Manchmal frage ich mich, wo das Wissen geblieben ist. In den Jahren zwischen 1970 und 1990 erlebte der Laufsport in Deutschland seine erste Renaissance. Keiner hatte so richtig Ahnung, wie man richtig trainieren sollte.
Am Anfang gab es nicht mal eine Laufzeitschrift, dann aber kam „Condition“ und später „Spiridon“. Dort konnte sich jeder informieren und wurde nicht verwirrt von den vielen Informationen durch allerhand Laufmagazine und Internetangebote.
Aber eines war in diesen Jahren deutlich besser. Es war die Kommunikation untereinander. Jeder lernte von jedem. Es gab keinen Pulser, kein GPS und anderes Gedöns. Aber die damaligen Läufer waren im Durchschnitt deutlich schneller als die heutigen. Nun denn, das ist wohl nicht zu ändern.
Nur eines kann ich nicht verstehen: Warum wissen so viele Läufer nicht mehr, dass man im Training allein laufend kaum jemals die Zeiten aus einem Wettkampf erreicht.
Auch wenn sich der Trainierende alle Mühe gibt, wird er bei einem zehn Kilometer Trainingslauf immer ein bis zwei Minuten von seiner Wettkampfleistung entfernt bleiben.
Vielleicht wirst du an dieser Stelle an meiner Aussage zweifeln. Du stellst dir vor, dass du in einen Trainingslauf gehst, mit dem festen Willen, dir das gespaltene Ding bis zum Hals aufzureißen.
Du bist bereit und kämpfst mit deiner ganzen Kraft um eine neue Trainingsbestzeit. Am Ende bist du vollständig erschöpft und schwörst Stein und Bein, dass du nicht eine Sekunde schneller laufen könntest.
Tja, da muss ich dir leider widersprechen. Das zeigen wissenschaftliche und auch eigene Erfahrungen. Wieso aber kommt so etwas?
Bei einem Wettkampf unter „Holgerdruck“ werden Stresshormone ausgeschüttet und diese setzen Leistung frei. Natürlich gibt es auch im Gruppentraining diesen Konkurrenzdruck. Und so wird diese Differenz zwischen Wettkampf- und Trainingsleistung in etwa um 50 Prozent gemindert.
Aber dennoch wird kaum jemals eine Zeit wie im Wettkampf errungen. Aber es gibt tatsächlich Menschen, die jedes Gruppentraining zu einem Wettkampf machen und bis zum Erbrechen kämpfen.
Ich erinnere mich noch an einen Läufer am Anfang der siebziger Jahre, der, wie ich auch, für den SCC-Berlin startete. Dem gelang es, öfter einmal im Training schneller zu laufen als im Wettkampf.
Jahre später ist mir aufgegangen, was der eigentliche Grund für diese Divergenz war. Er lief ständig Rennen, bei denen die interne Vereinskonkurrenz nicht startete.
Damit war er frei von den Rangordnungskämpfen im eigenen Haus. Der Nachteil dabei war nur, dass er so auch nicht die liebgewordenen Stresshormonausschüttungen bekam. Ich kann noch heute darüber lachen.
Auch die Umweltbedingungen werden in unserer Zeit relativ schlecht eingeschätzt. Wie du vielleicht weißt, gebe ich die Trainingszeiten in den Greif Clubplänen vor. Und es wird auch ganz klar darauf hingewiesen, dass diese nur bei ruhigen Normalbedingungen und ebener Strecke einzusetzen sind.
So gibt es auch alle vier Wochen in diesen Plänen einen Zehn-Kilometer-Lauf zur Formüberprüfung. Dieser wird eingesetzt, speziell zur Motivation der Trainierenden. Denn, wenn man sieht, wie die eigene Leistungsfähigkeit wächst, dann steigt der Mut und die Motivation.
Die Vorgabe für einen Endvierziger mit einem Ziel von 10 Kilometer 44 min/10 km sieht wie nachfolgend aus:
50:50 min = erwartete Standardleistung auch an schlechten Tagen
49:40 min = gute Form
48:40 min = sehr gut, Bestform
46:10 min = überragend, Superform.
Nicht vergessen danach: 4 x 30 m Testotraining.“
Wie man deutlich sehen kann, werden die angepeilten 44 Minuten/10 Kilometer hier gar nicht erst erwartet. Leider aber sind eine Anzahl von Läufer und Läuferinnen enttäuscht, wenn sie nur "eine gute Form" attestiert bekommen haben. Dass oft der Trainingskurs kupiert und verschneit oder schlammig war, wird übersehen.
Bitte ziehe aus diesen Vorgaben keine eigenen Schlüsse. Denn die Leistungsbewertung ändert sich über den Jahresverlauf ständig. Der hier aufgeführte Trainingsplan-Ausschnitt stammt aus einem Wintermonat. Im Frühjahr sollte es dann deutlich besser aussehen.
Andere wiederum fallen völlig aus dem Häuschen, weil sie schon überragend gelaufen sind und ihren Zeiten nach schon eine Superform haben.
Auch diese Athleten haben oft Ängste, dass sie in einer Frühform sind, wissen aber eigentlich nicht, was eine Frühform ist. Denn man muss unterscheiden zwischen Leistungszuwachs und Frühform.
Ich gebe zu, dass diese Unterscheidung sehr schwer zu erkennen ist. Darum werde ich in der nächsten Woche einmal über diese Sache schreiben.