Kennst du das "gegen Mauern reden"? Nein! Ich schon und es ist mein größter Ärger, weil ich immer und immer wieder auf ganz bestimmte Zusammenhänge hinweise und es kommen dennoch ständig die gleichen Fragen zu diesen Zusammenhängen.
So muss ich hier schon wieder einen Artikel aus dem Mai 2010 wiederholen, in dem ich explizit erklärt habe, wann man am besten einen Halbmarathon vor einem Marathon läuft. Dennoch ist mir mindestens 20-mal diese Frage in den letzten 2 Wochen gestellt worden.
So lautet diese Frage dann meist so: "Ich laufe am 22.05. in Hamburg meinen Frühjahrsmarathon und am 05.05. ist bei uns im Nachbarort ein Halbmarathon. Den kann ich doch ruhig noch laufen oder?
Als Antwort grummele ich dann: "Nein, man läuft niemals 14 Tage vor einem Marathon einen Halbmarathon. 4 Wochen vorher wäre ein idealer Zeitpunkt, 21 Tage geht auch noch, aber niemals 2 Wochen vorher." Es ist kaum zu glauben, aber niemals wird gegen einen Rat von mir so stark argumentiert, wie gegen diese Regel.
"Aber bei Trainer Dauerwelle soll man sogar eine Woche vorher noch 10 km laufen und in der Zeitschrift "Runners Frust" hat gestanden, dass dies der Weg zum persönlichen Rekord sei". Und jeder kennt einen, der einen kennt, bei dem es schon einmal geklappt hat.
Meine Argumente sind dann, weil mich meist Greif-Club-Mitglieder anrufen: "In den letzten acht Wochen vor dem Marathon trainieren wir, im Gegensatz zu anderen Empfehlungen, nach einem Trainingssystem mit einer Endbeschleunigung auf der 35 km-Runde." Und das läuft so:
1. Woche: 3 km Endbeschleunigung bis zum geplanten MA-Renntempo
2. Woche: 6 km Endbeschleunigung bis zum geplanten MA-Renntempo
3. Woche: 9 km Endbeschleunigung bis zum geplanten MA-Renntempo
4. Woche: Halbmarathon-Wettkampf
5. Woche: 12 km Endbeschleunigung bis zum geplanten MA-Renntempo
6. Woche: 15 km Endbeschleunigung bis zum geplanten MA-Renntempo
7. Woche: Keine Endbeschleunigung nur 35 km joggen
8. Woche: Marathon-Wettkampf
Jeder von uns kann sich vorstellen, dass so eine Vorbereitung sehr anspruchsvoll und belastend ist. Aber 15 km Endbeschleunigung sind lange nicht so anstrengend wie ein Halbmarathon-Wettkampf. Wenn man nun aber an diesem Wochenende 14 Tage vor dem dennoch die 21,1 km läuft, dann hat man im Hauptwettkampf keine besonders guten Karten.
Warum ist das so? Das zu erklären, ist nicht gerade einfach. Dabei muss man nämlich nicht nur die harten Fakten betrachten, sondern sollte auch die Gefühle eines Läufers oder Läuferin mit einrechnen. In der Woche vor dem HM denkt sich der Betroffene: "Ich kann diese Woche nicht mehr so hart trainieren, denn am Sonntag laufe ich die 21,1 km und da will ich gut aussehen.
Nach dem Rennen hat der Gute natürlich das Gefühl, dass er sich ausruhen muss, um sich vom Halbmarathon zu erholen. Ist dieses Gefühl verschwunden, ist er schon in der Woche vor dem Marathon mitten in der Taperphase.
Wenn es dann an den Marathonstart geht, dann hat er 3 Wochen lang schon nicht mehr richtig trainiert. Nun denn, er hat sich wenigstens gut ausgeruht, was bei Einigen sich manchmal als durchaus förderlich erweist.
Förderlich ist aber nicht, dass er sich im HM den Hintern bis zum Hals aufreist, um eine gute Zeit zu laufen, die ihm das Selbstvertrauen im Marathon gibt. Das muss man vorher machen.
Leider verliert man durch solch einen harten Einsatz an seelischer und körperlicher Kampfkraft. Was immer das auch ist, glaube mir, diese beiden Faktoren sind unglaublich wichtig, lassen sich aber nicht "fassen". Natürlich wirst du jetzt denken: Das mag ja wohl richtig sein, aber das gilt nicht für mich, denn ich bin anders.
Dann werden dir noch eine Masse Argumente einfallen, die meine Thesen widerlegen. Und du wirst auch Beispiele bringen können, dass es bei einigen doch geklappt hat. Das ist auch unbestreitbar so. Aber dennoch ist beweisbar, dass es in der Regel nicht gelingt in diesem Wettkampfrhythmus sicher überragende Resultate im Marathon zu erzielen.
Die oben beschriebene Denke haben wohl die meisten von uns. Ich war auch davon befallen. Mein Glaube, dass mein Körper unzerstörbar und meine Seele unverwundbar war, war unendlich groß. "Halbmarathon 14 Tage vor einem Marathon? Kein Problem, stecke ich weg, notfalls laufe ich noch einen eine Woche vorher! Pah!"
Insgesamt war uns in unserem Team von der LG Seesen in den 80-er Jahren gar nicht bewusst, dass es dieses Problem überhaupt gab. Wir liefen im Frühjahr oft vier 25 km-Läufe, zwei Marathons und diverse 10-er. Mehr als die Hälfte davon waren Meisterschaften. Cross, 25 km, 10 km und diverser Kleinmist.
Alles verteilt auf Bezirks-, Landes-, Regional-, und Deutsche-Meisterschaften. Und weil wir nicht zu den Kreismeisterschaften kamen, beschimpften uns die Veranstalter auch noch als hochnäsig.
Da kannst du dir sicher vorstellen, wie dicht diese Rennen bei einander lagen und wie oft wir auch eine Woche vor einem Marathon noch ein Meisterschaftsrennen laufen "mussten". Bei den 42,2 km-Rennen kam dann raus, was raus kommen konnte. Niemand machte sich Gedanken darüber, welches Resultat denn herausgeschaut hätte, wenn die Vorbereitung effektiver gewesen wäre.
Aber es gab den Tag, an dem mir die Augen geöffnet wurden. Im Juni 1984 lief ich einen Marathon in Sydney. Es kam nicht viel dabei heraus, nur eine Zeit knapp unter 2:30 h. Meine Form war nicht mehr da und die Strecke war unter aller Sau, verglichen mit den hiesigen Stadtmarathons.
Zwei Tage nach dem Marathon las ich dann in einer der örtlichen Zeitung ein Interview mit dem australischen Langstrecken-Nationaltrainer. Dieser hatte die Resultate des Sydney-Marathons analysiert und diese verglichen mit der 14 Tage vorher stattgefundenen Australischen Halbmarathon-Meisterschaft.
Und zwar stellte er die besten australischen Läufer gegenüber, die sowohl an dem Sydney-Marathon und als auch an der zwei Wochen vorher stattgefundenen Halbmarathon-Meisterschaft teilgenommen hatten. Zur Auswertung zog er auch noch die Marathonbestzeiten dieser Läufer hinzu.
Und das Resultat war eindeutig. Die Läufer, die an den HM-Meisterschaft teilgenommen hatten, schnitten im Durchschnitt deutlich schlechter ab, als die, die sich dieses Rennen 14 Tage vorher gespart hatten.
Noch interessanter war der Vergleich zu den persönlichen Rekorden dieser Läufergruppe. Hier zeigte es sich noch klarer, dass die Meisterschaftsläufer im Schnitt erheblich weiter von ihren Bestzeiten entfernt finishten, als die ohne HM 14 Tage vorher.
Und erst von diesem Moment an begann ich, die Situationen unserer eigenen Marathonvorbereitung zu überdenken. Das Resultat ergab auch ein klares Bild: Wenn wir 14 Tage vor dem Marathon einen 25-er liefen (HM gab es damals bei uns noch nicht), kam es über die 42,2 km kaum jemals zu einem persönlichen Rekord. Ausnahmen waren überaus selten.
Gerade aktuell im Jahr 2010 gab es in der Szene der deutschen Spitzenläufer Beispiele, wo zwischen Marathon und Halbmarathon auch nur 14 Tage lagen. Falk Czierpinski startete zusammen mit Tobias Sauter bei der Deutschen Halbmarathon-Meisterschaft in Bad Liebenzell. Tobias belegte mit 1:06:06 h den dritten Rang. Falk stieg mit gesundheitlichen Problemen aus.
14 Tage später liefen beide in Düsseldorf Marathon. Falk lief mit 2:17 h zwar eine deutsche Marathon-Jahresbestzeit, aber blieb 4 min über seinem persönlichen Rekord. Neutral betrachtet ist das ein sehr mäßiges Ergebnis. Tobias Sauter kam nur bis km 10 und stieg aus.
Ich sollte natürlich nicht verschweigen, dass beide im Vorfeld gesundheitliche Probleme hatten. In diesem Sinne fällt mir nur ein: Es ist niemals der große Fehler, der ein mieses Wettkampfresultat produziert, sondern die vielen kleinen, die man vor dem Start und im Rennen gemacht hat.
Dazu gehören natürlich auch die kleinen Schwächen des Körpers. Wenn es an einer Stelle zwickt, dann steckst du es weg, aber wenn schon morgens beim Aufstehen von ungezählten Stellen aus die Schmerzen durch deinen Körper fluten, dann erlahmt deine Kampfkraft.
Rennrhythmus falsch, jede Menge Zipperlein und mäßig motiviert, dann bleibt die Aussage über das Resultat meist ziemlich introvertiert.
Aus diesen und anderen kleinen Fehlern bastelt sich jeder Läufer(in) seinen Versagensgrund zusammen. Dazu zählt er noch die widrigen äußeren Umstände, wie kein ständiger Rückenwind auf der Strecke, am Start zu kalt und vorm Ziel zu warm, die fetten Bratkartoffeln am Abend vorher, die nicht abgewehrten sexuellen Übergriffe in der Nacht vor dem Start, sowie die elenden Steigungen auf der Strecke.
Nur einmal brauchst du nicht an einem Versagensgrund zu basteln, wenn du 14 Tage vor dem Marathon einen Halben laufen "musstest". "Der war bei uns zu Hause und da musste ich hin!" Vielleicht ist deswegen dieser 2 Wochen-vorher-HM so sexy? Man hat sofort eine klare Ausrede nach dem Versagen.
Denn jeder Läufer(in) weiß: Du kannst immer einmal wieder dein vorher propagiertes Ziel nicht erreichen, das verzeiht dir jeder. Aber wenn dir keine phantasievolle Ausrede zu einem Grund für deine Leistungsverweigerung einfällt, dann bist du bei allen unten durch und besonders bei dir selber.
Die beste Ausrede ist: "Ich hätte den Halbmarathon vor zwei Wochen nicht laufen sollen. Greif hat ja auch gesagt, dass das schädlich ist. Aber weil der sowieso ein Spinner ist, habe ich ihm nicht geglaubt." Glaube mir aber diesmal, das kommt deutlich besser an, als die zwei schlechten Riegel vor dem Start.