Heute möchte ich fortfahren die Ansichten des vierzigjährigen Radprofis Jens Voigt weiter zu kommentieren. Nachfolgend nennt Jens die Vorteile die ein Ausdauerathlet im fortgeschrittenen Sportleralter hat:
"1. Du kennst Deinen Körper. Ich habe immer ignoriert was mein Körper mir zu sagen versuchte - Ich war sicher, dass ich das durchhalte. Jetzt weiß ich, dass wenn mein Körper mir Tag für Tag sagt, ich solle anhalten, nicht so wie im Rennen, wenn meine Beine sich beschweren, dann ist da etwas. Also mache eine Pause."
Jens meint damit, dass du dich nicht vor lauter Ehrgeiz weiter quälen sollst im Training, wenn dein Körper dir sagt, dass er eine Pause braucht. Dieser übertriebene Ehrgeiz ist eigentlich der größte Fehler den stark ambitionierte Läufer und Läuferinnen machen können. Ich selbst habe damit sehr viel Erfahrung.
Als Beispiel steht unser früheres Gruppentraining in den Jahren 1981 bis 1991 am Wochenende. Ich war also damals zwischen 38 und 48 Jahre alt. Sonnabends liefen wir nachmittags unsere sehr schwere 35 km Runde und ich kann dir sagen: Da ging es rund!
In der unmittelbaren Marathonvorbereitung fingen wir die Endbeschleunigung immer früher an. Und der, der diese Beschleunigung initiierte war in der Regel der Trainer in meiner Person. Damals war ich noch sehr stark und ich habe aufgedreht bis die Gruppe geweint hat und oft war ich als erster oben auf dem Berg, obwohl einige nominell stärkere Läufer in der Gruppe waren.
Am nächsten Tag aber liefen wir morgens wieder einen regenerativen Dauerlauf und dann ging es wieder rund. Dies aber dann nicht von meiner Seite ausgelöst, sondern von den Loosern des Vortages. Dann wurden so genannte Rachebeschleunigungen gestartet. Um den vom Vortag erschöpften Trainer es nochmal richtig zu zeigen.
Dieser aber ließ sich überhaupt nicht locken. Diese Kleinfuzzis konnten machen was sie wollten, ich lief mein langsames Tempo weiter. Die Älteren und Schlauen aus der Gruppe blieben an meiner Seite und wir erzählten uns Witze. Und die oben genannten tobten wie die Wilden und gaben uns eine verbale Behandlung nach der anderen.
Und das hörte sich dann so an: "Ihr könnt wohl nicht mehr, war wohl doch zu hart gestern am Berg. Das könnten wir auch, aber wir wollen ja nicht am Sonntag so kaputt sein wie ihr."
Und so ging das die ganze Runde weiter. Der Höhepunkt auf dieser meistens gelaufenen "Vereinsplatzrunde" war ein 200 m langer auf Aufstieg mit 23% Steigung. Und diesen Berg ballerten die Jungs hoch und wir Älteren, die sich am Vortag erschöpft hatten schlichen den Hügel hinauf.
Und schließlich standen sie oben am Ende des Berges und sangen Wanderlieder. Meist hieß das Lied: "Das Wandern ist des Müllers Lust...! Und als wir dann den Gipfel endlich erklommen hatten, sangen wir mit klopften uns alle auf die Schultern und lachten. Dann war der Drops gelutscht und wir machten uns so langsam wieder bergrunter auf den Weg nach Hause.
Diese Aussage von Jens können wir eins zu eins übernehmen. Es wäre möglich Hunderte von Geschichten von Leuten unterschiedlicher Trainingshaltung zu erzählen. Das würde aber den Rahmen dieses Artikels sprengen. Nur wer sich das gespaltene Ding richtig aufreißt, wird das aus sich herausholen können, was in ihm steckt.
"2. Du hast die beste Arbeits-Ethic entwickelt. Wenn du immer noch Rad fährst in diesem Alter, dann weil du den Sport liebst. Du liebst ihn genug um keine halben Sachen zu machen. Es ist als wenn du den Sport mit deiner Leistung ehren möchtest. Das ist was "Kinder" noch nicht verstehen können."
Ja, ja, ja! Das ist die größte Weisheit die Jens hier für uns hinterlassen hat.
"3. Du kannst mit Niederlagen umgehen. Verlieren ist nie toll, aber es wird einfacher sie zu überwinden. Ich denke das kommt vom Leben außerhalb des Sports. Lebe lang genug und du musst mit Krisen umgehen, die viel wichtiger sind als, dass was jeder von uns auf dem Rad tut. Ich zumindest hab die Erfahrung machen müssen und da sieht man die Rennresultate aus einer anderen Perspektive."
Auch diesem Absatz gibt es nichts hinzuzufügen.
"4. Du bist kantiger als die Kids. Ich muss zugeben, dass ich diesen Vorteil am meisten liebe. Ein älterer Fahrer ist sehniger und kantiger als die, die immer noch ihren Babyspeck auf den Hüften haben."
Naja, mein Körper ist nun knapp sieben Jahrzehnte alt und kantig bin ich immer noch, aber leider habe ich einen leichten Bauch und der besteht - das ist kein Witz - nur aus Muskeln. Vor 14 Tagen gemessen 11,6% Gesamt-Körperfett. Das ist für einen Mann meines Alters sehr gut, der sich aber ärgert, wenn immer wieder jemand fragt: "Haste zugenommen?". Nein, habe ich nicht.
Wenn du diese Zeilen liest, dann weile ich in der Türkei um in Okurcalar unser Trainingslager 2013 vorzubereiten. Ich hoffe, du gönnst mir die kleine Auszeit. Aber wie das so ist, ein Chef muss immer arbeiten. Auch den nächsten Newsletter werde ich selbst schreiben und zwar im Urlaub.
PS: Beinahe hätte ich es vergessen. Hier findest du die englischsprachige Webseite von Jens Voigt