Vorgestern besuchte ich den Hannover-Marathon (9.4.17). Es war ein schneller Marathon: beste Bedingungen und eine makellose Organisation. Aber war das eigentlich noch ein Marathon? Es liefen 4981 Teilnehmer über die Halbmarathonstrecke und 1566 über die Marathondistanz.
Es waren also dreimal so viel Halbmarathon-Läufer und -Läuferinnen angetreten als Marathoner. Aber es wurde nicht für den Halbmarathon geworben, sondern für den Marathon. Ein Beispiel: Einen Tag später in der Muckibude sprach ich einen als deutlich zu erkennenden Bodybuilder an, der ein Hannover-Marathon T-Shirt trug.
Auf meine Frage, ob er denn den Marathon gelaufen wäre, antwortete er stolz mit Ja. Da fiel mir doch wirklich der Unterkiefer runter. Erst nach der Frage der Zeit erfuhr ich, dass er nur einen Halbmarathon gelaufen war.
Danach kam mir in den Sinn, dass von vielen Teilnehmern, mit denen ich mich unterhalten hatte, der Wunsch geäußert wurde auch später einmal einen richtigen Marathon zu absolvieren. Aber niemand von denen hatte irgendeinen Respekt vor den 42,2 Kilometern.
Es wurde meist ausgedrückt, dass jeder mit Leichtigkeit die doppelte Distanz vom Halbmarathon laufen könnte. Und das ist nun leider eine falsche Idee.
Ein Halbmarathonwettkampf lässt sich relativ leicht bestreiten. Diese Personen waren in dem Gauben, dass ein Marathon nur geringfügig schwieriger als ein Halbmarathon zu laufen ist.
Es werden die Umstände vom Halbmarathon auf den Marathon transferiert. Leidlich gut trainiert nimmt die Masse an, dass das Rennen ohne große Schmerzen am Ende wie beim HM sein wird. Auch wird angenommen, dass man nach wenigen Tagen wieder locker laufen kann.
Und diese Idee ist nun so falsch, wie gezinkte Spielkarten. Alle engagierten Marathonläufer und -läuferinnen erleiden auf dem letzten Viertel der Distanz äußerst unangenehme Erfahrungen.
So ab Kilometer 30 kommt die Schwäche und schwere Unlustgefühle über Muskel, Sehnen und Nervenbahnen, die im Verlauf des Weiteren immer unangenehmer werden. Je nach Ehrgeiz kommt es zu einem Kampf zwischen dem Willen durchzuhalten oder dem Verlangen langsamer zu laufen oder auch gar auszusteigen.
Wer dann seinen ganzen Willen einsetzt, um das eingeplante Tempo zu halten, der ist ein richtiger Marathonläufer/-innen. Ein Teil von Frauen und Männer tragen diesen Kampfwillen in sich.
Einige wollen zwar mit aller Kraft laufen, aber beabsichtigen nicht den letzten Schmerz zu erfahren. Andere streben mit grau verzerrtem Gesicht das Tempo haltend dem Ziel entgegen. Einige taumeln gar auf der Zielgeraden entlang. Einzelne müssen sich sogar übergeben.
Normalerweise erholen sich Guttrainierte nach fünf bis zehn Minuten im Ziel wieder. Andere verkrampfen und knien auf dem Boden. Ich möchte das alles hier nicht weiter beschreiben, weil du sicher so etwas schon einmal erlebt hast.
Am nächsten Tag kommt der Punkt wo sich Halbmarathon- und Marathonläufer so deutlich unterscheiden wie nie zuvor. Der Halbmarathonläufer hat sicher etwas Muskelkater und fühlt sich nicht gerade frisch. Er könnte am Folgetag aber schon wieder laufen.
Ganz anders der Marathonläufer, der sich in das Ziel gekämpft hat, kann die ganze nächste Woche nach dem Rennen unter Muskelschmerzen und Steifheit leiden. Wer erst eine ganz geringe Anzahl von Marathons gelaufen ist, kann unter Umständen sogar drei Wochen lang nicht mehr locker laufen.
In den siebziger Jahren wurden diese Zustände als "Substrat verloren" bezeichnet. Einmal, das Jahr habe ich leider vergessen, war ich im Ziel so fertig, dass ich in der Nacht kein Auge mehr zu machen konnte.
Nachfolgend war ich sechs Wochen lang völlig down und konnte keinen Tempolauf mehr absolvieren. Diese Erfahrung hat mich tiefgründig geprägt und ich schöpfte niemals wieder meine Reserven so tief aus.
Und diese Zustände, die ich hier beschrieben habe, haben Halbmarathon-Läufer und -Läuferinnen kaum jemals auch nach härtestem Einsatz im Endkampf erlebt.
Bitte schließe aus meinen Zeilen nicht, dass ich auf die Halbmarathon-Läuferinnen und Läufern herabschaue. Nein, das nun gar nicht. Ich wollte nur die starken Unterschiede zwischen den 21,1 und den 42,2 Rennen aufzeigen um dies klar darzustellen.
Teil 2 am 25.4.17