Wir schreiben heute den 1. September 2015. Ich sollte eigentlich umgehend einen Text für den kommenden Newsletter schreiben. Leider ist mir das verwehrt, denn wir haben eine sehr schwere Erkrankung in der Familie.
Darum muss ich auf einen älteren Text aus dem Jahre 2011 zurückgreifen. Die nachfolgenden Zeilen sind aber heute noch genauso aktuell wie vor fünf Jahren. Ich wünsche dir viel Spaß bei diesem ironischen Artikel.
Nichts hassen wir Läufer(innen) mehr als die Verletzung oder Erkrankung, die zur falschen Zeit kommt. Obwohl, eine richtige Zeit gibt es dafür nie. Du bist fit, das Training läuft wie eine Eins, und du hast im letzten Rennen deinen Holger erstmals auf den Knien.
Und dann kommt es. Mal schleichend schwächend, schmerzend steigernd, Willen brechend oder messerschneidend, immer bist du geschockt und willst es nicht glauben. Du hoffst und flehst, aber es ist stärker als du. Du versuchst zu retten was geht, aber irgendwann musst du zugeben, es geht nicht mehr.
Du weißt, jetzt musst du eine Trainingspause einlegen, obwohl du so gut "drauf" warst. Meist kannst du den Alltagsbetrieb noch aufrechterhalten, aber laufen darfst du nicht. Wenn du ein ganz Hartnäckiger bist, dann versuchst du, bei dem geringsten Nachlassen der Beschwerden wieder zu trainieren. Aber spätestens nach dem dritten Versuch gibst auch du auf und pausierst.
Und dann wartest du auf das Wunder, auf den Tag, an dem du aufstehst und nichts tut mehr weh. Und bis der kommt, dauert es. Du wirst fatalistisch, du kannst es so oder so nicht ändern. Aber dann so langsam merkst du die Besserung und beginnst wieder ganz vorsichtig etwas zu laufen.
Du hast zwar immer noch ein komisches Gefühl und traust dem Braten noch nicht, aber vorsichtig wirst du mutiger und legst ein paar km mehr auf. Du probierst auch schon einmal etwas schneller zu laufen, es klappt auch und einen großen Teil deiner Langen Runde schaffst du auch bald.
Und dann kommt der Tag, an dem du dich an den ersten Tempolauf wagst. Du fühlst dich gut, aber am Ende bist du völlig niedergeschlagen. Du konntest zwar beschwerdefrei laufen, aber die Zeit, einfach nur grausam.
Nun fängst du an zu rechnen und denkst: "Das dauert noch Monate, bis ich wieder auf dem alten Stand bin." Und da sind wir beim Punkt des heutigen Themas.
Die Erfahrung zeigt, dass selbst die mutigsten und optimistischsten Läufer(innen) ihre Chancen, wieder auf die alte Leistungsfähigkeit zurück zu kommen, zu negativ einschätzen. In der Regel dauert es bei gut Trainierten mit mindestens vier Einheiten/Woche nur die Hälfte der Verletzungszeit bis sie wieder wettkampffähig sind.
Und genau die Auswirkungen um dieses Thema herum können wir psychologisch schlecht verdauen. Diese schlechte "Verdauung" ist es auch, die uns hindert, schnell wieder auf Piste und Bahn zurückzukehren, um uns den sportlichen Auseinandersetzungen zu stellen.
Das Erste, was dir dazu einfällt, ist immer dein Holger und auch die anderen Kleinholgers. "Wie gehe ich mit Holger um", wirst du dich fragen. "Ich kann doch jetzt nicht bei der Serie schon wieder antreten, wo ich noch nichts drauf habe. Holger freut sich doch ein zweites Loch in den P…“, wenn er dich nach deinem 1. Sieg über ihn, jetzt gleich wieder abzieht.
Solche Gedanken sind normal und wir kennen sie alle. Und so verstecken wir uns im Wald, um uns die Leistungssteigerung wieder anzutrainieren, mit der es gelingen soll, ihn wieder zu distanzieren.
Aber ist das richtig, so lange zu warten? Nein! Ich kann dir aus der Lebenserfahrung heraus sagen, dass das lange Warten auf den Wiedereinstieg in die Wettkämpfe ein grober Fehler ist. Vorausgesetzt natürlich, dass du auch völlig gesund bist.
Du verschenkst mit dem Abwarten nämlich eine glückliche Zeit. Wieso das denn, wirst du dich fragen. Wenn du schnell in dein erstes Rennen nach deinen längeren Beschwerden wieder einsteigst, dann wirst du oft ein völlig überraschend gutes Resultat erreichen.
Dieses ist aber meist ein Muster ohne Wert, denn ein lange nicht belasteter Organismus gibt unerwartet leicht seine Kräfte her. Aber danach wirst du dich ziemlich schlecht im Training fühlen. Erst das zweite Rennen nach der Pause zeigt deine realistische Leistungsmöglichkeit auf, und die wird dich schockieren.
Wenn du aber weiter machst mit den Wettkämpfen, wird es eine ganz wunderbare Zeit für dich. Du solltest in dieser Zeit möglichst viele Rennen bis maximal hin zum Halbmarathon laufen. Und du wirst sehen, jeder Wettkampf wird besser.
Deine Freunde klopfen dir auf die Schultern, aber wie erlebt Holger diese Phase? Den jagst du durch Heiß und Kalt. Bei deinem ersten Rennen war er noch überrascht und besorgt, er hatte dich noch nicht so gut erwartet. Der folgende Wettkampf ließ ihn dagegen grinsen und sich zufrieden zurücklegen.
Holger weiß um deine mögliche Stärke und zittert. Du läufst noch hinter ihm, siehst ihn aber immer näher kommen. Holger krampft und du bist locker. Du kannst nur gewinnen und ihm droht der Untergang.
Für dich läuft alles easy und wenn du ihn dann erstmals wieder hast, stellst du fest, dass es deutlich leichter war als beim ersten Mal, ihn zu überholen. Vergiss nicht, ihm beim Vorbeilaufen die berühmten, aber erniedrigenden zwei Worte "komm mit" zuzurufen.
Oder aber, wenn er ein "Leichtholger“ (= jemand der psychisch empfindlich ist) ist, dann denke an das alte Sprichwort: Quäle nie einen Holger zum Scherz, denn er fühlt wie du den Schmerz. Das heißt: Halte die Klappe beim Überholen.