Körperliche Erschöpfung. Hast du dich auch einmal so gefühlt? Garantiert ja. Praktisch jede Woche bekomme ich von irgendeinem Club Mitglied die Klage, er oder sie sei völlig erschöpft. Bei der Nachfrage bekomme ich in der Regel heraus was die Gründe sind. Meist ist es die Antwort, dass man nach einer bestimmten Einheit immer so „fertig“ sei.
Und weil das so ist, möchte dieses Clubmitglied eine Temporeduzierung haben. Natürlich gehe ich darauf ein, denn der Wille des Kunden ist sein Himmelreich. Besser wäre aber sich selbst zu fragen, ob diese Einheit nicht gerade das Richtige war.
Meist verwechseln wir diesen Trainingszustand mit der erwünschten Ermüdung. Ein Erschöpfungszustand hingegen ist etwas ganz anderes. Dieser zeigt sich durch eine dauerhafte Schwäche über mehr als drei Tage. Gesprochen wird aber von vielen Athleten schon von einer Erschöpfung am Ende eines Wettkampfes. Meist aber ist es auch nur die Ermüdung, denn in relativ kurzer Zeit im Minutenrahmen fühlen wir uns schon wieder gut und können dann auch z.B. schon wieder auslaufen.
Wir können diesen Zustand auch als temporäre Erschöpfung betrachten. Dabei ist diese Ermüdung ganz speziell gewollt. Wenn aber heute jemand am Folgetag noch von seiner Trainingsbelastung etwas spürt, dann denkt und spricht man von Erschöpfung. Dabei ist es genau das, was wir in einem Training erreichen wollen.
Aber in den Köpfen der Trainierenden der 2000-er-Jahre steckt eine Angst, die wir älteren Läufer niemals gehabt haben. Diese Angst drückt sich durch immer langsamere durchschnittliche Wettkampfergebnisse aus. Wenn ich sehe, dass jetzt zum Beispiel bei den Frauen 10.000 Meter Läufe mit Zeiten über 39 Minuten und Marathons über 3:10 Stunden gewonnen werden, dann kommt mir das Grauen.
Solche Zeiten liefen unsere Kleinstadt-Damen von der LG Seesen im Training. Das alles ohne Gels und Energiegetränken. Niemand hatte Angst vor Erschöpfung. Wenn dann sich jemand etwas schlapp fühlte, dann wurde das Dauerlauftempo herabgesetzt und ein paar Kilometer weniger gelaufen. Und schon fühlten sich die Betroffenen wieder fit.
Heute gibt es Tausende Tipps in Laufzeitschriften, Büchern und im Netz. Speziell die Ernährung wird übermäßig proportional dargestellt. Es gibt Ernährungsvorschriften für Kilometer 17 und eine nächste andere Vorschrift für Kilometer 29. Und die Anzahl der industriellen Getränke ist kaum noch überschaubar.
Die Schrittlänge, der Kniehub, die Armhaltung und alles andere wird wichtig. Aber das Wichtigste wird so oft vergessen: „Du musst rennen bis du das Gefühl hast, dass dir der Kopf platzt.“ Zitat vom leider schon verstorbenen ehemaligen deutschen Marathonmeister, Günter Mielke.
Heute ist die modische Bekleidung mit siebenfacher Atmungsaktivität, fast schwebende federleichte Schuhe, GPS und Pulsmessung sind überaus wichtig. Letzteres ist dazu da, um bei der Anzeige null den eigenen Tod festzustellen.
Und was ist die Folge? Das Gros läuft immer langsamer. Du solltest vielleicht denken, dass dafür die Spitze schneller läuft, da irrst du auch. Der Durchschnitt der besten deutschen 50 Läufer oder Läuferinnen wird in der Tendenz im jeden Jahr schlechter. Woher kommt das nur?
Ich hab da so die Idee, dass es an der verringerten allgemeinen körperlicher Arbeitsleistung liegt. In den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrtausends ging niemand in die Muckibude. Man baute das zerstörte Deutschland wieder auf und jeder wusste, dass es nur über Arbeit - ganz harte Arbeit geht.
Die Generation in der ich geboren bin, wusste auch genau, dass man nur mit harter Arbeit durchkommt. Als zehnjähriger Junge musste ich schon unser gesamtes Holz hacken, denn es gab keine Zentralheizung, sondern nur Öfen in den Wohnungen.
Und der Garten musste umgegraben und geharkt, das Obst gepflückt und die Kartoffel geerntet werden und alles wurde mit einem Handwagen transportiert. Gespielt wurde draußen auf der Straße, ob es nun Völkerball, Suchen. A-Latschen oder Murmeln waren, alles war in körperlicher Bewegung. Diese Art der Bewegung war unsere Laufschule und das Athletiktraining.
Als dann mit fortschreitenden Dekaden die Belastung bei der Arbeit nicht mehr ganz so hart war, fing die deutsche Bevölkerung an zu laufen. Und wo gelaufen wird, da wollen sich die Menschen in ihrer Leistung auch messen. Daraus entwickelten sich dann die jetzt immer noch heiß geliebten Volksläufe. Man brauchte nicht in einem Verein zu sein und ein Sportplatz war eigentlich auch nicht nötig.
Ich kann dir nur berichten, wie es damals anfing mit dem Dauerlaufen. Die Jungs - Frauen liefen damals fast niemals - legten los, dass die Fetzen flogen.
Völlig ohne Trainingskonzepte, es wurde einfach nur gelaufen, manche kurz, manche lang, aber fast immer schnell. Einige auch ganz langsam. Es herrschte praktisch Krieg zwischen den Trainingsideen. Auf der einen Seite die van Aaken-Jünger und auf der anderen, die Läufer aus der klassischen Leichtathletik, die ganz stark von der Mittelstrecke geprägt waren.
Einmalig war es, dass sich nun auch ältere Läufer leistungssportlich betätigten. In jeder Altersklasse war die Hölle los. Hattest du den einen Jahrgangs-Konkurrenten in einem Wettkampf geschlagen, haute dir ein anderer schon wieder eines über den Schädel. Das war ein gnadenloser Kampf. Wenn du dir einmal ein paar Wochen Ruhe erlaubtest, dann wurdest du von hinten unmittelbar überrollt.
Und es wurde experimentiert, da es kaum oder gar keine Literatur zu dieser Sache gab, musste jeder versuchen seinen eigenen Weg zu finden. Trotzdem war es eine Zeit, in der Marathonzeiten über drei Stunden unbekannt waren. Es sei, jemand verletzte sich und joggte nur noch leicht in das Ziel.
Solche Verhaltensweisen waren sicher auch von den vorhergehenden Kriegen beeinflusst, in der das Nichtaufgeben von den Nationalsozialisten geprägt wurde. Unterschwellig wurde der Kampf bis zum Tod gefordert.
Wenn wir uns über solche Dingen beklagten, dann erzählten uns unsere Väter und Großväter, was sie alles aushalten mussten in Stalingrad oder auch in der Normandie: „Mir sind in Russland die Zehen abgefroren und du gibst den Marathon auf, wegen einem bisschen Blut im Schuh.“ So verhielten sich natürlich nicht alle, es gab durchaus eine große Anzahl von Warnern, speziell vor der Marathonbelastung.
Die letzten Absätze sind keine Satire, sondern sie wurden wirklich mündlich dargestellt. Diesen Quatsch wollten wir natürlich nicht hören. Vielleicht war das der Punkt, als wir alle anfingen, die Härte aus dem Training und Wettkampf heraus zu nehmen.
Also, du kannst die jetzige Generation der Großväter ruhig einmal beschimpfen, denn wir waren es, die mit der Weicheierei angefangen haben.