So ab und zu erreicht mich einmal wieder die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Rückwärtslaufens. Das ist eine Übung aus der Laufschule, und sie soll die Koordination stärken. Es werden auch sogar zehn Kilometer Rückwärtsläufe bestritten. Man mag es kaum glauben: sogar Rückwärts-Marathons soll es geben.
Man findet dann auch solche Texte im Netz, wie zum Beispiel bei Laufspaß.com: „Was? Rückwärts laufen? Sind wir nun total übergeschnappt oder schon wieder so eine neue verrückte Sportart?
Sicher nicht! Zwar ist Rückwärtslaufen auf den ersten Blick betrachtet ein etwas ausgefallener Sport, aber wenn man es stärker unter die Lupe nimmt, hat es durchaus seinen Sinn und Nutzen.
Gerade in Ergänzung zum Vorwärtslaufen erlebt man dabei nicht nur eine ganz neue körperliche und auch geistige Erfahrung, die Abwechselung ins Spiel bringt, sondern es regt auch die andere Gehirnhälfte an, fördert Konzentration und Gleichgewichtssinn und trainiert den Oberkörper. Aber dies sind nur einige Benefits, die diese Form des Laufens mit sich bringt.“
Stimmen zum Rückwärtslaufen: Christian Grolle (Frankreich): „Rückwärtsbewegungen stellen eine der größten physiologischen, psychologischen, sportlichen, spirituellen und soziologischen Revolutionen im menschlichen Abenteuer dar.“
Johannes Gosch: „Anfänglich faszinierte mich der scheinbar simple, leicht nachvollziehbare und ungewohnte Bewegungsablauf. Schon nach einigen Rückwärtsläufen spürte ich eine Veränderung des Körperbewusstseins, meiner Haltung und der Laufökonomie.
Nun weiß ich, dass das Leben kein linearer, nach vorne orientierter Prozess ist, sondern eine harmonische Bewegung zwischen zwei Polen. So verstanden generieren alternative Bewegungsformen, wie das abwechselnde Vor- und Rückwärtslaufen, neue Lebensenergien. Jetzt bin ich im Gleichgewicht!“
Ach so! Und ich dachte immer, wir laufen möglichst schnell, um ein Ziel zu erreichen. Warum durch Rückwärtslaufen neue Lebensenergie erworben wird, erschließt sich mir leider nicht. Ich konnte aus dieser Bewegungsart nur negative Folgen ziehen.
Als ich das erste Mal mit dieser Bewegungsart Bekanntschaft machte, war das in den neunziger Jahren im Stadion von Davos.
Dieses Stadion hat einen Kunstrasen, und so dachten wir (das waren die Gäste in unserem Trainingslager und ich als Trainer): “Auf diesem Kunstrasen, wo es keine Löcher gibt, könnten wir einfach mal das Rückwärtslaufen probieren. Gesagt getan, der Trainer lief zum Vorzeigen 80 Meter durch den Innenraum.
Schon nach 50 Meter zog der Schmerz durch meine hintere Oberschenkel-Muskulatur ein und aus war's mit dem Rückwärtslaufen.br>
Vielleicht bin ich auch etwas zu schnell gelaufenen, aber von diesem Moment dann hatte das Rückwärtslaufen bei mir schlechte Karten. Die anderen Trainierenden verzichteten dann auf diese Übung oder sie liefen ganz langsam in kleinen Schritten rückwärts.
Wie auch immer, musste man diesen kleinen Unfall überdenken. Lag der Grund eventuell daran, dass ich einfach zu schnell losgelaufen bin.
Die nächsten Versuch starteten wir in einem anderen Trainingslager auf relativ glattem Kiesboden. Vorgabe war, etwa 50 Meter zu laufen, dies aber langsam.
Es wurde immer in fünfer Gruppen gestartet. Und schon hatten wir den Salat. Die Herren und Damen bauten natürlich sofort eine Konkurrenzsituation auf, indem sie versuchten so schnell wie möglich im Ziel zu sein.
Man wird es kaum glauben, aber schon beim ersten Durchgang hatten wir zwei Läufer, die sich auch in der hinteren Oberschenkelmuskulatur verletzten.
Einer davon hatte sich wohl einem Muskelfaserriss zugezogen und musste das Trainingslager abbrechen. Von diesem Moment an hatte ich die Faxen dicke. Rückwärtslaufen war gestrichen und wir haben es auch niemals wieder aufgenommen.
Es gibt noch andere Möglichkeiten, sich beim Rückwärtslaufen zu verletzen. Es ist wohl alleweil bekannt, dass der Mensch hinten keine Augen hat.
Dem Trainer, Läufer und Triathleten Claus Breinlinger gelang das schmerzhafte Kunststück, sich bei dieser Übung an beiden Handgelenken zu verletzen.
Er versuchte, auch möglichst schnell rückwärts zu laufen, stolperte und verstauchte sich beide Handgelenke beim Sturz nach hinten.
Er hatte versucht, sich beim rückwärtigen Fall mit den Händen abzustützen. Die Folge war, dass er eine längere Zeit seiner Arbeit nicht mehr nachgehen konnte.
Nun möchte ich hier nicht das Kreuz über das Rückwärtslaufen brechen. Es hat wohl im Koordinationstraining speziell bei jungen Leuten seine Berechtigung. Aber um gute und schnelle Läufer zu werden, brauchen wir diese Übung nicht.