Vielleicht geht es dir schon auf die Nerven, dass ich gern und oft von früher schreibe. Das kann ich gut verstehen, denn es hat mich in der Vergangenheit selbst genervt, wenn meine Eltern mir ständig vorhielten, dass früher alles besser war. Und es nervte besonders, weil wir jüngeren Leute sahen, dass es einen allgemeinen Fortschritt gab.
Die Produkte wurden besser und attraktiver, die Menschen gesünder, die Häuser komfortabler und im Sport ging es schneller, höher und weiter. Darum war das "Früher" für mich nur ein "Gefasel" der älteren Generation.
In der jetzigen Zeit befinden wir uns aber in einem anderen, seit Generationen nicht bekanntem Zustand und dies besonders in unserer Sportart. Die Leistungen unserer Langstreckler sinken nun schon seit Jahrzehnten zu Boden. Die Gesamtheit und auch die Spitze der deutschen Läufer wird immer langsamer.
Und dies obwohl die Hilfsmittel wie optimalere Ernährung, leichtere Schuhe, technische Unterstützung und bessere sportwissenschaftliche Informationen deutlich zugenommen haben, um nur einige Dinge anzusprechen.
Und hat uns das alles geholfen? Nein, ganz sicher nicht. Ich bin 1973 meinen ersten Marathon nach einem Jahr Training in 2:41 h gelaufen. Ohne zu trinken, zu essen, ohne Taktik und Pulser. Mein Körpergefühl zeigte mir den Weg und die Zeit.
Versagensangst bei Halbmarathon
Heute schleicht sich schon die Versagensangst in die Knochen derer, die einen Halbmarathon planen. So wurde ich in den letzten Wochen mehrfach gebeten, einen Halbmarathon-Taktikrechner zu entwickeln. Alle diese Schreiben wurden unisono von der "Marathonfurcht" getragen.
Die "Marathonfurcht" ist das sportliche Märchen vom Hammermann, der irgendwo hinter der nächsten Kurve lauert und einen Läufer(in) mit einem herzinfarktähnlichen Fluch belegt, die Nervenstränge zu den Laufmuskeln kappt und zudem das Enzym "Ernergieexase" ausschüttet.
Dieses Märchen ist nicht aus den Köpfen unserer Szene zu vertreiben. Den Neulingen wird es umgehend vermittelt, um die eigene Überlegenheit damit hervorzuheben. Selbst kennt man natürlich keinen Hammermann, aber die "Schlaffsäcke" rundherum im Lauftreff warten alle in zittriger Furcht auf ihn.
Diese Furcht ist unnötig, wenn du richtig trainierst und als längste Strecke 35 km läufst, dann wirst du den Glauben an den "Hammermann" verlieren. Aber damit bist du noch nicht aus dem Schneider, denn was es wirklich gibt, ist die "Gummiband-Hexe". Die macht dir heimlich ein ganz langes Gummiband am Rücken fest und bindet dieses am Startpfosten fest.
Und so langsam wird dieses Band im Verlauf des Rennes immer straffer gespannt. Nur mit mentaler Stärke kommst du gegen Ende des Wettkampfs gegen dieses Band noch an. Auf den letzten Metern kann man es sich sogar ganz wegdenken. ;-)
"Gummiband-Hexe"
Das fiese an der "Gummiband-Hexe" ist, dass sie ihr Band immer gleich lang macht und deshalb ist es beim Marathon erst ab der Mitte gespannt und am Ende besonders straff. Im Gehen könntest du die Rückwärtsspannung ja noch ertragen, aber du willst laufen, weil Holger Meier kommt und die Bestzeit ruft. Das tut weh und die Hexe kichert.
Nur mit deiner ganzen körperlichen und geistigen Kraft kannst du beide überwinden. Im Ziel, wenn du Holger und die "Gummiband-Hexe" geschlagen hast, willst du nie wieder etwas von beiden wissen. Es bleibt aber oft die Furcht, dass sie bei einem Halbmarathon auch wieder am Startpfosten lauert.
Ich kann dir versichern, dieses Contigesicht von Hexe lernst du bei einem HM kaum jemals kennen. Auch wenn sie das Band kürzer macht, wirst du keinen schmerzhaften Einbruch erleben.
Du wirst dich fragen, warum das im Gegensatz zum Marathon so ist. Das ist erklärbar: Auf dem 42,2 km-Kurs kommt es gegen Ende hin zu Stoffwechselproblemen. Diese sind bei durch- und unterdurchschnittlich trainierten Menschen sehr stark, bei Spitzenläufern weniger, aber doch vorhanden. Es fehlt allen an den nötigen Substraten, um die gewählte Geschwindigkeit bis zum Ziel halten zu können.
Um dennoch das Tempo weiter hoch halten zu können, greift der Körper unter dem Druck seiner Stresshormone auf seine stillen, aber wichtigen Reserven zurück.
Jeder Bereich, der noch Energie liefern kann, wird zum Dienst am Tempo herangezogen. Das ist zum Beispiel die Proteinreserve des Organismus, wobei auch Teile des Immunsystems mit verstoffwechselt werden und auch das Glykogen der Leber wird immer wieder gern genommen.
Richtig böse wird es aber, wenn auch diese Rücklagen aufgebraucht sind und man immer noch nicht im Ziel ist, dann geht es an das Muskel- und Bauprotein. Selbst aus Bändern, Sehnen und anderen Bauteilen des Körpers wird Eiweiß geholt, um es zu verheizen.
Wie viel du davon verloren hast, bemerkst du in den Tagen nach dem Marathon. Je mehr Schmerzen du hast, desto stärker war dein Verlust an Bauprotein. Auch die oft sich schnell meldende Erkältung ist diesem Verbrauch geschuldet.
Trainingsaspekt bei Halbmarathon
Und da kommen wir zu einem Trainingsaspekt. Je kürzer deine längste Trainingsstrecke und dein Gesamttrainingsumfang ist, desto weniger wirst du diese Schmerzen spüren. Dein Organismus hat vorgesorgt für harte Zeiten und stellt dir die gespeicherte Energie auf einem gesunden Weg zur Verfügung.
Und dann denke einmal daran, das eine Reihe von verantwortungslosen Trainern schreiben und mündlich versichern, dass eine Marathonvorbereitung mit einer maximalen Streckenlänge von 30 km bestritten werden kann.
Dazu schieben sie oft mehr oder weniger unterschwellig ein, dass dieser "Sportverbrecher" Greif seine Leute mit den 35 km-Läufen kaputt trainiert. Das muss ich hinnehmen, denn darüber quatschen sie schon seit mehr als 25 Jahren.
Aber wenn du nachdenkst, dann wird dir klar, dass jemand, der sich mit 35 statt 30 km vorbereitet, die oben beschriebenen negativen Auswirkungen in einem deutlich geringeren Ausmaß spürt. Er oder sie kommen einfach unbeschadeter in das Marathonziel.
Meine Gegner haben einen geschickten Weg gefunden, ihre Schmeichel-Trainingsmethode anzupreisen: "Bei mir brauchst du nicht so viel km zu laufen und auch nicht so lange Strecken und du wirst trotzdem gut." Ja stimmt, wenn man denen ein Schontempo vorgibt. Zum Beispiel eines im Verhältnis zur 10 km-Zeit mit einem Faktor von 4,9.
Damit kommen die immer durch, der Körper wird nicht so schwer belastet und die Schmerzen in den Tagen danach sind erträglich. Aber der Preis dafür ist hoch. Individuell eine miese Endzeit und im allgemeinen ein Feld, welches eher einer Massenwanderung gleicht als einem Wettkampf.
Zu hoch gewähltes Anfangstempo
Nun aber zurück zum Halbmarathon (HM). Alles das, was hier über den Weg in das Ziel des Marathons zu kommen beschrieben wird, wirst du in einem HM nie erleben. Auch wenn du noch so schnell angehst, wirst du nicht körperlich zusammenbrechen.
Im Gegenteil, ein zu hoch gewähltes Anfangstempo kannst du über die 21,1 km auch wieder "heilen". Wenn du dich dann auf das wahrhaft mögliche Tempo zurückfallen lässt, kommst du immer noch ohne Probleme und ohne großen Zeitverlust in das Ziel.
Du solltest dir merken: Die Strafe für zu schnelles Angehen ist bei einem Marathon sehr hart, beim HM hingen unverhältnismäßig klein. Deswegen suche im Habmarathon dein Tempo nach Gefühl, du wirst es finden.
Wenn du taktisch angehen willst, dann startest du mit dem vorher errechneten Durchschnittstempo und versuchst es gleichmäßig durchzubringen. Das ist am unkompliziertesten und verspricht den größtmöglichen Erfolg.
Und bleibe locker. "Hammermann" und "Gummihexe" haben keinen Spaß am HM, weil es dort wenig für sie zu holen gibt. Und vor allen vergiss die "Marathonfurcht", die ist bei einem HM absolut nicht angebracht.