Eine immer wieder angeführte Begründung für eine Erschöpfung im Rennen und speziell im Marathon ist ein Leistungsabbruch durch Glykogenmangel. Aber schon 1991 teilte Prof. H. Buhl auf einem Trainerseminar des DLV's mit, dass er selbst nach einem Rennen Muskelbiopsien bei völlig "ausgeknautschten" Marathonläufer vorgenommen habe, die schworen, dass sie keinen Meter mehr hätten laufen können. Es fand sich in deren Muskulatur aber noch genügend Glykogen, um viele km mit Tempo weiter laufen zu können.
Mir selbst war damals schon klar, dass die Erschöpfung nicht allein von mangelndem Glykogen kommen konnte. Denn am Ende eines Marathons fühlt man sich manchmal sterbensschwach, um sich 2 bis 3 min später wieder leistungsfähig zu fühlen. Es muss also etwas in uns geben, was uns wissen lässt, dass wir jetzt erschöpft sind oder auch nicht.
Wer und wie wir gelenkt werden, dass wissen wir noch nicht ganz genau, aber man kommt der Sache näher. Man geht heute in einer Theorie davon aus, dass im Gehirn ein "Central Governor", eine zentrale Steuerung sitzt. Runners World schrieb dazu:
"Diese Central Governor Theorie erklärt auch die Endspurtfähigkeit. Der Theorie zu Folge wertet das Gehirn während der körperlichen Belastungsdauer laufend Signale von Muskeln, Blutstrom und anderen Regulierungssystemen aus, um jederzeit die Frage zu beantworten: "Wie lange kann mein Körper die gegenwärtige Arbeitsleistung noch aufrecht erhalten, bevor das System zusammenbricht?"
Sobald die Antwort "nicht mehr lange" lautet, reduziert das Gehirn die motorische Leistungsabgabe der Muskeln, wobei es die beschriebenen Symptome des Leidens generiert, um den Sportler zu einer Reduzierung seines Einsatzes zu zwingen.
Kommt jedoch die Ziellinie in Sicht, gestattet das Gehirn wieder die Erhöhung des Tempos, dass es sich wissentlich nur um einen kurzen Zugriff auf die Reserven handelt. Das Gehirn schränkt auf dem Mittelstück der Strecke die Muskelaktivierung bewusst ein, um stets eine körperliche Reserve für den Schlussabschnitt verfügbar zu halten, beschreibt Dr. Frank Marino, Leiter der School of Movement Studies an der australischen Charles Stuart University, dieses Phänomen."
Das ist eine ganz spannende Sache, beschreibt diese Theorie doch auch warum die Läufer(innen) des Greif-Clubs, die nach meinen Marathon-Plänen mit Endbeschleunigung trainieren, so überaus erfolgreich sind.
Schon 1986 schrieb ich in dem immer noch so populären Trainingsplan "Countdown zur Bestzeit" über die Endbeschleunigung: "Der wichtigste Punkt scheint aber von psychischer Natur zu sein. Wer gelernt hat, am Ende eines harten Trainings noch einmal richtig aufzudrehen, verliert die Angst vor den letzten Marathonkilometern völlig." Das Gehirn lernt, dass der Organismus in der Lage ist, auch schon im Mittelteil einer harten Belastung hohe Leistungen zu akzeptieren.
Jetzt haben Forscher der UNI Zürich auch rausgefunden auf welchem Wege die Einschränkung der Leitung durch das Gehirn kommt:
Pressemitteilung Universität Zürich, Beat Müller, 05.12.2011
"Wie Muskelermüdung im Kopf entsteht
Was Sportler aus Erfahrung kennen, haben Forschende der Universität Zürich jetzt detailliert untersucht: Bei ermüdenden Ausdauerleistungen spielt der Kopf eine wichtige Rolle.
Sie haben im Gehirn einen Mechanismus aufdecken können, der bei ermüdenden Aufgaben eine Reduktion der Muskelleistung bewirkt und dafür sorgt, dass die eigenen physiologischen Grenzen nicht überschritten werden. Dass Muskelermüdung und Änderungen der Interaktion zwischen neuronalen Strukturen zusammenhängen, wurde mit dieser Studie erstmals empirisch nachgewiesen.
Wie stark wir unsere Muskeln willkürlich aktivieren können, hängt zum Beispiel ab von der Motivation und Willenskraft oder vom Trainings- und Ermüdungszustand der Muskeln.
Gerade letzterer führt zu deutlich spür- und messbaren Leistungseinbußen. Lange Zeit wurde die Erforschung der Muskelermüdung weitgehend auf Veränderungen im Muskel selbst beschränkt.
Die Forscher der Universität Zürich in Kooperation mit Urs Boutellier vom Institut für Bewegungswissenschaften und Sport der ETH Zürich haben die Forschenden dabei erstmals neuronale Prozesse aufgedeckt, die dafür verantwortlich sind, dass sich die Muskelaktivität im Laufe einer ermüdenden Aufgabe reduziert.
Nervenimpulse des Muskels hemmen motorisches Areal im Hirn
In der ersten Studie konnten die Forschenden zeigen, dass im Verlauf einer ermüdenden Kraft verlangenden Aufgabe, Nervenimpulse aus dem Muskel ? ganz ähnlich wie Schmerzinformationen ? das primäre motorische Areal hemmen.
Nachweisen konnten sie dies anhand von Messungen, bei denen Probanden ermüdende Oberschenkelkontraktionen solange wiederholt haben, bis sie die verlangte Kraft nicht mehr erreichen konnten.
Wurde dieselbe Übung aber unter Narkotisierung des Rückenmarks (Spinalanästhesie) durchgeführt ? und damit die Rückmeldung vom Muskel an das primäre motorische Areal unterbrochen ?, fielen die entsprechenden, ermüdungsbedingten Hemmprozesse signifikant schwächer aus, als wenn die Muskelinformationen intakt waren.
In einem zweiten Schritt haben die Forschenden mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztomographie jene Hirnregionen lokalisieren können, welche kurz vor dem Abbruch einer ermüdenden und Kraft fordernden Aufgabe einen Aktivitätsanstieg verzeichnen und diese Signale sind in dem Abbruch involviert.
Es sind der Thalamus und der insuläre Kortex ? beides Areale, die unter anderem Informationen analysieren, welche dem Organismus eine Bedrohung vermitteln, wie beispielsweise Schmerz oder Hunger.
Neuronales System wirkt regulierend auf Muskelleistung
Dass die hemmenden Einflüsse auf die motorische Aktivität tatsächlich via insulären Kortex vermittelt werden, konnte nun in der dritten Studie gezeigt werden: Die Forschenden haben bei Tests mit dem Fahrradergometer festgestellt, dass die Kommunikation zwischen dem insulären Kortex und dem primären motorischen Areal mit fortschreitender Ermüdung intensiver wurde.
"Dies kann als Beleg dafür gelten, dass das gefundene neuronale System nicht nur das Gehirn informiert, sondern auch tatsächlich regulierend auf die motorische Aktivität einwirkt", resümiert Lea Hilty das aktuelle Ergebnis. Und Kai Lutz verweist auf das neue Forschungsfeld, das sich mit diesen Ergebnissen nun eröffnet:
"Die Erkenntnisse sind ein wichtiger Schritt bei der Aufdeckung der Rolle, die das Gehirn bei der Muskelermüdung spielt. Auf Basis dieser Arbeiten wird es möglich, Strategien zur Optimierung muskulärer Leistung zu entwickeln."
Was bedeuten nun diese Erkenntnisse für uns im Training oder im Wettkampf? Es muss uns klar werden, dass eine körperliche Erschöpfung bei der Meldung des Gehirns - "Du kannst nicht mehr!" - noch nicht vorliegt.
Das Gehirn vermittelt dir nur: "bei dem augenblicklich herrschenden Bedrohungspotential solltest du aufhören schneller zu laufen. Denn wenn du so weiter machst, könnte es sein, dass es bei einer wirklichen Bedrohung keine zusätzlichen Kräfte mehr zur Verfügung stehen.
Wenn du aber dennoch weiter und schneller nach vorn willst, musst du deinem Gehirn nur verklickern, dass es dir Ernst ist mit dem Siegeswillen. Du kämpfst gegen die starke Bedrohung deines Ranges, denn Holger ist nah und dir droht der Verlust der erhofften neuen Bestzeit!
Wie das praktisch funktioniert, kannst du dir an zwei 10 km-Läufen klar machen. Einmal gehst du auf deine Trainingsstrecke mit dem festen Willen heute alles zu geben, dir so richtig das gespaltene Ding aufzureißen, um eine neue Bestzeit zu erzielen. Du fightest und läufst eine für dich sehr gute Zeit.
Einige Tage später ausgeruht gehst du in einen 10 km Wettkampf und siehe da, bei subjektiven gleichem kämpferischen Einsatz läufst du 30 - 120 sec schneller als im Training. Das Tempo, welches du im Training mit scheinbar letzter Kraft liefst, erscheint dir im Rennen als erholsam.
Das Gehirn schien unter dem Konkurrenzdruck der Gegner die Bedrohung erheblich höher einzuschätzen und gab damit auch die entsprechende Energie frei. Das erklärt auch den Wert des Gruppentrainings, welches wir in den letzten Wochen schon ausführlich behandelt haben.
Ich weiß, dass du jetzt sofort denkst: Überfordert mich das nicht? Nein, du wirst nicht überfordert, weil das Gehirn auch einen Lernprozess durchmacht. Es lernt, dass seine Angst vor Überforderung eigentlich unbegründet war, weil der Abbruch der Leistung bald erreicht war und unmittelbar nach der Belastung eine Regeneration einsetzte.
Das heißt: Je mehr du kämpfst, desto mehr kannst du kämpfen!