Keine Angst, die Überschrift liest sich komplizierter als es das heutige Thema ist. Immer wieder kommt es in Emails von Läuferinnen und Läufern nach dem eigentlichen Anliegen oder Bericht zu der eigenen Feststellung „wahrscheinlich fehlt es mir noch an Grundlagenausdauer“. Genau um diese Frage geht es heute. Wie ist es um deine Grundlagenausdauer bzw. deine aerobe Leistungsfähigkeit bestimmt? Gibt es ein Maß dies zu beurteilen?
Im Newsletter vom 02.02.2021 hatte ich das Grundlagentraining und dessen Wirksamkeit auf die Leistungsfähigkeit betrachtet. Auch wenn du selbst dadurch bisher in diesem Jahr noch keine super Zeit laufen konntest, stellt sich die Frage, wie wirksam war dein Grundlagentraining bisher. Wie stark ist deine aerobe Basis nach dem Wintertraining ausgeprägt und bist du bereit, ein härteres Intervalltraining mit deutlich höherer Intensität zu absolvieren?
Wir haben an dieser Stelle schon häufig darauf hingewiesen, dass ohne das Grundlagentraining (Entwicklung aerober Ausdauer, Kraft und Geschwindigkeit) kein intensives Intervall-Programm (Entwicklung der anaeroben Ausdauer) das Papier wert ist auf welchem es geschrieben steht. Der altbekannte Spruch lautet: "die Meister des Sommers werden im Winter gemacht". Das Grundlagentraining oder auch allgemeine Vorbereitung der Saison ist die wichtigste Zeit des Jahres.
Im o.g. Newsletter hatte ich beschrieben, dass mit Grundlagentraining kein lockeres Herumjoggen gemeint ist, sondern auch viele Läufe bis knapp an die anaerobe Schwelle heran. Wie wissen wir aber nun, ob und wie gut unser Training bisher gewirkt und ob die aerobe Ausdauer Fortschritte gemacht hat?
Für die Beurteilung dieser Frage eignet sich die Metrik der "aeroben Entkopplung". Es beschreibt das Verhältnis von Kraft (Power) oder auch Geschwindigkeit zu Herzfrequenz. Dieser Wert wird bei vielen Anbietern zur Trainingsanalyse wie z.B. runalize angezeigt. Dort steht dann die Beschreibung Pw:Hr mit einer Prozentangabe. Völlig unscheinbar, von vielen nicht beachtet, aber ein sehr geeigneter Wert. Worum geht es dabei? Schaue dir dazu erst einmal folgendes Diagramm eines meiner Läufe aus dem November an.
Bild 1: Aerobe Entkopplung zwischen Leistung und Herzfrequenz
Dargestellt ist die Power (Watt) und die Herzfrequenz eines längeren extensiven Laufes nach über einem halben Jahr Verletzungspause. Was ist zu erkennen? Die Leistung ist konstant, d.h. es war ein längerer Lauf mit nahezu gleichmäßiger Belastung. Die Herzfrequenz dagegen steigt quasi linear von ca. 110 auf 135 Schläge pro Minute.
Dieser Anstieg der HF wird als Herzfrequenzdrift bezeichnet. Diese ist völlig normal, du kennst das ganz sicher von deinen eigenen Läufen. Diese Drift sorgt allerdings dafür, dass die Kurven von Power und HF nicht parallel verlaufen und damit nicht gekoppelt sind. Sie entfernen bzw. entkoppeln sich voneinander. Anhand der Größe dieser Entkopplung lässt sich deine aerobe Leistungsfähigkeit beurteilen. Je länger du laufen kannst, ohne eine signifikante Entkopplung zu erfahren (Kurven bleiben parallel), desto höher ist deine Leistungsfähigkeit. Es ist auch ein Maß dafür, wie ermüdungsresistent dein Körper ist. Eine übermäßige Entkopplung weist auf einen Mangel an aerober Ausdauerfähigkeit hin.
Bevor wir uns anschauen wie man den Wert der anaeroben Entkopplung berechnet wird und in welcher Größenordnung er am Ende des Grundlagentrainings liegen sollte, betrachten wir kurz die Gründe der Herzfrequenzdrift.
Herzfrequenzdrift
Die Herzfrequenzdrift tritt auf, weil dein Körper ein organisches System ist und bei Belastung ermüdet. Zunächst versucht dein Körper effektiv zu arbeiten und verwendet so wenig Muskelfasern wie möglich, um dich vorwärts zu bewegen. Im Laufe der Belastung ermüden immer mehr der ursprünglich verwendeten Muskelfasern und dein Körper verwendet zunehmend frische Muskelfasern, um die Leistung konstant aufrecht zu erhalten. Je mehr Muskelfasern verwendet werden, desto mehr Sauerstoff wird benötigt, damit sie die notwendige Energie generieren. Wir erinnern uns, dass Sauerstoff und ein Treibstoff (Fett, Protein oder Kohlenhydrate) in den Mitochondrien zu Adenosintriphosphat (ATP) verarbeitet werden. ATP ist das eigentliche Energiemolekül in den Muskeln. Um wiederum mehr Sauerstoff zu transportieren, muss in gleicher Zeit mehr Blut durch den Körper transportiert werden. Das Herz schlägt schneller, d.h. die Herzfrequenz steigt.
Einflüsse auf die Herzfrequenzdrift
Wir haben uns an dieser Stelle ja schon öfter mit der Pulsmessung beschäftigt und erklärt, warum wir sie kritisch für die Trainingssteuerung betrachten. Es geht an dieser Stelle aber weder um die Trainingssteuerung mittels Herzfrequenz noch um absolute HF-Werte. Wir hatten die Thermo-Regulation als einen Punkt ausgemacht, der den Puls beeinflusst. Das gilt damit natürlich auch für die HF-Drift. Dehydrierung vor allem bei Hitze (und schlechter Akklimatisierung) mit einem damit verbundenen Gewichtsverlust während der Belastung wird meist zu falschen aeroben Entkopplungszahlen führen. Die HF wird am Ende von Belastungen unter solchen Belastungen überproportional ansteigen. Daher beachte immer, für welche Läufe unter welchen Bedingungen du die aerobe Entkopplung betrachtest.
Konstante Leistung und Herzfrequenzdrift
In Kombination mit einer konstanten Leistung bekommst du durch die Herzfrequenzdrift eine aerobe Entkopplung. Damit haben wir an dieser Stellen das nächste sinnvolle Einsatzgebiet unseres Stryd-Leistungsmessers. Die Entkopplung lässt sich theoretisch auch aus dem Verhältnis von Geschwindigkeit und HF berechnen. Die Geschwindigkeit ist allerdings wiederum von Streckenprofil und Wind abhängig. Ich denke da an meine eigene lange Runde. Dies ist eine 17,5 km Wendepunktstrecke, zwar relativ flach aber immer mit Wind. Hinweg z.B. Rückenwind mit 20 km/h, Rückweg entsprechender Gegenwind sind eher die Regel. Klar habe ich früher versucht, das Tempo konstant zu halten. Es hat auch gelappt. Nur hatte dies nichts mit einer konstanten Leistung zu tun. Die Leistung auf dem Rückweg war deutlich höher. Die HF auch. Die Leistungsmessung ist daher der perfekte Weg zur Ermittlung der aeroben Entkopplung.
Die Drift ließe sich übrigens auch durch Beibehaltung einer konstanten HF bestimmen. In diesem Fall würde die Leistung immer weiter abfallen.
Berechnung der aeroben Entkopplung
Wie berechnen wir nun die aerobe Entkopplung? Recht einfach. Wir betrachten jeweils das Verhältnis von Durchschnitts-Leistung und Durchschnitts-Herzfrequenz auf der ersten und der zweiten Streckenhälfte. Diese Verhältnis von Leistung und Herzfrequenz nennt sich auch aerobe Effizienz (AE).
AE = Ø Leistung / Ø Herzfrequenz
Wir bekommen also 2 dieser Verhältnisse (AE1 und AE2), für die erste Streckenhälfte und die zweite Streckenhälfte. Daraus berechnen wir nun die aeroben Entkopplung nach der Formel:
Aerobe Entkopplung = (AE1 - AE2) / AE1 * 100%
Beachte: die aerobe Entkopplung wird durch anaerobe Belastungen vollständig zerstört. Die Messung der aeroben Entkopplung erfordert in jedem Fall eine vollständig aerobe Anstrengung. Dazu bieten sich vor allem extensive Dauerläufe, also auch der lange Lauf an. Die Belastung sollte dabei etwa zwischen 81% und 88% deiner Critical Power bzw. deines FTP-Wertes liegen. Optimal im oberen Bereich dieser Spanne.
Wie lange solltest du ermüdungsbeständig sein?
Die erste große Frage ist, wie lange sollte die optimale Entkopplung im Verhältnis zu deiner Ziel-Wettkampfstrecke dauern? Optimal ist die Zeitspanne deines langen Laufes, mindestens aber die Zeitdauer deiner erwarteten Renndauer. Das bedeutet, wenn du im Wettkampf Halbmarathon oder Marathon laufen möchtest, dann macht es wenig Sinn, die aerobe Entkopplung bei einem kurzen 5 oder 10 km Trainingslauf zu betrachten.
In den Greif-Plänen haben alle Läuferinnen und Läufer mit 5 oder mehr Trainingseinheiten pro Woche mindestens einen extensiven DL von 15-17 km (HM) bzw. 18-20 km (Marathon) sowie den langen Lauf von 25 km (HM) bzw. 35 km (Marathon) im Plan. Diese extensiven Läufe sind ideal zur Entwicklung und Bestimmung der aeroben Entkopplung. Wir haben dieser Stelle schon vielfach darauf hingewiesen, dass die größte Leistungssteigerung durch die Erhöhung der Anzahl der Trainingseinheiten pro Woche zu erzielen ist. Dabei geht es immer um zusätzliche Läufe in diesem Belastungsbereich.
Größe der Entkopplungsrate
Zu guter Letzt stellt sich die entscheidende Frage, wie groß sollte denn der Wert der aeroben Entkopplung nun maximal sein, damit du sagen kannst du bist fit? Joe Friel, der diesen Wert bei den Radsportlern eingeführt hat, gibt einen Wert von max. 5% an. D.h. bei einem Wert von unter 5% bist du aerob fit und bereit für die nächsten Trainingsaufgaben. In dem oben gezeigten Diagramm lag meine aerobe Entkopplung übrigens bei knapp 8%. Mehr war nach der Verletzungspause und Regenerationsphase nicht zu erwarten.