aber die waren nur auf Spitzensportler ausgelegt.
Es gab kaum Hinweise, wie sich denn engagierte langsamere Läufer(innen) nach oben arbeiten konnten. Alles lief nach dem Motto ab: Für die schnellen Leute das gute Training und für die langsamen da schlechte Training.
Und das ärgerte mich ungemein und so wurden Erfahrung und Wissen zusammengerafft und ich schrieb den oben erwähnten Plan. Es war einfach das, was wir hier in Seesen trainierten. Burkhard Swaras Zeitschrift "Marathon aktuell" veröffentlicht den "Count Down".
Darauf brach ein Boom aus, der unglaublich war. Erstmals hatten auch langsamere Läufer eine Trainingsanleitung, mit der sie sich der Spitze nähern konnten. Wobei meine Gedanken für einen langsamen Läufer etwa bei 3:15 h endeten. (Bitte nicht schimpfen, das war damals so)
Obwohl ich davor warnte, sich nicht an diesen Plan zu wagen, wenn man über die Marathonstrecke deutlich langsamer war als 3:15 h, versuchte sich die ganze deutsche und auch internationale Läuferwelt an diesem Plan. Egal wie schnell oder langsam jemand war, der "Count Down" wurde ausprobiert.
Das Kernstück dieses Plans war der 35 km-Lauf am Wochenende. Der nicht von mir, sondern von Lydiard stammte. Und diesen langen Lauf waren viele nicht gewohnt und probierten dennoch diesen Plan aus. Dass sich einige davon natürlich damit die Beine krumm trainierten, lag in der Natur der Sache.
Aber die neidische und gehässige Konkurrenz trötet in den Läuferwald: "Greif trainiert euch kaputt. 25, maximal 30 km sind das höchste der Gefühle im Marathontraining. Ich bekam Schreiben in Massen:
Die Schreiber setzten sich häufig mit der 35 km-Einheit auseinander. Sie waren erstaunt, das man so lange laufen müsse, denn "überall" steht doch nur etwas von "nicht länger als 30 km". Jemand schrieb: "Ich bin völlig erstaunt über die Forderung nach so einer langen Trainingsstrecke, 35 km kann man doch gar nicht laufen, danach dauert die Regeneration viel zu lange. Dieser Meinung sind alle, mit denen ich laufe."
Ich schrieb ihm zurück: "Leider hast du die falsche Gruppe erwischt, hier bei uns in Seesen würde man dich trösten: "Drei mal musst du dich fürchterlich quälen, um die 35 zu schaffen, dann bist du durch und alles wird leichter!" Was so eine Gruppe ausmacht, zeigt sich bei unserem Lauftreff. Die kämen niemals auf die Idee, keine 35 km in ihrer Marathonvorbereitung zu laufen. Denn alle mit denen sie trainieren, sagen ja ...!
Was dabei herauskommt, wenn die die oben beschriebenen Trainings-Prinzipien anwenden, kannst du auf der ewigen Marathon-Bestenliste der LG/MTV Seesen sehen, deren Trainer ich seit 30 Jahren bin. Du wirst dich vielleicht wundern, dass dort ganz aktuelle Zeiten fast fehlen. Das liegt unter anderem daran, dass ich meine Aktivitäten für dieses Ehrenamt in den letzten Jahren sehr eingeschränkt habe, bzw. aus Zeitgründen einschränken musste.
Kritiker der langen 35 km-Einheit in der Marathonvorbereitung werfen mir vor, dass die Dauer dieses Trainings bis an vier Stunden viel zu lang ist, es wären orthopädische Schäden zu befürchten. Das ist ein ziemlich blamabler Vorwurf! Werden denn für die über 4 h-Läufer(innen) die 42,2 km im Wettkampf kürzer, wenn die nur 30 km im Training laufen? Mitnichten, an diesem Tag laufen sie 40% weiter als bei ihrer längsten Einheit.
Die Gefahr steckt nicht im Training, sondern im Wettkampf, denn dort gibt es verständlicherweise genug Menschen, die unter allen Umständen ihren Marathon beenden wollen, egal wie die Knochen, Muskeln und Sehnen auch schmerzen. Und je weniger sich diese Personen an die lange Strecke gewöhnt haben, desto größer werden ihre orthopädischen und muskulären Schäden sein, von denen am Immunsystem gar nicht zu reden.
Aber die 35 km haben sich längst durchgesetzt und auch die von mir erfundene strukturierte Endbeschleunigung im Marathontraining nutzt heute fast die ganze Welt. Obwohl mich 1988 ein führender Bundestrainer für diese Idee fast "lynchen" wollte.
Nun sind aber schon lange Jahre vergangen und die internationalen Rekorde sind geschrumpft wie Pflaumen in der Sonne und die deutschen Spitzen-Marathon-Läufer sind in der Versenkung verschwunden.
Ich unterstelle denen nicht, dass sie keine 35 km-Läufe absolvieren, aber es gibt einfach einen Unterbau, der es an Fleiß missen lässt. Ihre nationale Stellung wird kaum bedroht. In den Acht- und Neunzigern konnte sich niemand eine Schwäche erlauben, denn dann wurde er nach hinten durchgereicht.
Aber wenn heute schon mittlere Marathons mit Zeiten von über 2:30 h gewonnen werden, dann wissen wir wo wir stehen. Mit solchen Leistungen wäre so ein Sieger Mitte der Achtziger bei einer Vereinsmeisterschaft der LG Seesen maximal auf den 6. Platz gekommen.
Wie hart wir damals mit uns auch untereinander umgegangen sind, mag man der Person von Dieter Schädlich fest machen. Der trainierte in der Marathonvorbereitung auch an die 200 km/Woche und wir lachten ihn aus, dass er mit einer 2:33 h nicht einmal unter die 2:30 h kam. Aber Dieter war zu dieser Zeit schon über 50 Jahre alt.
Und es gibt immer noch Trainer, die geifern in meine Richtung: "30 km sind genug!" Ja, vielleicht wissen sie auch nicht was die Weltspitze so trainiert. Heute ist nämlich Überdistanz angesagt, das heißt Trainingsläufe über 42 km.
Haile Gebrselassie läuft zweimal in der Woche 50 km. Einmal in einem Stück und die anderen aufgeteilt in etwa 35 und 15 km. Und dies bei einer Gesamtbelastung von 250 - 300 km in der Woche.
Du kannst sicher sein, dass die "Jungen Wilden",die ihn jetzt schon schlagen, noch mehr und länger laufen. Aber unsere nationale Szene verharrt in der Erstarrung. Diese Belastungen können und wollen sie anscheinend nicht eingehen.
Es liegt aber bei den deutschen Läufern wohl auch an der mangelnden Unterstützung durch Sponsoren. Früher stellten Großfirmen mit eigenen Leichtathletikabteilungen Leistungssportler ein, zahlten sie voll und gaben sie halbtags zum Training frei.
Beispielhaft waren Quelle Fürth und Bayer Leverkusen. So konnten sie trainieren ähnlich wie die Profis. In der damaligen DDR waren alle Spitzenläufer Staatsprofis und schon bei denen gehörte damals ein 50 km-Lauf einmal in der Woche zum guten Ton, genauso wie das dreimalige tägliche Training.
Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Keine schnelleren Läufer, keine Sponsoren. Keine Sponsoren,noch langsamere Läufer. Dieses Problem müssen wir zuerst lösen. Das mit dem Training kommt dnn von allein.
Insgesamt müssen wir festhalten: Mit einmal 35 km wöchentlich kannst du den Abstieg von Deutschlands Elite nicht mehr aufhalten. Nun frage ich mich als Trainer aber, ob auch wir in unseren Greif-Club-Trainingsplänen die Normen erhöhen müssen?
Bekannt ist, dass eine hohe Anzahl von Autoren und Trainern meinen Vorschlägen über das Marathontraining gefolgt sind (obwohl sie das nie zugeben). Aber wenn du einmal genau hinhörst und liest, dann weißt du Bescheid.
Würde ich nun in den Plänen die längste Strecke auf 40 km erhöhen, dann würden die Joggingtrainer abermals ganze Breitseiten von Schuldvorwürfen und Verrückterklärungen auf mich abfeuern und noch mehr Verunsicherung in der Szene der Anfänger verbreiten.
Das stört mich natürlich nicht, aber ich frage mich: Kann ein arbeitender Mensch es überhaupt aushalten, jede Woche 40 km oder mehr zu laufen?
Wir haben hier im Harz das alles schon einmal ausprobiert. Leider war es so, dass wir nach einem 41 km-Lauf am Samstag, am Montag noch nicht wieder fit genug zu einem Tempolauf waren. Wir gaben diese Art von langen Lauf auf und kehrten zu den 35 km zurück.
Heute frage ich mich, ob wir zu früh aufgegeben haben. Soweit ich mich erinnere,sind wir dreimal die 41 km gelaufen. Hätten wir es vielleicht sechsm al gemacht, wäre eine Gewöhnung eingetreten und das Tempo am Montag hätte wieder gestimmt.
Weiterhin haben zwei sehr gute Läufer aus dem Greif Club, die auch einen vollen Arbeitstag hatten, mit den 40 km-Läufen versucht. Beide sind schmählich gescheitert.
Aktuell weiß ich zumindest von einem Läufer aus unserer Gemeinschaft, der unter gleichen Umständen an jedem Wochenende mindestens 40 km läuft, sich aber nicht mehr weiter entwickelt, was wohl auch seinem schon fortgeschrittenen Alter geschuldet ist.
Ich möchte deine Meinung zu diesen Ausführungen kennen lernen. Bitte diskutiere doch einmal auf unserer Facebookseite über dieses Problem mit anderen.