Vor einigen Tagen führte ich ein Telefongespräch mit einem Greif-Club-Mitglied, welches hörbar unzufrieden mit sich und seinen Leistungen war. "Ich kann das alles nicht verstehen, ich trainiere nun schon nach Plan, komme auch weiter, aber andere entwickeln sich viel schneller. Wir haben bei uns im Lauftreff ein paar Leute, die trainieren im Winter kaum und wenn die dann im Frühjahr loslegen, sind sie ruckzuck bei 42 min/10 km.
Und ich trainiere den ganzen Winter wie ein Blöder, lasse mich auslachen und verhöhnen, komme meinem Ziel von einer Zeit von unter 42 min/10 km aber nur ganz langsam näher. Vielleicht liegt es ja auch an dem Trainingsplan von dir. Alle anderen bei uns trainieren ohne Plan und weniger als ich und kommen doch im Frühjahr wieder ganz schnell auf ihre Vorjahresleistungen."
Auf meine Frage, ob sich diese Läufer denn nun auch in jedem Jahr weiter entwickeln, beantwortet der Anrufer: "Nein, die laufen jedes Jahr so ungefähr das gleiche und auch das ganze Jahr über. Die sind wirklich Klasse".In diesen letzten Zeilen steckt eigentlich schon die ganze Erklärung des Dilemmas dieses Läufers. Er entwickelt sich zwar, aber nur langsam, trotzdem ist er unzufrieden, weil andere ohne Plan und mit weniger Training schneller laufen als er. Woran mag das nur liegen? Die Antwort liegt auch und zwar auf der Hand.
Sie lautet: Wir Menschen sind nun einmal mit unterschiedlichen Talenten ausgestattet. Talent allein ist schon die Körperform. Ein Teil machen schon lange schlanke Beine aus, die bei vergleichbaren anderen Veranlagungen schneller laufen als kurze dicke Stummelbeine. Wie und wo unsere Talente verborgen sind, dazu kommen wir später.
Erst einmal sollten wir uns Gedanken machen darüber, wie man seine eigene Entwicklung betrachtet. Es ist eine Binsenweisheit, dass wir alle mit unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet sind. Das dies so ist, sichert unser Überleben auf der Erde. Wir brauchen unseren Nachbarn, wenn der Talente hat, über die wir selbst nicht verfügen.
Ein Beispiel aus dem Ballsport macht das klar. Dort heißt es: Goalgetter und Goalsetter sind gleich wertvoll. Das heißt der Torvollender und der Torvorbereiter sind gleich wichtig. Beide haben unterschiedliche Talente und ergänzen sich aber ideal.
Wie ist es nun aber bei uns Läufer(innen)! Wir sind doch allein, wir können uns doch nur ganz selten ergänzen. Ja, das ist so, aber dennoch spielen die unterschiedlichen Fähigkeiten bei uns auch eine wichtige Rolle, auch wenn wir neben einander herlaufen.
Jeder von uns kennt jemand, der oft große Schwierigkeiten hat im Training und Rennen ein Gruppentempo zu halten, dann aber im Endkampf mit schnellen Beinen davon sprintet. Manchmal ist man darüber so sauer, dass man am liebsten in die Straße beißen möchte. Hilft aber alles nichts, dieser Typ hat einfach ein Talent dazu.
Ich erinnere mich an jemand aus unserer Trainingsgruppe, der sehr unbeliebt war. Nennen wir ihn mal Franz. Mit jedem/r hatte er Streit, weil er ständig versuchte sich Vorteile im Gruppentraining und auch im Rennen zu verschaffen. Mal ging es nach vorne, um das Tempo zu verschleppen, ein anderes Mal dann wieder schob er auf der Bahn von außen, so dass seine Konkurrenten oft im Innenraum landeten. Dieser Mensch war sich auch nicht zu schade, Anfänger zu jedem möglichen Zeitpunkt zu übersprinten.
Das war nämlich das, was er konnte, sprinten. Kurz vor dem Ziel ging Franz ab wie die berühmte "Schmitzkatze" und lachte hämisch im Ziel. Auch mich hat dieser Typ oft genug geärgert, obwohl er eigentlich ein umgänglicher Mensch war. Trainierten wir beide allein, kamen wir gut miteinander aus. Aber in der Gruppe drehte Franz regelmäßig durch. Und alle, die in etwa in seiner Leistungsklasse liefen, hätten ihn liebend gerne einmal mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Ging aber nicht, wenn gespurtet wurde "zersägte" er uns.
So überlegte ich, ob man den Spieß nicht einmal umdrehen könnte. So dachte ich: "Wenn du Sack am Ende so sprinten kannst, dann liegt das an deinem Talent, weil du nämlich eine Menge mehr schnellkräftige Fasern hast als ich. Das bedeutet aber auch, das du aufgrund deiner Faserstruktur durch deinen Sprint erheblich mehr Laktat bilden und auch ertragen kannst. Am Ende im Ziel macht dir das nicht viel aus, denn dann ist das Training vorbei.
Aber wenn du innerhalb des Trainings eine Tempoverschärfung ertragen musst, dann kommst du zwar weiter mit, musst deine hohe Milchsäurelast aber weiter mit dir schleppen. Und das wird dich auf Dauer fertig machen. Denn weil das Tempo hoch bleibt, hast du kaum die Möglichkeit deine Ermüdungsstoffe abzubauen."
Und so habe ich es dann gemacht. Ich erinnere mich noch mit großer Freude daran. Wir liefen im Tempodauerlauftempo auf der so genannten Sternplatzrunde. Ein Höhenweg mit mehreren Steigungen. Franz immer hinter mir im Windschatten - er machte niemals Tempo.
Nach der Hälfte der Strecke zog ich an einer leichten Steigung das Tempo an. Ich dachte zwar mir platzen die Beinmuskeln und mir war auch klar, dass ich dieses Tempo nicht lange laufen könnte.
Genau so war ich mir sicher, dass Franz es auch nicht konnte. Er hatte sich diesen Temposprung mit wesentlich höheren Säuregehalten im Blut erkaufen müssen als ich, denn seine schnellkräftigen Fasern bilden mehr davon, als meine vermehrt vorliegenen Ausdauerfasern.
Natürlich hielt ich das hohe Tempo nicht lange durch und schaltete wieder ein Gang runter. Franz lief unbeeindruckt weiter mit. So wie ich mich einigermaßen erholt hatte, zog ich das Tempo wieder hoch. Nun fing Franz an zu murmeln, den Sinn verstand ich nicht, ahnte aber schon schadenfroh um was es ging. Danach wieder Tempo runter.
Kurze Erholung und abermals die Geschwindigkeit nach oben ziehen war kein Problem, denn ich wusste ganz genau: Gleich platzt er oder du! Wieder lief ich etwas langsamer und trat dann noch einmal an, diesmal mit etwas mehr Risiko und dann geschah es: Eine Explosion von Flüchen in meinem Rücken. Franz bekam einen mittleren Tobsuchtsanfall und ging fast. Unbeeindruckt lief ich wieder etwas langsamer weiter. Aber innerlich jubelte alles und lachte. Dies war die Rache für die vielen verlorenen Sprintduelle gegen Franz.
Als ich schon am Auslaufen war, kam Franz in das Ziel. Fast kriechend, aber er hatte noch genug Kraft mich übelst zu beschimpfen. Das Wort unfair gebrauchte er mindestens fünfmal. War es wohl auch, aber es hat geholfen. Er war mir gegenüber dann immer sehr vorsichtig und reizte mich auch innerhalb der Gruppe nicht mehr. Wir hatten dann eigentlich über Jahre ein gutes und entspanntes Verhältnis miteinander.
Aber gegen die anderen Mitläufer führte er seinen Trainingskrieg weiter. Selbst mit den friedlichsten und selbstlosesten legte er sich an und das ging so weit, dass die sich dann mit harten Worten wehrten. Das Ganze ging dann soweit, dass Franz sich mit einer Läuferin so in die Köpfe bekam, dass diese Läuferin ann wohl die Beherrschung verlor und ihm einmal richtig die Meinung sagte. Was da abging, weiß ich nicht genau, aber Franz verschwand auf Nimmerwiedersehen aus unserem Bahntraining. Und da war auch gut so.
Entschuldigung, jetzt bin ich doch etwas abgekommen vom dem Talentthema. Hoffentlich habe ich dich damit nicht gelangweilt. Jetzt aber geht es weiter mit der Frage nach den persönlichen Talenten.
Grundsätzlich sind wir alle beschränkt in unserer Leistungsmöglichkeit. Niemand kann die Sterne vom Himmel holen, wir alle aber können sie uns anschauen und das jeder aus seinem persönlichen Blickwinkel.
Diesen persönlichen Blickwinkel auf die Leistungssterne haben wir alle auch in unserem Läuferleben. Start- und Endpunkte unserer sportlichen Leistung sind so unterschiedlich, wie kaum etwas anderes. Sie liegen in einem deutlich weiteren Rahmen, als zum Beispiel die Größenunterschiede der Menschen.
Es kamen schon läuferisch fast untrainierte Jugendliche in unsere Trainingsgruppe, die auf Anhieb die 400 m 50 - 52 sec liefen. Andere schafften nicht einmal 70 sec. Am Ende erreichten aber nicht immer die mit der schnellsten 400 m-Zeit die größten Erfolge, sondern oft waren es die Langsameren und Beharrlicheren, die sich die meisten Meriten verdienten.
Das heißt, dass du von deinem Startpunkt heraus, nichts über den genauen Endpunkt deiner möglichen Leistung sagen kannst. Und das ist auch gut so. Das lässt uns allen nämlich Raum für unsere Träume. Wie schrecklich wäre es, wenn du heute schon wissen könntest, bei welcher Laufzeit du über die Strecke x einmal landen würdest?
Darum haben wir Läufer(innen) es doch eigentlich sehr gut. Wir gehen alle nach dem Prinzip Hoffnung in den Kampf um die min und sec. Geben unser Bestes und hoffen darauf, dass wir im nächsten Rennen schneller sind.
Im nächsten Newsletter, so verspreche ich, werden wir gemeinsam auf die Reise durch die körperlichen Komponenten gehen, die unsere Leistung beeinflussen.