Den September fürchte ich wegen seiner vielen Hilfeschreie. In diesem Monat stehen wichtige Wettkämpfe an und die müssen sitzen. Hat man danach doch kaum noch Zeit eine Schmach zu tilgen. Das ist besonders beim Marathon so.
Obwohl es oft versucht wird einen vergeigten Berlin- oder Köln-Marathon mit einem Jubelrennen in Frankfurt zu heilen. Dies klappt aber meist nicht. In 85% aller Fälle reißt man bei dem Versuch der Heilung eine noch tiefere Wunde in das verletzte Selbstwertgefühl.
Denn unser aller Organismus arbeitet nur teilzeitig im Rahmen einer Hochform. Hat er die einmal gehabt, dann weigert er sich in der Regel noch einmal in die Puschen zu kommen, um eine weitere Form zu produzieren.
Da können wir ihn in den Hintern treten (trainieren), wie wir wollen, er antwortet mit einem gekonnten Fatalismus und verlangt nach Ruhe, dann erst wird er sich wieder den Tritten beugen, um eine neuerliche Form zuzulassen.
Aber was ist eigentlich eine Form? Darüber scheint in der Läuferszene keine völlige Klarheit zu herrschen. Als Beispiel dazu die Mail eines Läufers, welche mich Mitte September erreichte:
"Hallo Peter,
was ist bloß mit meiner Form los? An einem Tag hui am anderen Tag pfui. So ging es am Donnerstag bei der Teufelstreppe 1000-2000-3000-4000 super. Ich konnte jede Stufe ein paar Sekunden/km schneller laufen. Und heute???
Ich lief die 35 mit 12 km Endbeschleunigung (EB) schon heute, weil morgen wegen einer Familienfeier die Zeit fehlt, außerdem ist Dauerregen angesagt. Es ging ganz normal los aber schon bei ca. 12 km merkte ich, daß das heute nicht leicht wird.
Bei km 21 komme ich an einem Messpunkt vorbei, da war ich schon ziemlich platt. Bei km 23 begann ich die EB musste aber immer wieder Pause machen und bei km 30 war dann finito. Ich konnte die restlichen 5 km nur noch heim traben, und selbst dabei musste ich noch Gehpausen machen.
Das war pure Tierquälerei. Ich war so kraftlos, dass ich einfach nicht mehr durchlaufen konnte. Vielleicht war ich auch dehydriert. Trotz ca 1 1/2 l Flüssigkeit die ich zu mir nahm, hab ich von 77 auf 74,5 abgenommen.
Es hat wohl jeder mal ein Tief, aber bei mir kommt das in letzter Zeit immer wieder vor. Bei den Wiederholungsläufen gehts meist gut aber ich hab immer wieder meine Schwierigkeiten mit den Tempodauerläufen.
Die 35er mit EB liefen bisher meist auch nicht schlecht und jetzt dieses Desaster. Wenn ich beim Essen-Marathon in drei Wochen ähnlich drauf bin dann gute Nacht.
Ich hab irgendwie das Gefühl als wäre meine Form auf dem absteigenden Ast. Kann ich noch irgendwas machen um da dagegen zu steuern, oder mach ich mir zu viele Gedanken und das ist alles ganz normal.
Danke im Voraus für deine Einschätzung und vielleicht einen kleinen Tipp. Gruß Ralf (Name geändert)"
Hier muss ich mir die Frage stellen, geht es hier um ein Formproblem oder ein Tagesformproblem. Dazu müssen wir uns aber erst einmal fragen, was denn überhaupt eine Form ist. Das ist eigentlich ganz einfach, eine Form ist ein längerer Zeitraum mit einer erhöhten Leistungsfähigkeit.
Meist kann man in unserem Bereich eine Form nur über sechs Wochen halten. Wobei wir meist nur in den mittleren 3 Wochen von einer Hochform sprechen können. Durch kurzes und zu schnelles Training kommt es sogar vor, dass man nur eine einzige Woche in Form ist.
Das schließt aber alles nicht aus, dass es auch im Rahmen einer Form eine schlechte Tagesform geben kann, so wie das bei Ralf der Fall war. Seine Vermutung, dass seine Form schon jetzt auf dem Abstieg ist, kann man mit einer einzigen miesen Langen Runde nicht begründen. Aber aus seinen Zeilen kann man die Ursachen schon herauszulesen.
Zum Beispiel aus diesen Sätzen: "An einem Tag hui am anderen Tag pfui. So ging es am Donnerstag bei der Teufelstreppe 1000-2000-3000-4000 m super. Ich konnte jede Stufe ein paar Sekunden/km schneller laufen. Und heute???
Ich lief die 35 mit 12 km Endbeschleunigung (EB) schon heute, weil morgen wegen einer Familienfeier die Zeit fehlt, außerdem ist Dauerregen angesagt. Es ging ganz normal los aber schon bei ca. 12 km merkte ich, dass das heute nicht leicht wird."
1. ist Ralf am Donnerstag die schwere "Lange Treppe hoch = Teufelstreppe" schneller gelaufen als im Plan steht. Er hat sich also richtig die Kante gegeben und das ist hart. Denn diese Einheit ist schon schwer genug im vorgegebenen Tempo.
"Ich lief die 35 mit 12 km Endbeschleunigung (EB) schon heute, weil morgen wegen einer Familienfeier die Zeit fehlt, außerdem ist Dauerregen angesagt."
2. hat er danach einen Tag statt zwei Tage Pause gemacht. Es ist aber die Regel, dass zwischen einem Tempolauf und der Langen Runde immer zwei Tage liegen sollten. Das ist zwar nicht immer machbar, aber sinnvoll um die lange Runde durchstehen zu können. Besonders die mit Endbeschleunigung.
"Das war pure Tierquälerei. Ich war so kraftlos, daß ich einfach nicht mehr durchlaufen konnte. Vielleicht war ich auch dehydriert. Trotz ca 1 1/2 l Flüssigkeit die ich zu mir nahm, hab ich von 77 auf 74,5 abgenommen."
3. ist aus den vorhergehenden Zeilen klar rauszulesen, dass er für die herrschenden Temperaturen einfach zu schnell gelaufen ist. Das zeigt sich an seinem Gewicht. Ralf konnte das verlorene Wasser nicht vollständig ersetzen.
Jeder dieser Fehler war aber schon allein geeignet die Einheit scheitern zu lassen. Hoffentlich lernt er aus diesen. Besonders das nicht angepasste Verhalten an die herrschenden Temperaturen stimmt mich bedenklich. Denn wer die Temperaturbelastung schon im Training nicht richtig einschätzen kann, wird es auch kaum im Wettkampf können.
Wir können nur hoffen, dass Ralf in der verbleibenden Zeit noch lernt mit den Umwelt- und seinen persönlichen Dingen umzugehen. Und er sollte auch lernen, vergeigte Einheiten nicht unbedingt mit schlechter Form zu erklären. Oft liegt es wie in seinem Fall an einer selbst produzierten Tagesform.
Du wirst dich sicher erinnern, dass du auch schon einmal in Zustände geraten bist, die du mit mangelnder Form erklärt hast. Am Anfang einer Trainingsperiode sind diese Trainingsleistungsausreißer aber einfach nur eine Leistungsschwankung.
Als Beispiel mag die Lange Runde in der 8-wöchigen Marathonvorbereitung gelten. Mindestens einer der 35 km-Läufe geht immer daneben, aus welchen Gründen auch immer. Dies ist kein Anlass zur Sorge, der Trainingserfolg wird davon nicht beeinflusst.
Schlimm wird erst, wenn du auf schief gelaufenen Einheiten mit erhöhtem Einsatz reagierst. Erst dann überforderst du deinen Organismus. Aber leider sind wir ambitionierten Läufer anders gestrickt. Bei uns gilt nur eines: Wenn die geforderten Tempi oder Umfänge aus dem Plan nicht erfüllt werden können, dann müssen wir härter trainieren.
Und das ist unser aller schlimmster Fehler, denn wenn du eine Einheit nicht erfüllen kannst, dann ist das ein Zeichen, dass dein Körper aus inneren oder äußeren Gründen an diesem Tag nicht in der Lage ist seine Arbeit im geforderten Umfang zu erfüllen.
Er braucht also etwas Ruhe, um wieder in den Zustand zu kommen, der erwünscht ist. Und wenn du dann die Peitsche nimmst, um ihn anzutreiben, dann wird er sich zwar noch einmal aufraffen, aber bei häufiger Anwendung der Peitsche in lustlose Lethargie verfallen.
Fazit: Wann immer es in einer intensiven Trainingsperiode nicht gut läuft, nehme die Intensität zurück. Oft reicht es schon, wenn du 5 sec/km langsamer läufst als vorgegeben. Dein Körper wird es dir danken und mit neuer Leistungsbereitschaft antworten.