Ralph Lössner (48), Autor des folgenden Newsletter-Artikels, ist seit Februar 2010 Mitglied im Greif-Club und trainiert seitdem nach den Greif-Trainingsplänen. Er war regelmäßiger Teilnehmer unserer bis 2018 stattfindenden Trainingsurlaube.
Gleich in seinem ersten Trainingsjahr erzielte er Bestzeiten auf allen Distanzen zwischen 5 km und Marathon. Im Laufe seiner Club-Mitgliedschaft steigerte er Marathon-Bestzeit insgesamt von 2:58:23 h auf 2:41:37 h (2015) und seine Halbmarathon-Bestzeit von 1:25:08 h auf 1:16:57 h (2015).
Auch in diesem Jahr 2021 konnte er schon 2 Bestzeiten verbuchen. Über die 10 km lief er im Sololauf eine 34:48 min. Gestartet war er 2010 mit einer Zeit 37:51 min. Über 15 km erreichte er während einer Endbeschleunigung beim langen Lauf von 35 km eine 54:17 min.
"Du brauchst keine 35 Kilometer im Training, um einen Marathon zu laufen." Wie oft wurde mir dieser Satz von anderen Läufern schon vorgehalten. Stimmt natürlich sogar. Manche laufen bekanntlich einen Marathon gänzlich ohne Vorbereitung. Die Frage ist doch vielmehr, was einen Sinn ergibt und was weniger.
Oftmals wird ja auch vorgeschlagen, den langen Lauf in der Vorbereitung nicht nach der Distanz sondern der Dauer zu veranschlagen. So lange ich über die Frage nachdenke, zu einer end- und allgemeingültigen Antwort bin ich (natürlich) nicht gekommen.
Sollte ein Läufer z. B. einen 2,5 Stundenlauf in seinem Plan finden, so wird er bei einem Trainingstempo von 6:30 min/km gerade auf 23 Kilometer kommen. Ob er sich gut vorbereitet fühlen darf, wenn ihm auf seine WK-Distanz noch 19 Kilometer fehlen, ist fraglich. Zudem ist noch zu berücksichtigen, dass es noch immer eine große Zahl an Läufern gibt, die beim langen Lauf ein "gemütliches" Tempo einschlagen (ein weiteres interessantes Thema ). Die Marathondistanz im WK ist für alle gleich. Insofern sollten alle auch eine entsprechende Vorbereitung anstreben.
Realistischer als eine nominale Zeitvorgabe scheint mir dann schon, wenn die Empfehlung lautet, dass die lange Runde in Minuten so lange dauern soll, wie der Marathon. Somit hat man es zumindest trainiert, so lange auf den Beinen zu sein, wie man es am Renntag auch plant.
Was mir bei meinen Überlegungen hierzu klar geworden ist: Wir müssen grundsätzlich unterschieden zwischen den Aussagen "bringt nix" einerseits und "schadet mehr" andererseits.
Dass ein langer Lauf von über 30 Kilometern auf ALLEN Distanzen im Langstreckenbereich einen positiven Effekt hat, steht wohl fest. Nicht umsonst wird er auch von Sportlern erfolgreich angewendet, die sich auf die Unterdistanzen spezialisiert haben. Es ist bekannt, dass die kenianischen 3.000-Meter Hindernis-Spezialisten im Winter Umfänge um die 200 Kilometer machen (ja, pro Woche!) und dabei lange Läufe von über 30 Kilometern. "Das sind ja auch Profis", schallt es mir da natürlich entgegen. Ja, richtig! Und deshalb würde ich das einem Marathonnovizen nicht empfehlen, wenn er sich darauf vorbereitet, ohne Zeitambitionen ins Ziel zu kommen. Hier ging es mir ausschließlich darum, dass wir das grundsätzliche "bringt nix" schnell als falsch erklären können.
Beispielhaft sei hier auch Peter Snell aufgeführt (Olympiasieger über 800 Meter und 1964 über 800 und 1.500 Meter). Er lief bei seinem Trainer Arthur Lydiard im Winter den wöchentlichen langen Lauf von 40 Kilometern. Du hast richtig gelesen: WK-Strecke 800 Meter. Langer Lauf 40 Kilometer.
Widmen wir uns also der Frage, ob es tatsächlich sein kann, dass unter dem Aspekt der Ausgewogenheit von Belastung und Regeneration eine "kürzere lange Runde" besser ans Ziel führen kann.
Für den o. a. Marathonneuling, dem es tatsächlich nur um ein gesundes Erreichen der Ziellinie geht, würde ich das tatsächlich bejahen. Wenn er z. B. "nur" 30 Kilometer trainiert, und dies auch nicht jede Woche, dann sind die verbleibenden 12 Kilometer zur Marathondistanz für ihn sicher eine motivierende Herausforderung für den WK-Tag und gleichzeitig kein unkalkulierbares Risiko. Vor allem gilt dies unter dem Aspekt, dass hier das Marathontempo mit dem normalen Dauerlauftempo eng verwandt ist, was immer weniger gilt, je schneller der Marathonläufer ist. Somit gibt es am Renntag keinen Tempostress sondern allenfalls einen Distanzstress. Vorausgesetzt, man vergisst nicht auf den ersten Kilometern sein Ziel.
Soweit, so einfach. Jetzt wird es jedoch schwieriger. Je anspruchsvoller Deine Zielzeit ist, desto schwieriger wird es am Tag X für Dich sein, sie zu erreichen, wenn Du im Training weit weg davon warst, die Distanz zu beherrschen. Sich mental mit der Distanz UND dem Tempo auseinanderzusetzten, gerät am "jüngsten Tag" dann schnell zum Debakel.
Ich habe in all den Jahren, in denen ich laufe, nur einmal an einer Marathonstartlinie gestanden und war durch mein Training nicht ausreichend sicher und selbstbewusst. Ich erspare Dir Details, aber gehe davon aus, dass mir das nicht mehr passieren wird. Wenn ich einem Trainer und/oder Training nicht vertraue, dann gibt es eine Reißleine.
Hilfreich bei der Beantwortung dieser sehr alten Frage können sicher auch die neuen technischen Möglichkeiten sein, die wir heutzutage haben. Hier ist insbesondere auf die Wattmessung zu verweisen:
https://www.greif.de/nl-leistungsmessung-fuer-laeufer-5.html
Ein 5 min/km Läufer läuft die 35 km in 2:55 h und hat dabei eine Trainingsbelastung (TSS) von 187 (bei 80% Intensität). Ein 6 min/km Läufer läuft die 35 km in 3:30 h und hat dabei einen TSS von 224 (bei 80% Intensität). Klar ist die Belastung deutlich höher. Nur gibt es so gut wie keinen 6 min/km Läufer, der 7 Tage die Woche trainiert. Läuft der 6 min/km Läufer 3-4 mal pro Woche, dann ist die wöchentliche Trainingsbelastung annähernd die gleiche wie bei einem 5 min/km Läufer der 5-7 mal pro Woche trainiert.
Puh! Wie lautet nun die konkrete Empfehlung? Versuchen wir es zusammenzufassen:
Sei grundsätzlich vorsichtig bei Empfehlungen wie "bringt nix" etc. Insbesondere in Verbindung mit "ICH habe das immer so gemacht" oder auch "Ich kenne jemanden, der macht das immer so." Es geht nur darum, was es DIR bringt und was Du brauchst. Und glaube mir, Kipchoge würde auch mit einem wöchentlichen langen Lauf von 25 Kilometern einen besseren Marathon laufen als ich. Deshalb kürze ich aber meine Distanz erstmal nicht!
Die langen Läufe bereiten Dich mental und körperlich hervorragend vor. Und zwar sowohl auf Deine Wettkämpfe als auch auf Dein Training. Denn z. B. die langen Tempoläufe, die bei den Greifplänen in der Umfangsvorbereitungsphase anstehen, verkraftest Du mit einem Lächeln, wenn die langen Läufe sitzen. Ein Tempodauerlauf, der mit Ein- und Auslaufen jedoch bereits den Umfang Deiner langen Runde annimmt, wird immer Dein Angstgegner bleiben. Bevor Du mir (vor allem aber Dir selbst!) beim nächsten Mal ein "bringt nix" oder "braucht man nicht" entgegenschmetterst, frage Dich, WARUM Du „kürzer treten“ willst. Wenn es tatsächlich damit zu tun hat, dass Du befürchtest, Dich damit eher zu schwächen, als in Form zu kommen (und nur dann!), solltest Du über Alternativen nachdenken.
Ein pauschaler Ratschlag ist hier unangebracht, jedoch kann die Lösung ja auch darin liegen, nicht JEDE Woche zu einer Woche mit sehr langem Lauf zu machen. So kann man abwechseln und die Wochen, ohne langen Lauf dann entweder für andere Trainingsschwerpunkte und/oder stärkere Regeneration nutzen. Das soll jedoch nur eine Anregung sein und ersetzt natürlich nicht Dein Körpergefühl.
Dieses "System" ist ein wenig angelehnt, an die "S-Pläne" bei Greif, die eigentlich ganz normale Trainingspläne sind, jedoch eine etwas stärkere Regeneration ermöglichen, weil die Trainingseinheiten anders angeordnet sind. Dieser Plan beinhaltet ja noch viele weitere individuelle Faktoren (Umfang, Tempo, Trainingstage…), die auf Dich abgestimmt sind. Außerdem hast Du mit dem Greif-Chef-Coach (Jens Peters) ja auch noch jemanden, der auf Deine individuelle Situation einen Rat geben kann. Und in aller Regel "bringt das was".
ICH habe mir jetzt übrigens selbst verordnet, ausnahmsweise mal 3 Wochen lang KEINEN langen Lauf zu machen, was einem ausgewiesenen "Sehrgernelangläufer" wie mir extrem schwerfällt. Ob es mir gelingt? Ich zweifle ja selbst ein wenig, aber bin fest entschlossen. Gleichwohl: wenn Du mich erwischen solltest, dann verpetz mich nicht gleich.
Warum ich mir das vornehme? Der lange Lauf trainiert sehr gut, jedoch muss ich einsehen, dass die aktuell in meinem Plan stehenden kurzen und knackigen Einheiten nicht gelingen werden, wenn ich meine geliebten Langen Kanten das ganze Jahr über durchtrainiere. Denn DAS "bringt nix".
So "long"!