Der Name Isabell Baumann sagt sicher einigen von uns noch etwas. Diese Dame war einmal Bundestrainerin der deutschen männlichen Bahn-Langstreckler. Erworben hatte sie sich dieses Amt nicht durch eigene überragende sportliche Leistungen oder Erfolge als Trainerin mehrerer Athleten(innen), sondern einzig allein durch ihre persönliche Verbindung mit dem genialen Läufer Dieter Baumann, den sie dann auch ehelichte.
Schon bald trat sie von diesem Amt aber zurück, weil man ihr vorwarf in den Dopingskandal ihres Mannes verwickelt zu sein. Die Trainerschaft im DLV war beim Beginn ihrer Amtszeit natürlich höchst erstaunt und skeptisch gegenüber dieser jungen Frau. Aber wir waren es ja seit Jahren gewohnt. Eine Frau erbrachte in ihrer Disziplin überragende Leistungen und schon war der Ehe- oder Lebenspartner Bundestrainer.
Das bekannteste Beispiel ist Katrin Dörre-Heinig, deren Mann Wolfgang Heinig später Marathon-Bundestrainer wurde. Das ist auch nicht zu beklagen und auch nicht das heutige Thema. Darum zurück zu Isabell Baumann.
Nachdem sich die Skepsis ihr gegenüber gelegt hatte, konnten wir, die Heimtrainer, doch von ihr profitieren, denn sie ging mit Ernst und Intelligenz an ihren Job heran. Bei einem Trainerlehrgang analysierte sie einmal das Lauftempo der hauptsächlich kenianischen und äthiopischen Welt-Spitzenläufer.
Im Großen und Ganzen fand sie heraus, dass unsere deutschen Läufer das Tempo der Weltelite durchaus laufen können, dies aber nur 3000 m lang. Am Anfang hätte ich fast losgeprustet vor Lachen, weil mir dieser Schluss einfach - ich will es einmal milde ausdrücken - zu simpel erschien. Was Isabell Baumann damit aber meinte war, dass wir es lernen müssen länger schnell zu laufen.
Trainingsmethodische Änderungen wurden dazu vorgestellt. So machte ich mir natürlich auch meine Gedanken. Deren Folge war, dass wir später die intensiven bis Tempo-Dauerläufe von 15 auf 18 km ausweiteten. Was aber nicht heißen soll, dass diese besonders geliebt wurden und werden. Immer wieder gab es "Mecker" von unseren Mitgliedern und einige erklärten auch, dass ihnen das zu lang ist und sie bei 15 km bleiben würden.
Die Gründe sind klar: Je länger jemand versucht ein hohes Tempo durchzuhalten, desto mehr Schmerzen erleidet er während des Endabschnitts. Besonders die nicht voll Motivierten stecken dann auf, brechen entweder das Training ganz ab oder laufen langsamer.
Da wir in jedem Jahr unser Training innerhalb der Greif-Club-Pläne in einigen Bereichen ändern, dachte ich darüber nach, wie man unsere Clubmitglieder dazu motivieren könnte, ein möglichst hohes Tempo möglichst lange durchzuhalten.
So war die erste Frage, welches denn das höchst mögliche Dauerlauftempo ist, was jemand im Training über maximal 15 km durchhalten kann. Die Antwort lag auf der Hand, es ist das Halbmarathon-Renntempo. Es hat im Gegensatz zum Marathon-Renntempo einen leichten anaeroben Anteil, es kommt aber dennoch nicht zu einer schnellen Kumulation von Ermüdungsstoffen.
Somit wird über eine lange Distanz auch ein Reiz auf die Verbesserung der maximalen Sauerstoffaufnahme gelegt. Zudem hat es auch durch eine Ökonomisierung des Schrittes eine sehr positive Auswirkung auf das Marathon-Renntempo. Denn dieses liegt zwischen 3 - 6% niedriger als das Halbmarathon-Renntempo. Das heißt, im 42,2 km-Rennen ergibt sich eine Schonzeit, aus der eine geringere Belastung der Muskulatur und des Stoffwechsels resultiert.
Wie aber bringe ich denn die Athleten(innen) dazu ein so mörderisch hohes Tempo möglichst lange durchzuhalten? Das erforderte eine lange Denkphase. Denn als Ferntrainer ist es mir ja nicht möglich am Rand der Trainingstrecke zu stehen, um die dort Rennenden zu loben, aufzumuntern oder auch zu kritisieren.
Das Training musste also etwas in sich tragen, was den Trainierenden selbst lobt, kritisiert und damit diszipliniert. Man kann es auch anders ausdrücken: Es muss loben oder bestrafen. Aber wie? Die "Erleuchtung" stellte sich bald ein: Die Idee zum "Gummiband-Training" war geboren!
Damit war es zwar noch nicht vollständig ausgestaltet, aber ich wusste, wie es werden sollte. Genauso war mir auch klar, dass es wieder eine Menge Kritiker geben würde, weil es den/die Läufer(in) im Training gewaltig unter Druck setzen würde. So mache ich mich zur Zeit schon bereit auf eventuelle Klagen von Amnesty International. :-)
Und was ist nun eigentlich der Charakter des "Gummiband-Trainings"? Wie schon oben beschrieben ist es das Ziel, das im nächsten Wettkampf über 21,1 km geplante Renntempo 15 km lang auszuhalten. Das erste Gemeine an der Sache ist, dass es kaum möglich ist, ein solches Tempo im Training über die ganze Distanz durchzulaufen. Es sei denn, der Betroffene unterschätzt sein Leistungsvermögen oder er ist ein "Trainings-Weltmeister".
Normalerweise ist man nach der Hälfte der Strecke im Wettkampftempo "platt". Warum aber kann man es im Wettkampf? Dies liegt an der größeren Motivation, der Wettkampfatmosphäre und der daraus folgenden besseren Ausstattung des gesamten Organismus mit mehr Hormonen, Enzymen und Energieträgern. Die Ausgeruhtheit vor einem Rennen spielt natürlich auch eine Rolle.
Damit ist natürlich klar, dass man dieses Tempo zwar laufen kann, aber diese Tempohärte im Training kaum abrufen kann. Und damit man es aber dennoch schaffen kann, habe ich mir einen Trick einfallen lassen: In dem Moment der Trainierende auf den 15 km das gewollte Halbmarathon-Renntempo nicht mehr halten kann, wird dieses abgebrochen. Und zwar ist das dann der Fall, wenn erstmals ein 400 m-Abschnitt mindestens 2 sec langsamer gelaufen wird, als im gewählten Halbmarathon-Renntempo.
Es wird aber dennoch ohne Pause 400 m in einem etwas langsameren Tempo weiter gelaufen, nennen wir es einmal "Erholtempo". Wenn diese 400 m zu Ende sind, wird wieder umgeschaltet auf das Halbmarathon-Renntempo. Wenn dieses dann abermals nicht mehr eingehalten werden kann, wird wieder das 400 m Erholtempo eingesetzt. Und das geht immer so weiter bis die 15 km erreicht sind.
Das zweite Gemeine an diesem Training ist, dass aber nur die im Halbmarathon-Renntempo gelaufenen Meter zu den 15 km gezählt werden. Die Abschnitte im Erholtempo gelten nicht!! Jetzt weißt du, warum diese Übungsform "Gummiband-Training" heißt. Je früher man das Halbmarathon-Renntempo abbrechen muss oder will, desto mehr ungültige 400 m-Strecken im Erholtempo müssen eingelegt werden, und da diese nicht zählen, kann sich das Training wie ein Gummiband ausdehnen.
Und das wird jeder Trainierende versuchen zu vermeiden! Wie genau dieses Training ausgestaltet wird und welche Folgen es hat, beschreibe ich im nächsten Newsletter.
Nur noch so viel: Nur die ganz Harten und mit vollem Einsatz Erfolgssuchenden können so ein Training bestreiten. Die, die nicht zu dieser Gruppierung gehören, sollten sich gar nicht erst am "Gummibandtraining" versuchen. Denn es kann eine nicht gefestigte Psyche noch mehr herunter ziehen.