Club-Mitglied Wolfgang Rühlemann errang bei der Deutschen Halbmarathon-Meisterschaft den 2. Platz in der AK M55 in 1:18:49 h. Eine überraschende Meldung und eine Toppzeit für einen 55-jährigen bei der AK-DM 2012 in Griesheim.
Ich schreibe diesen Artikel, weil sein Weg zum Leistungssport nicht gerade eben war. Es passt zu dem Thema welches wir in der vorletzten Woche behandelten, bei dem es sich darum drehte, was man bei einem späten Start in ein ambitioniertes Lauftraining noch alles schaffen kann.Und so fing es bei ihm an: Der Harzstädter Wolfgang Rühlemann tauche erst mit 40 Jahren mit Joggerfähigkeiten in Seesen auf. Er konnte seine Beine zwar schnell bewegen, verbrauchte dabei aber viel zu viel Energie. Seine Laufpartner und Lauftrainer Greif mussten ihm erst einmal das die Grundlagen des Laufens beibringen. Und er lernte schnell.
Schon nach einem Monat meinte der MTV Trainer: Das ist ein Talent! Was mit 40? Aufgrund seines vergleichsweise hohen Alter und seiner Unerfahrenheit, drückte sich der MTV-er seit Jahren um die großen Titelkämpfe. Er wähnte sich unterlegen, oder man könnte es auch etwas anders aus drücken, er hatte einfach Furcht vor den scheinbar überstarken Gegnern. Trainer Greif drohte schon mit Konsequenzen: "Wenn du was gewinnen willst, dann musst du auch hingehen." Und in diesem Jahr wagte er sich nach Halbmarathon nach Griesheim.
Schon in die Winter starteten die Langstreckler des MTV Seesen bereits mit der Vorbereitung auf die kommende Frühjahrssaison. Die Ziele im Frühjahr 12 waren schnell ausgemacht: Deutsche-Halbmarathon-Meisterschaften in Griesheim sowie der TUI-Fly Marathon in Hannover am 6.4.12.
Wolfgang Rühlemann sah diese mit gemischten Gefühlen entgegen: „Die Trainingszeiten und Vorgaben des Trainers waren zunächst leicht zur erfüllen, und so stapften wir durch die kühlen Winterabende. Bis wieder der "Weckruf" unseres so geschätzten Trainers kam! Dieser äußerte sich wie gewohnt mit einer deutlichen Tempoverschärfung in unseren Trainingsplänen. Die Beine waren schwer, und wir hatten das Gefühl Patex unter den Laufschuhen zu haben. Es kam die Zeit des Durchhaltens.
Tag ein, Tag aus quälten wir unserer müden Knochen, aber mit dem Wissen, irgendwann Mitte bis Ende März geht es mit der Form aufwärts, es wird besser, leichter werden.
Um der derzeitigen Leistungstand darzustellen bauten wir in unserer Vorbereitung am 11.03.12 noch den Paderborner Osterlauf, einen Halbmarathon in das Trainingsprogramm ein. Diesen Wettkampf absolvierte ich als Erster meiner Altersklasse in einer Zeit von 1:20:20 h. Stefan Röbbel mit 1:21:42 und Rüdiger Birkner waren auch mit im Rennen und liefen beide Bestzeiten.
Es zeigten sich deutliche Fortschritte auf, aber es gab in der Vorbereitung noch viel zu tun. Nach diesem HM-Test schloss sich das 14-tägige Trainingslager mit der Fa. Greif in der Türkei an. Unser Trainer nennt das "Trainingsurlaub".
Unter den 76 Teilnehmer/innen fanden sich viele alte und neue Freunde wieder ein. Neben der Anstrengung im Training hatten wir aber auch viel Spaß. Auf dem "türkischen" Trainingsplan standen 210 – 240 Laufkilometer pro Woche und an jeden zweiten Tag einen Tempolauf, aus dem aufgrund der Gruppendynamik jedes Mal in Wettkampf ausartete.
Aber es wurde nicht nur trainiert. Wir lebten keinesfalls Abstinent. Ohne Bier und Rotwein hält kein Mensch die Greifschen Trainingslager aus. Auch finden sich sehr schnell Paare. Wir freuten uns als, dass Assistenztrainer Robert Jäkel fand sein Glück fand.
Nach dem ich das Trainingslager beendet hatte, hieß es sich gezielt auf die bevorstehende Deutsche Meisterschaft im Halbmarathon in hessischen Griesheim den TUI-Fluy-Marathon in Hannover vorzubereiten. Diese genannten Ziele waren fest anvisiert.
Jeder Insider weiß, dass nach einem harten Trainingslager sich vorrübergehend ein Formtief einstellt. So auch bei mir! Die Beine waren nach der Belastung in der Türkei schwer und die Leistung ließ nach.
Noch 11 Tage bis zur Deutschen Meisterschaft. Ein Wechselbad der Gefühle, zwischen Hoffen und Bangen entstand. Aber zwei Tage vor dem Wettkampf spürte ich wie meine Form rapide anstieg. Die Titelkämpfe können kommen, dachte ich mir! Unser Trainer baut die Hochform praktische Wochen- manchmal sogar Tag genau auf. Und auch diesmal klappte es wieder.
Es ging los! Mein erster Start bei einer Deutschen Meisterschaft. Ein Ergebnis unter den erste fünf wäre Spitze, eine Medaille ein Traum! 12.00 Uhr der Startschuss fiel. Über 1.300 Läufer begaben sich auf die 21,1 Kilometer lange Strecke. Davon waren 582 Meisterschafts-Teilnehmer.
Die ersten zwei Kilometer waren ein ziemliches Gedränge. Ich sah, wie die vorderen Läufer freie Strecke hatten und diesen Vorteil für sich ausnutzten indem sie sich schnell von mir absetzten. Währenddessen hatte ich mit Ellbogenschecks und Zick-Zack laufen zu kämpfen. Meine Hoffnung auf eine gute Platzierung schwand dadurch zusehends.
Peter Greif dazu: "Das war die Strafe dafür, dass sich Wolfgang immer vor Titelkämpfen gedrückt hatte. Jetzt stolperte er hinten rum, wie ein Anfänger. Man muss sich auch behaupten können in einem Elitefeld. Und das geht dann besonders schwer, wenn man kein "Standing" hat wie der Seesener."
Aber Wolfgang fand seinen Weg: "Nach zwei Kilometer kam die erste Wende. Es ging leicht bergauf. Erschwerend für alle blies uns ein nicht unerheblicher Wind entgegen. Da hieß es schnellstens eine Gruppe finden, die mein Tempo läuft.
Nach ca. drei Kilometer bildete ich mit zwei jüngeren Läufern eine Dreier-Gruppe. Die beiden Jüngeren waren für mein Leistungsniveau zu schnell und so musste ich nach jeder Wende 8 bis 10 Meter wieder aufschließen. Die ersten fünf Kilometer liefen wir in 18:34 Minuten. Kilometer zehn passierten wir nach 37:10 Minuten. Danach konnte ich mich nur noch darauf konzentrieren mit den beiden Konkurrenten mitzuhalten. Aber ich musste unbedingt meinen Altersklassenrivalen gegenüber Boden gut machen, also hieß es für mich kämpfen und dranbleiben.
Ab Kilometer 14 sammelten wir eine Gruppe nach der anderen ein. Mein Gedanke war: "Kann ich eventuell unter die ersten fünf zu kommen? Dieser Gedanke wuchs. Bei Kilometer 18 zog ein Läufer meiner bis dahin gut funktionierenden Läufergruppe das Tempo an, ich konnte nicht mehr folgen. Der dritte Läufer unserer Gruppe musste folglich aussteigen. Die nächste Läufergruppe war etwa 30 Meter vor mir. Also ran! Bei Kilometer 20 hatte ich sie. Als die letzte Wende geschafft war, ging leicht bergab in Richtung Zieleinlauf ins Stadion.
Um eine bestmögliche Platzierung zu erreichen musste ich mich unbedingt von der Gruppe absetzen. Ich war mit meiner Kraft am Ende. Unser Trainer aber sagt: "Es gibt kein Kraftende. Es ist nur dein Geist, der versucht dir dieses Ende vorzugaukeln. Es ist niemals der Körper der aufgibt, sondern immer der Geist." Also redete ich ständig auf mich ein: "Es geht dir gut, du kannst noch und der da vorne ist bestimmt noch schlaffer als du."
Und wenn du jetzt nur noch fünf Minuten das Tempo hoch hältst, dann hast du deinen bisher größten sportlichen Erfolg erreicht." Also rannte ich um Alles. Zwei Läufer "klammerten" sich an mich. Im Stadion noch ein Endspurt von ca. 150 Metern. Dabei wurde ich allerdings noch einmal selbst überspurtet. Beim Passieren der Ziellinie blieben die Uhren 1:18:49 stehen!
Nach dem Zieleinlauf begann das lange Warten und das Hoffen auf eine gute Platzierung. Ca. 30 Minuten später wurden die ersten Ergebnisse veröffentlicht. Und; hinter meinem Namen stand eine 2 in der Altersklassen-Wertung (55). Ich konnte es kaum fassen: Deutscher Vize-Meister im Halbmarathon in meiner Altersklasse im ersten nationalen Titelrennen. Die Silbermedaille einer Deutschen Meisterschaft wog alle Anstrengungen, Quälereien und Schmerzen auf.
Der Hannover-Marathon kann kommen!!!
(Text von Wolfgang Rühlemann und Peter Greif)