Das sich zwei getrennte Menschen nach Jahrzehnten wiederfinden, so etwas gibt es nur in Romanen. Das Klischee von den Geliebten, die sich nach langer Zeit in die Arme fallen, wird immer wieder von Schriftstellern genutzt. Meine Person musste aber jetzt feststellen, dass sich nicht nur die Schreiber solche Dinge ausdenken, sondern es sich auch im realen Leben ereignen kann.
Jetzt wirst du denken, der alte Greif ist schon völlig bescheuert, er schreibt nun schon über seine alten Geliebten. Keine Angst, es geht auch heute um unseren Laufsport, diesmal aber nicht mit den gewöhnlichen Themen.
Die ganze Geschichte startete 1984 bei einem Marathon in Prag. Mit einem Bus angereist, wollten wir dort mit unserer Mannschaft von der LG Seesen nun auch einmal im Ostblock ein 42,2 km Rennen bestreiten.
Von dem Rennen blieb mir nur eine Kuriosität. Fünf Kilometer vom Ziel überholte ich einen Mannschaftskameraden, der sichtlich abbaute. Motiviert von mir, hängte er sich hinten dran und ich lief nur so schnell, wie er mitkommen konnte.
200 Meter vor dem Ziel lief ich dann locker weg und bog mit 30 Meter Vorsprung in das Stadiontor ein. Rechts hinter dem Tor war der Zieleinlauf. 50 Meter vor dem Ziel kam der große Schreck, das Ziel war weg. Da standen ein paar Menschen, die fuchtelten mit ihren Armen und wiesen in eine völlig andere Richtung. Ziemlich „marathondoof“ suchte ich den Einlauf, drehte mich im Kreis und bei der zweiten Drehung dann fand ich ihn.
Ich beschleunigte wieder und lief auf die „Gnadentür“ zu. In diesem Moment kam mein Manschaftskamerad, den ich mitgeschleppt hatte an mir vorbei. Mit einem kurzen Spurt war das Teammitglied wieder eingeholt und wir liefen gemeinsam durchs Ziel. Zeit: 2:27:??.
Aber der Veranstalter setzte den Mitstreiter auf einen Platz vor mir. Das hat mich vielleicht geärgert. Die Veranstalter entschuldigten sich bei mir, in dem sie erklärten, dass sie den Einlauf in einer geraden Linie haben wollten und so das Ziel versetzt hatten.
Vergessen das Ganze, bekam ich zwei Wochen später von dem Busunternehmer, der uns nach Prag gebracht hatte, einen Brief, der wiederum einen Brief enthielt. Da meldete sich ein Dietmar Heinrich aus Meißen, der auch in Prag gelaufen war, mit der Bitte einer Kontaktaufnahme.
Er wollte eigentlich nur wissen, wie wir trainieren und woher wir das Geld für diese so große Mannschaft her bekommen. Natürlich gab es einen Antwortbrief und so weiter, tauschten wir uns aus. Dietmar bat mich, ob er denn nicht auch einen Trainingsplan von mir haben könne. Natürlich habe ich ja gesagt und in jedem Monat fand sein Trainingsplan seinen Weg in die DDR.
Das hatte Folgen, in dem Dietmar Heinrich von der örtlichen Kriminalpolizei einbestellt wurde. Mit zitternden Knien meldete er sich im Kommissariat zum Verhör. Dort angekommen lagen auf dem Schreibtisch des Kriminalbeamten die gesamten Trainingspläne, die wir ihm gesandt hatten.
Damals druckten wir diese Trainingspläne auf Papier. Wir sorgten dafür, dass wir nicht mehr als drei Seiten hatten, damit das Porto für einen Normalbrief reichte.
So nutzten wir einige Kürzel, wie zum Beispiel „ext.“ für das Wort extensiv. Speziell auf diese Kürzel hatte es die Polizei abgesehen. Dietmar Heinrich aber konnte alles erklären und durfte wieder nach Haus gehen. Und seine Trainingspläne konnte er auch weiter empfangen.
Irgendwann bekamen wir dann die Idee, es doch einmal zu versuchen nach Meißen zu kommen. Das klappte völlig reibungslos und so fuhren wir mit Familie an die Elbe und besuchten Familie Heinrich. Diese hatten drei Töchter, Susanne, Kristina und Sabine. Speziell Kristina lief damals schon etwas. So hatten wir ihr dann unter anderen ein paar gebrauchte NIKE´s mitgebracht.
Leider schlief die Verbindung zu den Heinrichs dann irgendwann in den Wirren der Gesamtdeutschlands-Geburt ein. Die Telefonnummer stimmte nicht mehr und es gab wohl auch einen Umzug in dieser Zeit. So verloren wir unsere damalige Bekanntschaft so langsam aus dem Blickwinkel.
Aber 30 Jahre nach diesen Begebenheiten änderte sich das. Wir suchten für das Trainingslager 2015 in der Türkei einen Physiotherapeuten(in). Und wer sich meldete, war unter anderem eine Kristina Tille. Zu unserer Überraschung stellte sie sich vor als die frühere Kristina Heinrich, die damals jahrelang in den von uns mitgebrachten Nike`s herum gelaufen war.
Kristina war verheiratet und hat zwei Kinder. Die Überraschung aber war, dass sie eine hoch qualifizierte Ultraläuferin war. Sie bestreitet Strecken oft weit über 100 Meilen und gewinnt diese meist auch. Das passte dann ganz genau für uns. Sie war eine langjährige Physiotherapeutin und lief selbst. Wir wurden uns umgehend einig und haben dies niemals bereut.
In Side Sorgun zeigte sie sich als eine äußerst nette und liebenswerte Person, die durchweg von allen Teilnehmern gelobt wurde. Auch vom Chef!
Alles weitere zu dieser Geschichte findest du in den nachfolgenden Zeilen, die Tina (Kristina) selbst geschrieben hat:
Side-Sorgun, Türkei März 2015, ein Bericht von Kristina Tille
"Noch immer bin ich urlaubstrunken. Dies ist somit die beste Zeit, um meine Gedanken und Erinnerungen an meinen ersten Greif-Trainingsurlaub niederzuschreiben. Seit 1984 kenne ich Peter Greif persönlich und schon als Kind schielte ich neidisch auf die werbenden Annoncen in diversen (im Osten illegalen) Laufzeitschriften, in denen seine Trainingsreisen angeboten wurden.
Unerreichbar schien mir die Möglichkeit, jemals dabei zu sein. Die Jahre vergingen und irgendwann stand in einem seiner Newsletter, er suche noch für die Türkeireise im März 2015 einen Physiotherapeuten, der möglichst auch selber Läufer sein sollte. Hey, das BIN ich! Ein Dreizeiler von mir, ein prompter Rückruf von Peter und ich war dabei. Meine Vorfreude war groß! Ich konnte meinen Beruf, entspannten Urlaub und intensives Training in einen einzigen Koffer packen.
In Side-Sorgun angekommen, bemerkte ich zu allererst, dass die Greif-Urlauber zu einem zahlenmäßig nicht unerheblichen Teil aus alten Bekannten bestehen, die alljährlich wieder dabei sind. Ich war einer der "Neuen" und wurde sofort herzlich in den Kreis aufgenommen. Vielen Dank an euch dafür!
Da ich in den letzten Jahren fast ausschließlich in der Ultraszene unterwegs war und selten Distanzen unter 100 km und auch mal Wettkämpfe von knapp 700 nonstop-km lief, war mir das vorherrschende "Gerede" um Zeiten und Durchschnittsgeschwindigkeiten irgendwie befremdlich. Oh Gott, wenn das so weitergeht, dachte ich, bleibt doch der Genuss am Erleben auf der Strecke.
NEIN, so sollte es nicht sein. Schnell war ich angesteckt von dem Feuer der Geschwindigkeit. Der erste Härtetest für mich sollte der 10er ohne Uhr sein. Auf unserer leicht profilierten Tempostrecke durfte während des 10 km -Laufes keiner eine Uhr dabei haben und musste vorher eine Schätzung seiner Laufzeit abgeben.
Ich hatte keine Ahnung, was bei mir möglich sein könnte. Letztendlich war ich mit einer 42ger Zeit total glücklich, hatte mich aber derb verschätzt. Ich dachte, ich wäre deutlich langsamer gelaufen.
Nun möchte ich hier aber nicht jede einzelne Einheit durchkauen, eher einen Gesamteindruck des Trainingscamps wiedergeben. Frühmorgens begann der Tag mit Athletiktraining, was unser Co-Trainer Robert mehr oder weniger ausgeschlafen, aber immer souverän und tapfer präsentiert hat.
Noch immer mit nüchternem Magen liefen wir anschließend in entsprechenden Leistungsgruppen unseren regenerativen Lauf zwischen 8 und 15 Kilometern. Nach anschließender Dusche und Frühstück stand allen der Tag zum Erholen, zum Einkaufen oder wozu auch immer, zur Verfügung.
Mein Part bestand darin, zwischen Training und Essen, mich geschundenen Läuferwaden, -fersen, und -rücken zu widmen. Dadurch lernte ich den Einen und Anderen noch intensiver kennen, als es mir auf der Laufstrecke möglich gewesen wäre.
Um 16.30 Uhr startete dann das richtige Training. Jeden zweiten Tag stand was "Gemeines" auf dem Plan: Tempoeinheiten, vor denen wir zwar zitterten, die aber im Nachhinein die genialsten Einheiten waren. Im Wettkampfmodus konnten wir Leistungen abrufen, die viele von uns niemals von sich selbst erwartet hatten. Ich sah so viele glückliche Gesichter.
"Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist." (Henry Ford) Hier absolvierten aber viele Läufer ein Training, was sonst nicht in ihrem Plan vorkommt. Es war schön zu sehen, wie viele Läufer ihre Grenzen während der zwei Trainingswochen verschieben konnten.
Gerade beim 35er wuchs so mancher über sich hinaus und bewältigte diese Distanz sogar zum ersten Mal in seinem Leben. Die endorphingeschwängerten Glücksgefühle schwappten rauschhaft über.
Nur, wer riskiert zu weit zu gehen, kann überhaupt herausfinden, wie weit er gehen kann! Ich wünsche all denen, die aus dieser Erfahrung den Mut zu ihrem ersten Marathon ziehen, viel Glück bei der Verwirklichung des Vorhabens!
Nach dem Abendessen habe ich meist nochmal für ein bis zwei Stunden behandelt, massiert, getapt und mich danach ins Nachtleben geworfen, schließlich hatte ich ja Urlaub! ;-) Die Lobby-Bar war Treffpunkt. Es wurde fleißig gefachsimpelt, aber vor allem viel gelacht und über Gott und die Welt gelabert. Irgendwann, als die Bar ihren Tresen schloss, entdeckten wir die Disco. Und trotzdem standen wir am nächsten Morgen um 7:15 auf dem Übungsplatz, um diszipliniert mit dem Training zu beginnen!
In der ersten Woche hielt an drei Vormittagen Peter Greif seine Vorträge zur Marathonvorbereitung, die für uns alle motivierend und gewinnbringend waren. Lebhaft vorgetragende Episoden aus seinem Läuferleben sorgten dabei für allgemeine Erheiterung. Sein typischer Vortragsstil ließ aber nicht davon ablenken, dass Peter mit großem Herzen unterwegs ist! Danke für die Emotionalität, die du hast durchschimmern lassen!
Kristina Tille in Sorgun 2015 ganz rechts
Eine begeisternde Bereicherung brachte ab der zweiten Woche Dr. Wolfgang Feil, der mit uns gemeinsam trainierte, einer von uns war. Seine Vorträge über sinnvolle Ernährung (nicht nur für Sportler) haben uns komplett motiviert, neu nachzudenken.
Von Berufswegen weiß ich zwar um viele Dinge, die vorgetragen wurden, wusste z.B. um die Schädlichkeit von Weizen und die positive Wirkung von frischem Sauerkraut..., aber ich habe dieses Wissen bisher nur halbherzig angenommen und in meinen Alltag übertragen. Durch Wolfgangs mitreißende Vorträge, habe ich dazu aber deutlich mehr Hintergrundwissen und bin nun einsichtiger und überzeugt von Wirkung, Auswirkung und Ursachen. Danke dafür!
Meine Küche habe ich total neu sortiert. Ich liebe meine neue Kiste, die mit sämtlichen Gewürzen bestückt ist. Sie steht wunderbar sichtbar neben vielen Kräutertöpfen, an denen ich so gerne "ernte". Ich gehe tapfer an meinem duftenden Lieblingsbäckerladen vorbei und fühle mich total stark dabei.
Ein Teil meiner Kollegen hat sich von meiner "Chili-Futterei" schon anstecken lassen. Manch einer der Patienten und auch Kollegen hat sich Dr. Feils Bücher schon gekauft. Meines gebe ich nicht her, leihe es nicht aus, habe es aber immer dabei, um nachzuschlagen. Das "Arthrose und Gelenkschmerzen - Buch" spricht mein Klientel natürlich voll an. Ich glaube, der Gewürzumsatz in den umliegenden Bioläden oder diversen Märkten steigt hier im Umkreis gerade. ;-)
Wolfgang - vielen Dank für den wertvollen Kick, den du meinem Urlaub gegeben hast und auch vielen Dank für deine anfeuernden Zurufe beim schnellen 18er, bei dem ich so eine arge Darmkatastrophe zu beherrschen hatte. ;-)
So viele liebenswerte, individuell so arg verschiedene, interessante Menschen habe ich in den 2 Trainingswochen in der Türkei kennengelernt. Der Abschied fiel mir entsprechend schwer. Ich glaube, dass ich als Kind zuletzt Tränen vergießen musste, als ein Urlaub endete. Nie hätte ich gedacht, dass ich schon am Vorabend der Abreise meine Tränenkante kaum unter Kontrolle haben würde.
Nicht zuletzt möchte ich erwähnen, dass ihr mich total "angefixt" habt mit eurem Ehrgeiz, Bestzeiten zu laufen. Ich bin jetzt heiß drauf, auch noch mal auf der Kurzstrecke anzugreifen. Bei mir sind zwar gerade noch ein paar Ultras im Plan, aber danach denke ich neu nach und träume davon, nochmal ´nen schnellen Marathon zu laufen oder vielleicht sogar einen 10er?!
Da ein Ziel ohne Plan nur ein Wunsch ist, werde ich sicher bald bei Peter anklopfen und mir einen Joker setzen lassen! Ich freue mich drauf. Im nächsten März bin ich wieder dabei, um mit euch zu kämpfen, zu leiden, zu feiern, zu träumen und zu planen und nicht zuletzt eure Wehwehchen zu lindern.