Manchmal überraschen uns Forschungsergebnisse und bringen unser Weltbild durcheinander. Da sandte Matthias Kunz aus Oberwil bei Basel, ein schweizer Leser unseres Newsletters, mir das Resultat einer Untersuchung, die beim Zürich-Marathon 2005 gemacht wurde. Und die hatte es in sich!
Die Ernährungsberaterin Esther Seitz aus CH Uster fand heraus, dass ein besonderes Carboloading (Kohlenhydratmast vor einem Wettkampf) einen Einbruch während des Marathons vollständig verhindert. Und dieses vollständige Verhindern erstaunt mich doch sehr, denn seriöse Studien laufen in der Regel anders ab.
Aber vielleicht hat die Frau Seitz ja auch den Stein der Weisen gefunden. Es ist schon seit Jahrzehnten bekannt, dass die Erfolgsaussichten über die 42,2 km durch ein Carboloading in den letzten drei Tagen vor dem Start verbessert werden. Der Autor dieser Zeilen schrieb schon 1986, dass man in den letzten 3 Tagen vor dem Marathon den Anteil der Kohlenhydrate innnerhalb der Mahlzeiten deutlich erhöhen sollte.
Wenn man aber rechnete, wieviel davon benötigt wird, dann reichen doch schon zusätzliche 300 g Kohlenhydrate aus, um die Gykogenspeicher zu füllen. Das wurde auch im Verständnis des größten Teils der Sportwissenschaft so gesehen. Die Nudelpartie am Abend vor dem Wettkampf wurde als relativ nutzlos angesehen, weil die Speicher zu diesem Zeitpunkt mit dieser Extragabe von Kohlenhydraten schon voll sein sollten.
Aber jetzt kam Esther Seitz mit einer Radikalkur bei der sie hauptsächlich auf "Fruchtsäfte, Süßgetränke (Cola und Limonaden), Sportgetränke oder Maltodextringetränke und auch auf fettarme Süßigkeiten wie Läckerli, Biberli, Gummibärchen, Willisauer-Ringli, etc." setzte.
Zum Beispiel sind die "Willisauer-Ringli" keine Nasenringe für schweizer Wildschweine, sondern ein Süßbebäck, welches fast 1 zu 1 aus Zucker und Mehl besteht und die man durch Zertrümmern mit dem Ellenbogen erst genußfähig machen muss (Kein Witz!).
Bei "Läckerli" und "Biberli" habe ich schon gar nicht mehr nachgeschlagen, wahrscheinlich sind letztere kandierte Schwänze von Jungbibern.
Anderseits schreibt die Autorin aber auch: "Vollkornprodukte und Gemüse sind eher zu meiden, da sie erheblich zum Sättigungsgefühl beitragen." Also das heißt, so viel wie möglich Süßes und Mehliges in sich hineinzustopfen. Wenn Dr. Ulrich Strunz das liest, bekommt er sicher einen mentalen Zuckerschock.
Hier die Zusammenfassung der Arbeit von Esther Seitz
"Studie Marathonernährung, Zürich Marathon 2005 Resultate und praktische Erkenntnisse für Läufer
Die Ernährungsstudie von Esther Seitz mit 55 Hobby-Marathonläufer und –läuferinnen des Zürichmarathons 05
zeigt eindrücklich die Bedeutung des richtig durchgeführten Carboloadings an den Wettkampf-Vortagen und der
adäquaten Kohlenhydratzufuhr während dem Wettkampf. Rund die Hälfte der Probanden erlitt auf dem letzten
Viertel einen Einbruch mit deutlicher Temporeduktion von rund 10 Prozent.
Die Ursache des Einbruchs war in der Hälfte der Fälle ein spezifisches Problem wie Krämpfe, Gelenkprobleme oder Verdauungsbeschwerden. Die andere Hälfte erlitt einen unspezifischen plötzlichen Einbruch, welcher oft als "Hammermann2 beschrieben wird.
Die Häufigkeit dieses unspezifischen Einbruchs betrug in der Gruppe der Läufer, welche alle Empfehlungen betreffend Kohlenhydratzufuhr (Vortag und Wettkampf) erfüllten 0 % gegenüber 40% in der Gruppe, welche keine der empfohlenen Minimalwerte erreichten.
Obwohl fast alle Studienteilnehmer angaben, in der Vorbereitung auf die Ernährung zu achten und der Meinung waren, ein Carboloading zu praktizieren, haben nur ein Viertel der Athleten die gültigen Empfehlungen der Kohlenhydratzufuhr umsetzen können.
Da durch die Teilnahme an der Studie mit Protokollführung verstärkt auf die Ernährung geachtet wurde und nur der letzte Vorwettkampftag in die Analyse einbezogen wurde, ist anzunehmen, dass im Durchschnitt ein noch viel geringerer Prozentsatz die Empfehlungen erfüllt.
Die Schwierigkeit liegt vor allem in der praktischen Umsetzung der Empfehlungen. Die meisten Läufer wissen nicht, was es tatsächlich bedeutet, mehr als 70% der Energie in Form von Kohlenhydraten oder mengenmäßig 7- 10 g Kohlenhydrate pro kg Körpergewicht aufzunehmen.
Selbst ernährungsinteressierte und erfahrene Probanden konnten die Richtwerte nicht besser erfüllen als die Laien. Erschwerend kommt hinzu, dass das natürliche Sättigungsgefühl und die Verdauung schnell einmal einen Strich durch die Rechnung machen können. Carboloading bedeutet richtiges Essen über den Appetit hinaus und ist nicht ganz einfach zu praktizieren."
In Worten ausgedrückt gibt die Grafik wieder: Wer die Ernährungsempfehlungen von Esther Seitz am Vorwettkampftag und an dem Wettkampftag befolgte, brach im Rennen nicht unspezifisch ein.
Bedenklich ist nur, dass definierte Probleme in dieser Gruppe häufiger auftraten, als in der Gruppe die am Vorwettkampftag und am Wettkampftag den Empfehlungen folgte. Da sollte man sich die Frage stellen, ob denn diese definierten Probleme nicht doch unspezfische Probleme waren (Hammermann), die dann auf irgendwelche andere Gründe geschoben wurden. Denn so etwas machen Marathoner sehr gerne.
Klar kommt bei der Studie heraus, dass es nicht viel nutzt sich nur am Wettkampftag mit Willisauer-Ringli und Coca Cola vollzustopfen, beziehungsweise vollzuschütten. Man muss wohl diese "Zuckerfolter" zwei Tage über sich ergehen lassen.
Alles in allem stehe ich dieser Arbeit skeptisch gegenüber, sie sollte unbedingt noch einmal überprüft werden. Ganz besonders stört mich, dass es bei den "Zuckerlutschern" zu 100% keinen undefinierten Einbruch gab.
Ein Doppelblindversuch ist natürlich bei einer solchen Untersuchung nicht möglich. Denn wenn die Willisauer Ringli statt aus Zucker und Mehl als Gegenprobe aus den kalorienlosen Stoffen Cellulose und Aspartam gebacken würden, dann ist nicht daran zu zweifeln, dass der Konsument dies bemerkt.
Aber ich meine, man sollte diese Art des Carboloading einmal probieren. Viel falsch machen kann man dabei nicht. Ich denke, die Chance ist größer als das Risiko. Dieses besteht eigentlich nur aus ein paar Tränen von einigen Kohlenhydratphobikern und aus unserer Befürchtung jetzt schweizer Läckerli, Biberli und Willisauer-Ringli importieren zu müssen.
Näheres gibt es hier bei der Autorin: Esther Seitz, Ernährungs- und Trainingsberatung, Strickstrasse. 1, 8610 Uster, Tel. 076 502 33 27, mail: es@schlau-essen.ch
Wenn du bei deinem nächsten langem Wettkampf mit diesen Empfehlungen Erfahrungen gesammelt hast, dann melde dich doch bitte einmal unter greif@greif.de. Ich bin gespannt!