Vielleicht gehe ich dir auf die Nerven mit meinem Gejammere über den Rückgang der Anzahl der Marathonläufer in Deutschland. Die unten stehende Grafik brauche ich nicht zu kommentieren, der Trend ist klar: Es laufen immer weniger Menschen bei uns die 42,2 Kilometer.
Starts deutscher Marathonläufer 2013 weltweit
"Ja", sagte mir gerade jemand vor einiger Zeit, "die Straßen sind doch aber bei den Veranstaltungen immer voller." Das stimmt, aber die große Anzahl von Menschen, die man auf den Marathonstrecken unserer Bundesrepublik laufen sieht, sind größtenteils Halbmarathonläufer.
Wir haben bei der Deutschen Halbmarathon-Bestenliste und der deutschen Marathon-Bestenliste noch nicht alle Daten zusammen, aber es steht schon jetzt fest, dass es über die 21,1 km mehr als zweimal soviel Läufer und Läuferinnen gibt, als auf der doppelt so langen Strecke. Deren Anzahl wird ziemlich sicher bei über 200.000 Teilnehmern liegen.
Auf den ersten Blick erscheinen diese Zeilen gewaltig und überraschend. Aber das ist der Trend der Zeit und dem werden wir nicht entgehen können. Einen Halbmarathon kann man, wie es so schön heißt "aus der kalten Hose laufen".
Wir können ohne Probleme an diesem Wochenende entscheiden, dass wir am nächsten Wochenende ohne Vorbereitung einen Halbmarathon laufen. Aber man muss schon ziemlich verrückt sein, wenn man das gleiche bei einem Marathon versucht.
Und es ist das Recht eines jeden einzelnen zu entscheiden, welche Strecke er laufen möchte. Und da ein Mensch in der Regel meistens den leichtesten Weg wählt, geht er den des Halbmarathons. Von seinem Umfeld aus gesehen, ist er damit ein anerkannter Sportler und wird als hoch ausdauerfähig angesehen.
Ausdauer muss man bei einem Halbmarathon haben, aber hoch ausdauerfähig muss man nicht sein. Jeder auch nur leidlich gesunde Mensch kann diese Distanz schaffen. Dies ist aber nicht so beim Marathon.
Aber diese Umstände wirst du mit Sicherheit schon kennen, darum will ich mich heute auch auf diese einführenden Worte beschränken und mich zu den Unterschieden zwischen Halbmarathon- und Marathontaktik wenden.
Der größte Unterschied zwischen beiden besteht in der Möglichkeit der Überlastung schon auf der ersten Streckenhälfte. Wenn du im Marathon auch nur auf den ersten 21 Kilometern eine Minute schneller läufst, als du wirklich kannst, dann gibt es harte Strafen am Ende.
Im Gegensatz dazu auf der Halbmarathonstrecke. Hier ist meist keine Zurückhaltung auf den ersten Kilometern geboten. Hier kannst du ein gleichmäßiges Tempo einschlagen vom Start bis zum Ziel.
Ich selbst habe in meinem Läuferleben als aktiver Athlet wohl mehr als hundert 25 km-Rennen bestritten. Diese Distanz lässt sich ähnlich laufen wie ein Halbmarathon. Es kam vor, dass man damals innerhalb von drei Wochen drei 25 Kilometer-Rennen bestreiten musste.
Bei dieser Art von Rennen gibt es eine Vielzahl von taktischen Möglichkeiten, im Gegensatz zum Marathon. Wie schon erwähnt ist ein zu schnelles Angehen über die 42,2 Kilometer sehr ungesund für die Endzeit.
Das ist nicht so beim Halbmarathon! Hier kannst du ohne Probleme auch einmal die ersten fünf Kilometer eine halbe Minute zu schnell laufen, als du eigentlich geplant hattest. Wenn du dann merkst, dass dieses Tempo zu hoch ist, kannst du dieses wieder runterschrauben und du wirst sehen du erholst dich im Laufe des Rennens wieder und bekommst am Ende dennoch ein akzeptables Ergebnis.
Für deine Psyche ist es aber besser, wenn du deine Laufgeschwindigkeit auf deine Leistungsfähigkeit hin planst, damit du am Ende auch noch in der Lage bist einen Angriff der Konkurrenz zu kontern. Es ist aber nicht empfehlenswert, wie beim Marathon mit einem so genannten negativen Split zu arbeiten. Damit meint man eine schnellere zweite Hälfte.
Ich habe das früher mehrfach versucht und zumindest einmal dabei einen möglichen deutschen Altersklassenmeisterschaft-Titel vergeigt. Nach ruhigen ersten Kilometern erhöhte ich ständig das Tempo und rollte das Feld von hinten auf.
Obwohl ich die zweite Hälfte am schnellsten bestritt, gelang es mir nicht mehr an die Spitze zu kommen. Es waren vielleicht 200 Meter Rückstand zum Sieger, aber auch auf das Treppchen gelangte ich nicht.
Es gehört auch zur Taktik dazu, dass man erkennt, wie lange die Dauer der Regeneration nach einem Rennen sein muss. Dieser Zeitraum wird speziell von Anfängern meist weit überschätzt. Wenn du mitten in der Saison bist, dann kannst du nach einem Halbmarathonrennen am Wochenende schon am Mittwoch wieder Tempo laufen.
Am Anfang der Saison, geht das nicht ganz so gut, denn dort kann man zwar auch in der Wochenmitte schon wieder schneller laufen, aber man spürt doch seine Muskelknochen und Sehnen. Im weiteren Verlauf hat sich dein Organismus aber daran gewöhnt.
Wenn du dieses Verfahren auch nach einem Marathonlauf anwendest, dann beginnst du einen großen Fehler gegenüber deinem Körper. Bei einem 42,2 Kilometer-Rennen werden Muskelzellen zerstört, im harten Kampf wird der Proteinvorrat in deinem Blut verstoffwechselt. Damit werden Teile des Immunsystems als Energie in die Muskeln verbrannt, und wenn es dem Organismus dann immer noch nicht reicht, dann geht dieser auch noch an dein Bindegewebe.
Das ist kein großes Problem, es wird nach und nach alles wieder repariert, aber das braucht seine Zeit. Und diese Zeit ist umso länger, desto frischer dein Eintrittsdatum in die Szene der Marathonläufer ist.
In Zahlen ausgedrückt heißt das, dass ein alter Marathon-Hase innerhalb von sieben Tagen wieder fit ist und ein Frischling dazu in der Regel drei Wochen braucht. Bei ganz harten und schwer erkämpften Rennen kann die nötige Erholung auch drei Wochen und mehr betragen.
Die meisten von uns, die ein 42,2 Kilometer-Rennen bestreiten, können sich nach folgender Regel richten: Einen Tag nach dem Marathon-Wettkampf kein Training. Nachfolgend sechs Tage lang regenerative Dauerläufe.
Anschließend ziehst du progressiv in der zweiten Nachmarathonwoche dein Training wieder auf ein normales Niveau hoch. Hast du ein gutes Körpergefühl, kannst du schon am zehnten Tag nach dem Rennen wieder einen Tempolauf bestreiten.
Sind deine Beine immer noch schwer und du fühlst dich nicht richtig fit, dann solltest du weiterhin nur bei regenerativen Dauerläufen bleiben, dabei aber die Umfänge erhöhen. Irgendwann bekommst du dann wieder Lust auf Tempoläufe und dann weißt du, dass du durch bist mit der Regeneration. Dann kannst du jede Vorsicht im Training vergessen.
Witzigerweise ist es für gute und schon länger trainierende Marathonläufer möglich, 14 Tage nach dem 42,2-Kilometer Rennen einen Wettkampf von fünf bis 21,1 Kilometer zu bestreiten. Die Chance ist hoch, an diesem Tag eine neue Bestleistung über die kurzen Strecken zu erzielen.
Es gibt kaum einen Ratschlag von mir, der so große Erfolgsaussichten auf ein Rekordrennen hat, wie dieser. Dennoch musst du vorsichtig sein, wenn du dich mit geringen Umfängen und wenigen Tempoläufen vorbereitet hast, dann kann die ganze Sache auch in die Hose gehen.
Denn dann brauchst du eine wesentlich längere Erholungszeit als diejenigen, die sich sorgfältiger auf den Marathon vorbereitet haben.