Im letzten Newsletter hatten wir schon einmal das Thema Talent und Leistungsentwicklung angesprochen. Nachfolgend werde ich noch einmal die positiven Voraussetzungen behandeln, die eine Rolle spielen bei deiner sportlichen Entwicklung. Wie schon erwähnt, ist dein ewig währender Focus beim Beginn einer sportliche Karriere, dein Startpunkt oder besser Startraum.
Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob du schon als Kind Leichtathletik betrieben hast, jetzt zum Beispiel 25 Jahre alt und schlank bist, zudem auch noch einen körperlich wenig anstrengenden Beruf hast oder vielleicht schon 48 bist, übergewichtig, niemals vorher Sport getrieben und einen körperlich oder geistig stressigen Job hast. Du lebst also in einem individuellen Startraum, den du durch Training verlassen möchtest.
Und diesen Startraum darfst du in der Betrachtung deiner sportlichen Entwicklung niemals aus den Augen verlieren. Denn er zeigt dir immer wieder woher du kommst und wo du nach einem Zeitraum bist. Du, eventuell übergewichtig, relativ unsportlich und schon im 5. Lebensjahrzehnt, darfst dich nicht mit dem jungen Mittelstreckler vergleichen, der sich zum selben Zeitpunkt mit dir auf den Weg macht, um einen Marathon laufen zu können. Sonst wirst du niemals glücklich mit deiner sportlichen Leistung.
Vergleiche deine läuferische Entwicklung immer nur mit dir selbst und nicht mit anderen.
Du kannst Analogien auch aus dem normalen Leben ziehen. Wenn jemand auf dem Land aus einfachsten Verhältnissen kommt, schon früh mitarbeiten musste und kaum Zeit für die Schule aufbringen konnte, sich über eine Lehre zum Meister und schließlich zum Leiter eines kleinen Handwerkbetriebs entwickelt, dann ist das schon eine bewundernswerte Leistung.
Wenn aber der Millionärssohn, der im Internat geschult wurde, im Ausland zwei Sprachen lernte, zwei Instrumente spielt, von den Eltern unterstützt einen gleich großen Handwerksbetrieb am Ende seiner Schaffensphase aufgebaut hat, dann ist das zwar auch ganz hübsch, aber den Hut braucht man vor diesem Menschen nicht zu ziehen. Der hat es einfach nur leicht gehabt.
Und wenn der junge Mittelstreckler von oben mit seiner langjährigen leichtathletischen Entwicklung eine 2:57 h im Marathon läuft, dann ist das wahrlich nur zum Gähnen. Erreicht aber der fette, früher unsportliche, gestresste 48-jährige das Gleiche, dann klopfen wir ihm alle bewundernd auf die Schultern. Und er kann das auch bei sich selbst tun.
Also: Sei stolz auf das, was du dir selbst erarbeitet hast. Über das, was dir dein Schöpfer und deine Erzeuger mitgegeben haben, solltest du dankbar sein, aber Stolz kommt wo ander her.
Nun aber weiter zu den Talenten. Du wirst sicher erwarten, dass ich hier zuerst etwas über Schnelligkeit, Ausdauer oder Muskelzusammensetzung schreibe. Nein, das werde ich nicht. Als langjähriger Trainer weiß ich ganz genau, dass das wichtigste Talent der Wille zur Leistung ist.
Oft genug musste ich erleben, dass die größten "Talente" uninspiriert dahin schlappten und die "Traktoren" sich das gespaltene Ding bis zum Hals aufrissen, nur um eine sec über 5000 m schneller zu sein. Warum die "Talente" nach einiger Zeit keine Inspiration mehr hatten, erklärten sie mir später in ähnlichen Worten: "Als ich anfing zu laufen, da konnte ich alles bei uns im Bezirk locker schlagen, im Land war ich auch ganz vorn und bei der Deutschen lief ich in der Spitze mit. Aber bald wurde mir klar, dass es international niemals reichen würde. Und da hatte ich nicht mehr die richtige Lust zum Training. Wenn man jung ist, dann träumt man halt vom Olympiasieg."
Im Gegensatz dazu der "Traktor" kräftig, ausdauernd, aber langsam. Der träumt eventuell davon einmal einen Halbmarathon unter 1:30 h zu laufen oder seinen Holger zu "zersägen". Der hat immer realistische Ziele und ständig Grund zur Freude, weil er wieder eines erreicht hat. Und das ist Läuferglück in purer Form. Und dieses kann man erleben, egal aus welchem Startraum man kommt.
Ich kann dir versichern, bei den "Traktoren" habe ich schon Typen erlebt, gegen die war ein Kampfterrier ein Schoßhündchen und die sind immer weit gekommen. Wenn ich mich an Peter Schmolcke, genannt Schmolli, erinnere, dann kann ich nur mit Ehrfurcht zurück schauen. Schmolli war ein wahres Kampfferkel. Er lief in einem so versauten Stil, welcher jeden Fachmann erschauern lies.
Schief, krumm und sich windend, rannte er seine Gegner in Grund und Boden. Als er 32 Jahre alt war, fragte ihn zu seiner Empörung jemand im Rennen: "Bist du auch schon M50?" Aber er ließ sich nicht unterkriegen. Wenn man an dem vorbei war, dann war er noch lange nicht geschlagen. Jeder hatte Respekt vor ihm und Angst, dass er sich im wahrsten Sinne des Wortes hinten festbeißen würde. Einige von denen, die mit Schmolli noch die Straße und Bahn teilten, behaupten, sie hätten heute noch die Zahnabdrücke von ihm auf ihrem verlängerten Rücken.
In diesem Sinne war Peter Schmolke das größte Willenstalent, welches ich in meiner nun schon über 40-jährigen Laufbahn als Trainer und Läufer erlebt habe. Sein persönlicher Marathonrekord von 2:31:05, gelaufen 1984, belegt das recht deutlich.
Schmolli war der männliche Gegenentwurf zu der talentiertesten Frau, die jemals in unserem Verein trainierte. Diese erreichte zwar auch eine starke 2:38 h über die 42,2 km, aber Talent hatte sie für eine 2:20 h. Sie war so eine (Entschuldigung) Schissertante, das war kaum zu ertragen. Diese Läuferin hätte alles gewinnen können. Aber ihr fehlte das Talent, an sich zu glauben, sich klare Ziele zu setzen und ihr Leben leistungssportlich auszurichten.
Und immer wenn du an dir selbst zweifelst, ob du denn genug Talent hast um deine Ziele erreichen zu können, dann denke daran, dass das wichtigste Talent dein Wille zur Leistung ist. Und dies bezieht sich nicht nur auf den sportlichen Rahmen, der zieht sich durch dein ganzes Leben hin.
Nun aber zu den Talenten, die dir bei Geburt mit gegeben sind. Dabei ist wohl das wichtigste die Verteilung der Muskelfasern. Wir unterscheiden grob schnell zuckende (weiße) und langsam zuckende (rote) Muskelfasern, aber diese verteilen sich auf verschiedene Unterarten. Hierzu möchte ich aus einem Artikel aus "Sport und Training" zitieren, der die ganzen Umstände gut und knapp beschreibt:
"Die unterschiedlichen Muskelfasern
Die Leistung eines Sportlers unter Stress und die Erschöpfung, die daraus resultiert, hängt besonders von seinen körperlichen Gegebenheiten und Voraussetzungen ab. Es gibt 5 Arten von Muskelfasern, wovon 3 in den "arbeitenden" Muskeln vorkommen (die anderen beiden befinden sich im Herzmuskel und in den "weichen" Muskeln, wie im Magen und im Darm).
Die 3 Arten der Muskelfasern sind:
- langsame Muskelfasern (ST)
- schnelle Muskelfasern (FT), glykolytisch
- schnelle Muskelfasern, oxidativ
Langsame Muskelfasern bevorzugen eine Energiezufuhr aus dem aeroben Bereich. Wie der Name schon vermuten lässt, ziehen sie sich nicht schnell zusammen, sind aber in der Lage, lange zu arbeiten, bevor sie ermüden. Sie sind reich durchblutet, damit sie mit dem notwendigen Sauerstoff versorgt werden können. Die Fasern an sich sind sehr klein.
Schnelle oxidative Muskelfasern sind länger als die langsamen Fasern, und sie können ihre Energie sowohl aerob als auch anaerob generieren. Sie ziehen sich wesentlich schneller zusammen als die langsamen Fasern.
Die schnellen glykolytischen Fasern sind die längsten Fasern. Sie bevorzugen die anaerobe Energiegewinnung, wobei sie Glykogen nutzen, und sind vor allem für die Geschwindigkeit zuständig.
Man sagt, dass man zum Sprinter geboren wird, und das stimmt auch insoweit, dass die Beinmuskulatur eines erfolgreichen Sprinters hauptsächlich (zu 75–80 %) aus schnellen Muskelfasern besteht, während ein Marathonläufer die gleiche Menge langsamer Fasern aufweist.
Der Fasertyp kann durch Training beeinflusst werden. Mittelstreckenläufer, die schnelle und langsame Fasern in gleicher Anzahl besitzen, können ihre Muskeln so modifizieren, dass sie entweder zum Langstreckenläufer oder zum Sprinter werden können.
Ein Forscherteam, das mit Langstreckenläufern zusammenarbeitete, fand heraus, dass nach einem 18-wöchigen Ausdauertraining die Muskeln zu 69 % aus langsamen und zu 31 % aus schnellen Fasern bestanden. Danach absolvierte dieselbe Gruppe ein 11-wöchiges Sprinttraining und danach hatte sich die Verteilung zu 52 % langsamen Fasern und 48 % schnellen Fasern verändert."
Auch hier zeigt sich, dass nicht allein wichtig ist, was du von zu Haus aus mitbekommen hast, sondern wie du trainierst und welchen Willen du hast, deine Talente von der einen Seite auf die andere zu schieben.
Darum beneide nicht die scheinbaren Talente der anderen, sondern arbeite an dir, um das Beste aus dir zu machen.
Später noch mehr von den Talenten.