Schon vor einigen Jahren habe ich darüber geschrieben, dass nicht deine Beine im Rennen erschlaffen, sondern dein Kopf.
Die Autorin Edith Zuschmann beschreibt diesen Zustand in der Zeitschrift RUNNING so: ?Was Ausdauerathleten vor allem aushalten müssen, ist nicht die eigentliche körperliche Anstrengung, sondern vielmehr die Wahrnehmung der Anstrengung.?
In meinen aktiven Jahren, ist es mir oft gelungen diese körperlicher Anstrengung zu verdrängen. Manchmal bin ich schon einige Kilometer vor dem Ziel fast zusammengeklappt, aber schließlich und endlich doch erfolgreich in das Ziel gekommen.
Am Ende meiner Laufkarriere gab es eine Wette mit dem Läufer D.O. aus unserem Verein. Dieser war im voraus gegangenen Frühjahr und Sommer höchst erfolgreich. Er sammelte Siege und und gute Platzierungen über verschiedene Distanzen, besonders bei Volksläufen.
So konnte ich ihn in diesen Wettkämpfen nur noch am Start und dann erst wieder im Ziel sehen. Um mich zu motivieren, bot ich diesem erfolgreichen Sportler eine Wette an. Die lautete: ?Wenn ich bei der diesjährigen deutschen Marathonmeisterschaft in Duisburg vor ihm liegen würde, dann muss er ein Essen für 50 Euro ausgeben.?
Was passierte dann innerhalb dieser Marathon-Meisterschaft? Ich war vom ersten bis zum letzten Meter vor ihm. Aber das gesamte Rennen über hatte ich Angst, dass er von hinten aufkommen würde, um mich zu überholen. Das passierte nicht.
Aber Außenstehende behaupteten, ich wäre auf der Zielgerade über die ganze Straßenbreite ständig von rechts nach links getaumelt und es wurde befürchtet, dass der Lange aus Seesen noch vor der Matte zusammenbrechen würde.
Das war ein ganz typischer psychisch herausgelaufener Sieg. Es war auch das Ende meiner Karriere. Niemals habe ich wieder so hart in einem Wettkampf gekämpft. Aber dennoch, in diesem letzten Rennen hatte ich niemals das Gefühl an den toten Punkt gelangt zu sein.
Es ist schrecklich, aber immer wieder kommt der Punkt in einem Rennen, in dem wir erkennen müssen, dass wir jetzt nicht mehr zulegen können. Und der Gedanke, wenn Holger den nächsten km auch nur 10 sec schneller läuft, du abreißen lassen musst, ist noch grässlicher.
Aber wieso, muss das so sein? Du hast doch schon oft genug erlebt, dass du geglaubt hast, du könntest nicht mehr einen Schritt schneller laufen und dennoch gelang dir Erstaunliches.
Du fühltest, dass dein körperlicher Zusammenbruch nah war und du es bis zum Ziel nicht mehr schaffen würdest. Dann traf dich der Schall des Stadionlautsprechers und plötzlich bekamst du Flügel und liefst den letzten km 10 sec schneller als den vorgehenden. Und dies, obwohl du nicht einmal eine Minute vorher noch meintest sterben zu müssen.
Schon 2007 habe ich mich an dieser Stelle mit dem Thema auseinandergesetzt. Nachfolgend noch einmal der damalige Text, leicht gekürzt und geändert:
"Gewonnen und verloren wird immer im Kopf" oder "Es ist immer der Geist der aufgibt, niemals der Körper." Das war der Titel eines Vortrags, den ich schon oft gehalten habe und die neuere südafrikanische und australische Forschungen zu Grunde liegen.
Viele von uns, es werden sogar die meisten sein, sind der Meinung, dass die Erschöpfung des Körpers ein objektives Signal des Organismus ist, dass er nun, wie wir sagen, alle ist und nicht mehr kann. Wenn du schon einmal einen Marathon gelaufen bist, in welchem du am Ende eingebrochen bist, dann weißt du, was ich mit "alle sein" meine.
Erklärt wird die Erschöpfung oder Müdigkeit mit Argumenten wie: Muskelschmerzen, Hungerrast, Energielosigkeit, keine Lust mehr (warum?), dicke oder schwere Beine, Atemnot, zu viel Laktat, niedriger Blutzuckerspiegel oder Glykogen alle. Dir fallen sicher noch ein paar mehr Argumente ein.
Wissenschaftlich wurde angenommen, dass es zu einem Leistungszusammenbruch kommt, wenn das körperliche Gleichgewicht (Homöostase) nicht mehr gegeben ist. Wie zum Beispiel, wenn der Säurerest des Laktats das Blut so ansäuert, dass bestimmte Enzyme nicht mehr arbeiten können.
Wenn dann nun dieses Erschöpfungssignal, welches ja nicht vom Körper selbst kommt, sondern dir das Gehirn vermittelt hat, objektiv ist, dann müssen wir uns einige Fragen stellen.
Wie kann es denn dann sein, dass jemand, der sich im Rennen völlig erschöpft fühlt, am Ende doch noch zu einem Endspurt fähig ist? Richtig ausgeschöpft war er dann ganz sicher nicht. Er hatte nur "so ein Gefühl" nicht mehr zu können.
Noch mehr Fragen müssen wir uns stellen. Warum können, den Versuchen von Ikai et al nach, elektrische Muskelreize noch maximale Kontraktionen der Hand auslösen, wenn es willentlich bei den Versuchspersonen nicht mehr möglich ist?
Weil die Versuchsteilnehmer nach einer Serie von maximalen Kontraktionen an einer Handpresse durch völlige Erschöpfung nicht mehr in der Lage dazu waren, diese wie vorher zusammenzudrücken.
Wenn man den Kraftverlust durch eine Serie von maximalen Kontraktionen willkürlich und elektrisch ausgelöst untersuchte, nahm die willkürlich erzeugte Kraft um 60% ab und die elektrisch erzeugte Kraft nur um 40%. Das heißt nichts anderes, als das unser Gehirn uns Erschöpfung meldet, obwohl noch genug Kraft da ist.
Es hat sich in der Evolution wahrscheinlich ein Schutzmechanismus entwickelt, der uns schon bremst, bevor wir wirklich erschöpft sind, um noch Leistungsfähigkeit vorzuhalten, wenn es wirklich an das "Eingemachte" geht, wie zum Beispiel im Kampf um das eigene oder das Leben seiner Familie.