Vor einigen Wochen sandte mir eine junge Frau eine Planbestellung zu. Leider machte sie über ihre augenblickliche Leistungsfähigkeit nur vage Angaben. Diese benötigen wir aber dringend, der Hauptfaktor für eine Leistungseinschätzung ist die im Augenblick mögliche 10 km-Wettkampfzeit.
Wenn dann dort zum Beispiel 60 min/10 km eingetragen ist, dann wird schon klar, dass sich hier jemand einschätzt und keinen Wettkampf gelaufen ist. Dem folgt dann auch oft, dass alle anderen Abfragen möglichst nicht oder nur vage beantwortet werden, um nur kein klares Bild von der eigenen Person abzugeben.
Unterschlagen wird gerne das Gewicht. Frauen versuchen auch die Altersangaben zu unterdrücken. Da frage ich mich, warum macht die betroffene Person das? Ich habe dann mit dieser Dame telefoniert und sie antwortete mir: "Ja, ich weiß nicht so richtig was ich kann. Ich habe schon vor 5 Jahren einmal regelmäßig trainiert und da bin ich die 60 min/10 km gelaufen."
Auf meine Frage hin, warum sie denn jetzt nicht einmal in einen 10 km-Wettkampf gehe, um einen Startpunkt festzulegen, antwortete sie: "Davor habe ich so eine Angst." Huch, dachte ich, Angst vor einem 10-ner? Im weiteren Verlauf des Gesprächs kam heraus, dass das ganze wohl ein Familienproblem war, denn ihr Mann lief regelmäßig.
Ich riet ihr dann mit ihrem Mann einen 10 km-Trainingslauf mit maximalen Einsatz zu bestreiten. Machte sie auch, Resultat knapp über 56 min. Als sie dieses Ergebnis mitteilte kam gleich im Nachsatz: "Das war so anstrengend!" Oh lieber Himmel, kann denn Training auch nicht anstrengend sein? Wenn ich mich recht erinnere, dann ist es der Sinn eines jeden Trainings anstrengend zu sein, denn ich übe etwas, was ich noch nicht kann.
Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die trauen sich Sachen zu, von denen sie absolut keine Ahnung haben. Meine erstaunlichste Erfahrung in dieser Richtung erlebte ich im Jahr 2009 während unseres Trainingsurlaubs in Conil/Spanien.
Dort kam ich im Hotel mit einem jungen und austrainierten englischen Profireiter ins Gespräch. Dieser fragte mich, ob in unserer Gruppe auch für Marathon trainiert werde. Als ich das bejahte, sagte er mir, dass er im nächsten Jahr auch einen Marathon laufen wolle und zwar in New York, sein Ziel sei dabei unter die ersten 10% im Gesamtfeld zu kommen.
Auf meine Frage hin, ober er denn auch schon trainiere, antwortete er mir: "Ich treibe doch schon jeden Tag Sport (Reiten!)." Als ich vor Erstaunen die Luft scharf durch die Zähne zog, fügte der gute Reitersmann hinzu: "Ich werde dann auch jeden Tag 10 km auf dem Laufband rennen."
Vorsichtig warf ich dann ein, dass dies unter Umständen nicht reichen würde, die ganze Strecke durchlaufen zu können und auf einen Platz unter den ersten 10% reicht so ein geringer Trainingsaufwand auf keinen Fall. Darauf brach der mutige Brite das Gespräch mit dem "Du-bist-inkompetent-Blick" ab.
Was macht es eigentlich aus, dass es Personen gibt, die sich an Sachen trauen, von denen sie keine Ahnung haben und andere sich wiederum scheuen Dinge anzugehen, von denen sie wissen, dass sie machbar sind?
Das wird mit Selbstwirksamkeitserwartung umschrieben. Die Erklärung zu dieser Floskel nachstehend. Sie stammt aus einem Artikel von Joachim Simon aus BusinessVillage, 14.04.2011:
Auf Erfolg oder Misserfolg programmiert?
Bandura prägte vor circa 30 Jahren den Begriff der Selbstwirksamkeitserwartung (engl. perceived self-efficacy). Er bezeichnet in der Psychologie den Grad der Gewissheit einer Person, dass sie aufgrund ihrer Kompetenz gewisse Aufgaben erfolgreich lösen kann – sei es alleine oder mit (selbst organisierter) Unterstützung.
Diese Erwartungshaltung ist bei den Menschen verschieden stark ausgeprägt – nicht nur aufgrund ihrer realen Kompetenz. Während manche Menschen, bildhaft gesprochen, eher auf Erfolg programmiert sind, sind andere eher auf Misserfolg programmiert. Entsprechend verarbeiten sie auch Rückschläge.
Eine sehr selbstwirksame Person denkt nach einem Fehlversuch zum Beispiel: "Dass es nicht klappte, lag nicht an meiner Kompetenz, sondern daran, dass die Rahmenbedingungen nicht stimmten." Oder: "....daran, dass ich hiermit noch wenig Erfahrung hatte. Also lass’ mich einen zweiten Versuch wagen und das durch den Misserfolg gelernte Wissen direkt umsetzen." Sie reflektiert also zwar durchaus ihr Tun. Der Fehlversuch ist für sie aber kein Anlass, grundsätzlich an sich und ihrer Kompetenz zu zweifeln.
Anders reagiert eine eher wenig selbstwirksame Person. Sie denkt nach einem Fehlversuch zum Beispiel: "Ich habe doch gleich gewusst, dass ich das nicht kann und daran wird sich auch nichts ändern." Also startet sie keinen zweiten Versuch. Oder sie startet ihn nur widerwillig – zum Beispiel, weil sie von ihrem Chef dazu "verdonnert" wurde.
Entsprechend hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Scheiterns. Und dieses Scheitern wirkt sich wiederum negativ auf die Erwartung aus, mit der die Person künftig ähnliche Herausforderungen angeht."
Den ganzen Artikel findest du hier.
Genauso wie hier am Beispiel aus dem Geschäftsfeld ist es mit uns Läufern. Da kommt ein vollgefressener nach Rauch und Alkohol stinkender Typ zu uns in den Laden und sagt: "Ich muss bis zum 30.6. einen Marathon laufen. Was soll ich machen?"
Nach dem ich seinen Trainingsumfang nachfragte, meinte er: "Ich will ja erst anfangen." Ich ließ ihn dann stehen und er solle doch später noch einmal wieder kommen, denn Wanderer berate ich nicht." Als 3 Monate später der Zeitpunkt zu seinem Marathon vorbei war, rief er mich an und berichtete: "Geschafft in 5:10 h und ich bin keinen Meter gegangen."
Da war ich doch platt. Dieser Mensch hat eine besonders hohe Selbstwirksamkeit und schafft seine Ziele so auch. Aber wir Menschen sind nun nicht alle gleich. Wir haben unter Umständen eine geringe Selbstwirksamkeit, die angeboren oder auch erworben ist.
Eine geringe Selbstwirksamkeit bedeutet, dass wir grundsätzlich Angst vor neuen Aufgaben haben. So versuchen wir erst einmal diesen auszuweichen. Sehr beliebt ist das zeitliche Verschieben und auch das Abwälzen auf andere. Oft kommen wir aber aus dieser Nummer nicht mehr heraus und wir versuchen voller Ängste die Aufgabe zu erfüllen.
Wie können wir aber gegen diese Ängste kämpfen? Erst einmal sollte uns klar sein, dass diese emotionale und keine rationalen Hintergründe haben. Es gibt Möglichkeit dieser Falle zu entkommen. Wie, habe ich auch wieder aus dem Artikel von Joachim Simon entnommen:
"Sinnvoll ist es, beim Bewältigen solcher herausfordernder Aufgaben, diese als Projekt zu betrachten und zunächst rational zu analysieren: Welche Teilaufgaben sind hiermit verbunden?
Haben wir dies getan, können wir in einem zweiten Schritt analysieren, ob uns die Gesamtaufgabe oder nur gewisse Teilaufgaben erschauern lassen. Ist dies klar, können wir ermitteln, warum wir vor der oder den Aufgaben zurückschrecken. Zum Bespiel, weil uns Ressourcen und Kenntnisse fehlen? Oder weil wir hiermit noch keine Erfahrung haben? Oder weil die Lösung von uns erfordert, gewisse Gewohnheiten aufzugeben?
Oder weil absehbar ist, dass wir beim Bearbeiten gewisser Teilaufgaben mit Kollegen in Konflikt geraten? Haben wir dies ermittelt, können wir einen vorläufigen Aktionsplan erstellen und aus den Teilaufgaben Teilziele ableiten, die es auf dem Weg zum großen Ziel zu erreichen gilt.
Zudem können wir damit beginnen, für uns die fachliche und emotionale Unterstützung zu organisieren, die wir für den Erfolg brauchen. Wichtig ist jedoch noch ein weiterer Punkt, der leider oft vergessen wird: Da das Bewältigen der Herausforderung auch dem Steigern unserer Selbstwirksamkeit dient, sollten wir zudem Lernfelder definieren, in denen wir einen Ausbau unserer Kompetenz anstreben; des Weiteren sollten wir Lernziele formulieren sowie Kriterien, wie wir deren Erreichen messen."
Das Ganze kannst du natürlich in Hinsicht auf deinen Sport betrachten. Besonders nachfolgender Punkt ist für unser beider Verhältnis wichtig: "Zudem können wir damit beginnen, für uns die fachliche und emotionale Unterstützung zu organisieren, die wir für den Erfolg brauchen." Ein Trainingsplan ist nichts anderes als diese fachlich und emotionale Unterstützung.
Er bringt dich allein durch deine sportliche Ausbildung auf ein ganz anderes fachliches Niveau, welches dich auch resistent gegen Lauftreffschwätzer macht. Emotional wirst du dich sicherer fühlen, weil du weißt, dass du jemand im Rücken hast, der dich unterstützt und leitet.
Diesen Artikel habe ich nicht als Werbeveranstaltung für unsere Trainingspläne gedacht, aber da ich naturgemäß immer wie ein Lauftrainer denke, komme ich ständig auf unseren Bereich mit seinen vielen Analogien zum "wahren Leben" zurück.
Wie auch immer ich wünsche dir im "wahren" und auch im sportlichen Leben viel Erfolg. Und so kreisen meine Gedanken auch immer um dieses Bild: Hast du Erfolg, habe ich ihn auch.
Wenn das keine Win-win-Situation ist, was denn?