Bei der Leichtathletik Weltmeisterschaft in Peking gab es eine große Überraschung. Es siegte der neunzehnjährige Ghirmay Ghebreslassie aus Eritrea, er lief in 2:12:27 Stunden. Dabei schlug er auch den Titelverteidiger und den Weltrekordler.
Dieser Sieg bringt so einige Erinnerungen in mir hervor: Anfang der Achtzigerjahre entwickelte sich unsere Trainingsgruppe hier in der LG Seesen überragend und schnell.
So kamen dann auch Jugendliche aus der allgemeinen Leichtathletikabteilung in unsere Lang- und Mittelstreckengruppe. Ein Teil dieser Jugendlichen war fasziniert vom Marathonlaufen. Es war die Zeit der ersten Stadtmarathons.
Das war von mir nicht iniziert, sondern die jungen Leute wollten einfach alle einmal die 42,2 Kilometer vor großer Kulisse absolvieren. Ich konnte reden, was ich wollte, sie liefen deutlich mehr Kilometer als geplant und auch mehr Einheiten.
Ich wurde von allen Seiten angegriffen, speziell aus dem eigenen Verein und sogar beschimpft, weil ich die Jugendlichen "kaputt trainiere". Ich solle doch mehr 200 Meter Läufe trainieren und nicht solche langen Einheiten, die würden so oder so nichts bringen.
Und vor allen Dingen schrieb man mir zu, dass ich so oder so keine Ahnung von der Sache habe. Als dann meine Leute über 800 und 1500 Meter deutlich schneller liefen als die Spezialisten, schwiegen die Kritiker dennoch nicht.
„Was nutzt das, wenn du diese Jugendlichen jetzt hochputschst und in zwei Jahren sind sie kaputt!“ So und ähnlich standen mir meine Vereinskameraden gegenüber.
Als wir dann schon deutsche Meisterschaften im Crosslaufen gewannen, hatten die Bedenkenträger im Hintergrund kaum noch Munition.
Wir hatten in dieser Zeit in unseren Jugendmannschaften einen jungen Mann von 18 Jahren, der auf kurzen Strecken gnadenlos langsam war. Er konnte keine 1000 Meter unter drei Minuten laufen.
Dazu muss man wissen, dass die schnellen Jugendlichen im Training innerhalb unserer Gruppe diese Distanz zwischen 2:40 und 2:55 min liefen. Nur einer, der war kleiner, das war Jörg Rainer Oberbeck.
Dieser war ein wahrhaftes Ausdauertalent, und er wollte nur eines: Einen einzigen Marathon laufen. Irgendwann konnte ich dem Bitten und Betteln nicht mehr widerstehen und gestattete ihm, beim Marathon 1988 in Berlin zu starten.
2:28:08 h war sein Resultat. Das war damals deutscher Jugendrekord und ist es heute noch. Auch das brachte mir Feinde ein von allen Seiten. Ich habe sie nicht vergessen!
Heute gibt es die LG Seesen nicht mehr und jetzt hängen die damaligen Kritiker in den Seilen und weinen unserer Gruppe nach. Vor einigen Wochen war ich wieder einmal anlässlich eines Sportfestes bei uns auf dem Sportplatz. Dort kamen mehrfach Personen auf mich zu und schwärmten von den früheren, so großen Erfolgen.
Der Tenor war: „So etwas wie dich bekommen wir nie wieder!“ Es wird sicher noch dauern, aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Es gibt noch andere Trainer, die an unsere Erfolge anknüpfen könnten.
Da wirst du sicher verstehen, dass mich diese Weltmeisterschaft mit dem Sieg des Neunzehnjährigen Ghirmay Ghebreslassie stark tangiert hat.
Die Frage, die ich hier heute gestellt habe, kann ich nicht erschöpfend beantworten, aber es gibt durchaus wissenschaftliche Untersuchungen über den Altersdurchschnitt bei Marathonläufern.
Auf der Webseite von Runners World fand ich den nachfolgenden Text: „Welches ist das ideale Marathon-Alter? Diese Untersuchung von Lauf-Blogger Graydon Snider folgt in Auszügen, von Alex Hutchinsons kommentiert:
„Bei den Olympischen Spielen 2008 gewann den Marathonlauf der Männer der junge, 21-jährige Sammy Wanjiru und bei den Frauen die 38 Jahre alte Constantina Tomescu-Dita.
Dies löste einige Spekulationen über das ideale Alter für schnelle Marathonzeiten aus, welches in der Regel auf den Zeitraum von Ende Zwanzig bis Anfang Dreißig festgelegt wurde. Also waren diese Leistungen eher „Ausreißer“ oder gab es wirklich eine demographische Veränderung im Bereich der Marathonspitzenleistungen?
Abbildung: runnersworld.com
Abbildung 1 zeigt die Marathonzeiten unter 2:11 h nach Alter geordnet in den Zeiträumen 1967 bis 2000 sowie 2001 bis 2014. Abbildung 2 zeigt die Altersverteilung der Top-100-Marathonläufer von 1990 bis 2013.
Sammy Wanjirus Sieg nur ein Ausreißer?
Es sieht für mich so aus, als wäre der Sieg Sammy Wanjirus bei den Olympischen Spielen tatsächlich nur ein „Ausreißer“ gewesen, doch sein Vorbild hat vielleicht andere jüngere Läufer dazu angeregt, sich auch schon früher als gewöhnlich dem Marathonlauf zuzuwenden.
Vor 2008 lag das Durchschnittsalter knapp unter 29; nach 2008 lag es unter 28. Dies ist eine ziemlich bedeutende Veränderung innerhalb einer kurzen Zeitspanne. Es wäre mal interessant, eine ähnliche Analyse auch im Frauenbereich zu machen, um festzustellen, ob der Olympia-Sieg von Dita 2008 eventuell einen Anstieg der Zahl älterer Marathonläuferinnen, die weiterhin im Wettkampf stehen, ausgelöst hat.“
Es ist sicher ein Trend zu erkennen, hin zu den jungen Marathonläufern und Läuferinnen. Aber grundsätzlich ist wohl auch in den kommenden Jahren nicht zu erwarten, dass nun die Zwanzigjährigen über die Szene herrschen werden.
Man sollte dabei auch bedenken, dass es an dem Marathontag in Peking besonders warm war und bei Hitzebedingungen gewinnen meist die an hohe Temperaturen adaptierten Akteure.