Nichts bleibt so wie es ist, alles ändert sich, alles fließt. Und auch unser Sport wandelt sich. Manches wird besser, professioneller, aber in anderen Bereichen spürt man, dass irgend etwas epochal falsch läuft.
Besonders rund um den Marathon spüren wir Veränderungen. Aber woher kommt diese Unsicherheit? Es gibt doch immer mehr Läufer(innen). Unsere Königsdisziplin, der Marathon feiert Erfolge auf den deutschen Straßen. Die Teilnehmerzahlen stagnieren zwar, die Straßen der meistbesuchten Marathons sind aber so oder so überfüllt.
Was so völlig anders geworden ist, möchte ich mit zwei Marathonszenen beim Berlin-Marathon, einmal im Jahr 1982 und ein andermal 2011 beschreiben.
1982 stand ich als Zuschauer auf dem Kudamm etwa 1000 m vor dem Ziel und feuerte mir bekannte Läufer(innen) aus dem ersten Leistungszehntel an. Ich forderte sie auf, nun endlich einmal "die Bremse los zu machen" um noch eine gute Zeit und oder Platz zu erringen.
Gut die Hälfte derer, die dem Ziel entgegen strebten, konnte ich mit Namen anfeuern. Das brachte eine kleine Gruppe von leicht angetrunken Zuschauern fast aus dem Häuschen. Einer schrie:" Der kennt jeden der 3000 Starter!"
Das war nur scheinbar so, denn es war das fordere Feld und darunter waren sehr viele deutsche Läufer(innen), die dankbar für eine verbale Unterstützung waren.
Welch ein Gegensatz dazu das Jahr 2011. Ich schaute in das Feld der anonymen Masse, nur ganz selten blitzte ein bekanntes Gesicht auf, die Ausländer beherrschten anscheinend das Feld von vorne bis hinten.
So weit so gut, so ist es halt. Mehr Gedanken machte ich mir nicht. Bis mich unser Webmaster Jens Peters auf unsere Marathonbestenliste aufmerksam machte: "Ist dir eigentlich klar, dass wir von 2007 bis 2011 fast 30000 deutsche Marathonstarter verloren haben? War mir nicht und schon gar nicht, in diesem Maße.
Die nachfolgende Statistik von Jens erstellt, erschlug mich dann doch fast. Bitte betrachte sie kritisch, denn sie enthält einige Ungleichgewichtigkeiten:
Jahr | Herren | Damen | Gesamt | Läufe |
2002 | 82842 | 13991 | 96833 | 165 |
2003 | 86162 | 16424 | 102586 | 233 |
2004 | 97685 | 19518 | 117203 | 247 |
2005 | 101752 | 20706 | 122458 | 260 |
2006 | 104999 | 21845 | 126844 | 319 |
2007 | 105485 | 21673 | 127158 | 297 |
2008 | 100756 | 21028 | 121784 | 291 |
2009 | 89331 | 19139 | 108470 | 200 |
2010 | 84808 | 18605 | 103413 | 228 |
2011 | 79684 | 17551 | 97235 | 282 |
Die Jahre 2002 bis 2005 konnten als Vergleich nicht mit herangezogen werden, denn in diesen Jahren führten wir die Liste als "wahre" Marathon-Bestenliste. Das heißt, jeder Läufer(in) wurde nur mit seiner persönlichen Jahresbestzeit geführt, Mehrfacheinträge versuchten wir zu löschen.
Da dieses Verfahren einfach zu aufwändig für uns war, führten wir ab 2006 alle Zeiten der Marathonläufer(innen) im aktuellen Jahr. Trotzdem gingen die Zahlen kaum nach oben und ab 2007 gnadenlos abwärts. 2007 starteten noch 127- und 2011 nur noch 97-Tausend deutsche Läufer weltweit.
Fast 30000 Marathonläufer(innen) weniger von 2007 bis 2011!
Den nächsten Niederschlag erhält man bei der Betrachtung der Marathon-Bestenliste des Leichtathlektik-Weltverbands, die im gleichen Format geführt wird.
Die Suche nach dem besten deutschen Läufer endet im Grauen: Unter den ersten Tausend ist kein Deutscher zu finden. Dann einsam Jan Fitschen mit 2:15:40 und Sören Käh mit 1:17:60 h und das war es schon.
Vielleicht wirst du argumentieren, dass die Afrikaner die Spitze der Marathonwelt beherrschen. Das ist sicher richtig, aber warum sind denn unsere direkten Nachbarn uns so weit überlegen?
Bester Italiener 2:11, schnellster Österreicher 2:12, bester Franzose 2:09, bester Niederländer 2:12, schnellster Schweizer 2:12, bester Brite 2:10, schnellster Pole 2:09 und last not least lief der schnellste Ire 2011 eine 2:13 h. |
Die europäischen Ausländer kommen zu uns, laufen ihre guten Zeiten und wir schauen mit offenem Mund zu.
Eine grobe Übersicht gibt ein Ausschnitt der Starterlisten der größten deutschen Marathons, hier nur bei den Herren. Bei den Damen sieht es aber auch nicht besser aus. Nur noch ca. 40% der Berliner Finisher sind Deutsche, die Massen stellt die Internationalen im Ziel.
Ort |
Gesamt Läufer im Ziel |
davon Deutsche | ca. % Deutsche |
Berlin | 25618 | 10492 | 41 |
Frankfurt | 10054 | 8323 | 82 |
Hamburg | 8914 | 7253 | 81 |
Köln | 4394 | 3805 | 87 |
München | 3894 | 2763 | 71 |
Grundsätzlich ist es so, dass die kleineren Veranstaltungen im Verhältnis mehr Einheimische anziehen. Aber wie auch immer, wo sind die 30000 Marathon Läufer(innen) seit 2007 hin?
Es wird spekuliert, dass es die hohen Preise bei den großen Veranstaltungen sein könnten, die die Bundesrepublikaner abschrecken. Wenn dem so wäre, dann müssten sie ja bei anderen preiswerteren Veranstaltungen auftauchen.
Wir haben im Jahr 2011 278 Veranstaltungen von Arnhiem bis Zürich erfasst und auch außereuropäische Marathons in den Daten. Natürlich werden wir einzelne Rennen nicht erfasst haben, aber das kann den Charakter dieser Statistik nicht entscheiden ändern.
Wo sind sie nun hin die 30000 vermissten deutschen Läufer(innen)? Kein Bock mehr immer der Looser zu sein? Marathon ist zu anstrengend, da laufe ich doch lieber einen lockeren Halbmarathon? Ich habe keine Zeit für ein umfangreiches Marathontraining.
Suchst du Gründe für dich, warum du keinen Marathon mehr läufst oder laufen willst? Vieleicht findest du, dass ein Halbmarathonrennen lang genug ist? Dann kann ich dir versichern: Eine Vorbereitung auf einen HM erfordert zwar erheblich weniger Aufwand als ein Marathon. Dafür ist der emotionale "Lohn" eines erfolgreichen 42,2 km-Rennen um ein Vielfaches höher als bei einem Halbmarathon.
Du wirst dich nach Abschluss deiner Laufkarriere nur an ganz wenige HM´s erinnern, aber keinen deiner gelaufenen Marathons wirst du jemals vergessen, weil du in jedem dieser Rennen der Held warst. Wie du es auch immer betrachtest.
Oder denkst du, wir sind einfach eine 3-Minuten-Eier-Nation geworden und die kann ich allein auch nicht mehr retten?
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