Immer wieder freut es mich, wenn ich von Clubmitgliedern oder auch ehemaligen, Mails aus dem Ausland bekomme, in denen die Laufszene ihres Gastlandes beschrieben wird. So bekam ich in der letzten Woche eine Nachricht von Christian Messerschmidt aus den USA, welche mich doch überrascht hat.
Christian arbeitet und beobachtet die Laufszene in diesem Land und beschäftigt sich auch mit der dortigen Laufliteratur. Er geht jetzt auf die 40 zu und trainierte in seinen zwanziger Jahren nach Greifclub Plänen und absolvierte Marathons und Ultras.
Christian schrieb: "Ich hoffe, alles ist gut in "Good Old Germany". Ich gehe nun auf die 40 zu und habe in meinen mid-20ern lange erfolgreich mit deinen persönlichen Club-Plänen Marathons und Ultras absolviert.
Nach Umzug nach USA, Heirat und 2 kleinen Kindern habe ich dann erst mal das Wettkampflaufen für fast 10 Jahre auf Eis gelegt und bin jetzt dieses Jahr wieder behutsam eingestiegen.
Über die letzten Jahre hatte ich auch immer wieder die neueste Literatur in Sachen Langstreckentraining in USA gelesen und es fiel mir auf, dass nach Jahren der "Weicheierei" durch Autoren wie Hal Higdon und Herbert Steffny diese aktuellen Publikation, wenn sie auch nicht einer einheitlichen "Schule" entspringen, doch erstaunliche Ähnlichkeiten mit dem Countdown-Plan haben:
- YOU (Only Faster) by McMillan, Greg (Jun 10, 2013) – Trainingstempi fast identisch, lange Läufe mit Endbeschleunigung nach Dr. Rosa, insgesamt ist sein Training zu variabel und kompliziert...
- Run Faster from the 5K to the Marathon: How to Be Your Own Best Coach by Hudson, Brad and Fitzgerald, Matt (Jul 29, 2008) – extrem ähnliche Module in allen Bereichen.
- RUN: The Mind-Body Method of Running by Feel- nur durch Härte zu sich selbst im Training kann man auch Erfolge im Wettkampf verzeichnen, zu viel Abwechslung im Training ist nicht so gut wie Gewohnheit und Routine, keine allzu starren Pläne.
- Hansons Marathon Method: A Renegade Path to Your Fastest Marathon- fast identisch zum Countdown mit dem Unterschied, das die langen Läufe mit Endbeschleunigung noch nicht annähernd an die 30 km gehen.
Zusammenfassend kann ich also feststellen, dass dieser neue Wein tatsächlich zu großen Teilen aus alten deutschen Schläuchen kommt!" Gruß von der Ostküste!"
Nachdem ich mit Christian über einige persönliche Dinge diskutiert hatte, schrieb er auch noch folgende Mail:
"Erlaube mir noch einen lustigen Presseausschnitt der letzten Wochen zu amerikanischen Trainingsmethoden:
Ryan Hall trainiert sich wieder selbst
Experiment mit italienischen Trainer Canova dauert weniger als ein Jahr.
Von Scott Douglas/8. Juli 2013.
Ryan Hall ist zurück zu dem, was er als "faith-based coaching" bezeichnet, nach etwas mehr als einem halben Jahr der Zusammenarbeit mit dem italienischen Trainer Renato Canova.
In einem Interview vor dem letzten Donnerstag Peachtree Road Race, sagte Hall, "Ich bin zurück zum Glaubens-Coaching." Er beschrieb Canova, der Weltrekordhalter und Weltmeister trainiert hat, als "Berater von Zeit zu Zeit".
Als Teil seiner Beziehung mit Canova hatte Hall geplant, nach Kenia zu reisen, um unter Canova für den Boston Marathon zu trainieren. Im Februar jedoch erlitt Hall eine Quadrizeps Verletzungen und stornierte die Reise nach Kenia. Im folgenden Monat meldete er sich von Boston ab. Wie sich herausstellte, hatten Hall und Canova nie viel Zeit zusammen verbracht.
Hall verließ den Mammoth Track Club im Herbst 2010, um ein System zu verfolgen, dass auf einem Pre-Workout Gebet basiert, während dessen er von Gott die Anleitung zu den Trainingseinheiten an diesem Tag bekommen würde. Hall hat auch gesagt, er nehme einen Tag frei vom Laufen pro Woche, um Tage der Ruhe in der Bibel zu imitieren.
Während seiner ersten Phase des faith-based Coaching, platzierte Hall als Vierter beim 2011 in Boston Marathon (Rückenwind-assisted 2:04:58 h) und den zweiten Platz bei den (US) Olympischen Spiele 2012 Marathon-Trials".Als ich im ersten Augenblick von dem glaubensorientierten Training las, musste ich schmunzeln. Nach längerem Nachdenken war mir dann aber klar, dass so eine Art von Training gar nicht so ungewöhnlich ist und schon gar nicht verwerflich.
Ryan Hall überlegt vor dem Training ganz genau, was er machen soll und kann. Dabei kommen natürlich Zweifel auf, ob die geplanten Übungen auch richtig und genau passend sind. In Zweifelsfällen wird er dann seinen Gott fragen und ihm die Entscheidung überlassen.
Das ist nichts anderes, als wenn du dir dein Training überlegst und dich irgendwann entschließt es so oder so zu machen. Dann meinst du auch, es war ganz allein dein Entschluss, so wie du es gedanklich erarbeitet hast zu trainieren.
Aber du wirst niemals wissen, ob du diesen Entschluss allein trafst oder es etwa eine göttliche Eingebung war. Darum sollte man Respekt vor der Entscheidung von Ryan Hall haben.
Interessant sind die Ausführungen von Christian über die Trainingsmethodik der amerikanischen Marathonläufer und Marathonläuferinnen: "Zusammenfassend kann ich also feststellen, dass dieser neue Wein tatsächlich zu großen Teilen aus alten deutschen Schläuchen kommt!"
Ob dieser "Wein" allein aus deutschen Schläuchen kommt ist zu bezweifeln. Es gibt wohl kaum einen allgemeinen Grund, die aktuellen deutschen Marathonläufer als Vorbild zu nehmen. Aber die Szene ist international und wenn im Netz auf eine Laufseite sehr oft zugegriffen wird, dann wird diese auch international betrachtet.
Besonders die Rechner, die deutschen Marathon- und Halbmarathonbestenlisten und die beiden kostenlosen Trainingspläne "Count-down zur Bestzeit" und "Heißes Feuer im alten Ofen" werden international beachtet, das weiß ich aus vielen Zuschriften aus dem Ausland.
So hat sich dann auch das Marathontraining mit der 35 km langen Runde und den strukturierten Endbeschleunigungen weltweit verbreitet. Es wird ja von einigen behauptet, dass sie diese Idee der Endbeschleunigung (Crescendo Training) schon viel früher hatten und auch ausgeübt haben. Das stimmt wohl, aber eine strukturierte Endbeschleunigung ist etwas anderes, als einfach am Ende einer Einheit nach Gutdünken schneller zu laufen.
Zum Marathon-Wettkampf hin wird diese Endbeschleunigung immer länger und diese Idee hatte vorher noch niemand und darum freue ich mich auch, dass diese in anderen Ländern umgesetzt wird.
Vielleicht liegt der Erfolg der US-Amerikaner auch mit an den jetzt polpulären Endbeschleunigungen. Wenn man noch vor 10-15 Jahren die amerikanischen Bestenlisten betrachtet hat, dann sahen sie ähnlich aus wie unsere heutigen. Bei der Ansicht auf die heutigen Weltbestenlisten, ist man überrascht von der großen Anzahl sehr guter USA-Läuferinnen und -Läufern, die sich der Weltklasse nähern.
Sie sind noch nicht drin in der absoluten Weltklasse, aber nicht weit davon entfernt. Davon können wir Bundesrepublikaner nur träumen. Es ist ganz sicher, dass wir alle froh wären, wenn wir wieder einmal einen männlichen deutschen Marathonläufer hätten mit einer Zeit unter 2:10 h. Vielleicht können wir sogar davon fantasieren, einmal eine deutsche Frau mit einer Zeit von unter 2:20 h zu erleben.
Idee: Vielleicht sollten wir alle einmal einen Jackpot bilden, in dem wir gemeinsam einmal im Jahr einen Euro werfen und diesen dann an denjenigen oder diejenige ausschütten, welche/r die oben genannten Zeiten als erstes unterschreiten.
Was meinst du, könnten wir ein paar deutsche Beine damit bewegen?