„Um Himmelswillen, jetzt habe ich bis zum November hin hart trainiert und jetzt im Dezember soll ich schon wieder anfangen mit dieser Quälerei? Ich will doch erst im April einen Halb- und einen Marathon laufen.“
Solche und ähnliche Aussagen treffen mich am Telefon und auch durch Mails. Immer und immer wieder beklagen sich neue Clubmitglieder darüber, dass jetzt nach der Regeneration schon wieder der Umfang angezogen wird.
Man möchte doch so gerne noch die Weihnachtsmärkte besuchen und Mamas oder Omas Plätzchen probieren. Der Glühwein tut doch so gut, wenn es draußen kalt ist. Das geht doch alles nicht, wenn du Samstag schon wieder eine lange Runde laufen sollst.
Ja, da ist was dran. Mir ging es früher nicht besser. Es ist das Schrecklichste, wenn man am Wochenende schon kurz nach dem Mittag loslaufen musste, um im Hellen wieder zuhause zu sein.
Es schaudert mich schon, wenn ich nur daran denke. Den ersten 35-er im Dezember konnte ich niemals durchlaufen. Ich musste an steilen Steigungen ständig gehen und wurde zum Ende hin immer durstiger. Was ich vom Sommer her überhaupt nicht kannte.
Wenn es nicht über 25 Grad war, lief ich unsere 35 Kilometer Runde mit 680 Höhenmetern ohne einen Tropfen zu trinken. An Essen dachten wir überhaupt niemals. Und dann im Dezember kroch ich wie ein vertrockneter Regenwurm die Berge hoch und jammerte nach Wasser.
Aber wie auch immer, irgendwie kamen wir alle wieder nach Hause, wenn wir auch einige Male in ein Restaurant am Wege einkehren mussten, um schnell eine Cola in uns hinein zu stürzen.
Aber wir wussten eines: Dreimal müssen wir uns durchquälen, und dann haben wir die lange Runde wieder im Griff. Aber ich gebe zu: man muss einen ganz starken Willen und ein hohes Ziel haben, um nicht nur 25 Kilometer zu laufen.
Natürlich ist es möglich, sich ganz langsam an die 35 Kilometer heranzutasten, indem du vielleicht mit 20 Kilometer anfängst und jede Woche zwei Kilometer aufstockst. Dann hast du aber sieben Wochen lang den ungewohnten Schmerz bis zum Ende.
Also quäle dich nicht über sieben Wochen, sondern nutze die 3-Wochen-Version. Deine Psyche und deine Physis werden es dir danken. Notfalls kannst du auch ein- oder mehrmals 100 m gehen, Hauptsache du kommst durch.
Spätestens mit dem Jahreswechsel solltest du deine Trägheit von dir werfen. Auch wenn du ständig mit der offenen Hose herumlaufen musst, weil diese sonst im Sessel so kneift, solltest du an Olga und Holger denken, die schon seit mehreren Wochen voll im Training stehen.
Lasse dich von Holger nicht täuschen. Er, der dir ständig erzählt, dass er erst im Februar richtig loslegen will. Du weißt: Er ist ein elender Lügner und wartete nur darauf, dich im ersten Frühjahrsrennen zu Gyros zu verarbeiten.
Natürlich wissen wir alle, dass die Olgas und Holgers dieser Welt alle ganz nett sind, aber doch wollen wir vor ihnen im Ziel sein. Denn dieses Getue nach dem Zieleinlauf ist schier unerträglich. Noch schlimmer ist dieses Gegrinse und Schulterklopfen. Alles nur Heuchelei. Und das geht uns auf den Geist.
Irgendwann hat jeder von uns schon einmal gehört, dass lange Läufe von 35 km Länge bei der schnellen Überwältigung von diversen „Holgers“ auf der Marathonstrecke helfen sollen. Und das ist auch völlig richtig! Wer keine 35 km im Training läuft, wird niemals das aus sich raus holen können, was in ihm steckt.
Wenn du natürlich gar nicht vorhast, schnell zu sein, sondern die Strecke nur schaffen möchtest, dann reichen jetzt erst einmal 30 km als längste Einheit. Aber grundsätzlich raten würde ich dir dazu auch nicht, denn du bekommst ein gesundheitliches Problem mit einer solchen "Schoni-Vorbereitung". Warum, werde ich in den kommenden Zeilen noch versuchen zu erklären.
Nun wirst du sicher auch schon warnende Stimmen gehört haben, dass es gerade die 35-Trainings-km sind, die Schäden an der Orthopädie verursachen. Gerade Ärzte warnen davor, so lange zu laufen. Da soll es Untersuchungen geben, die belegen, dass bei diesen langen Läufen die Muskeln geschädigt werden.
Die Laufzeitschriften weniger, aber die Laienpresse berichtet gerne über solche propagierten Gefahren. Damit lösen sie Ängste aus und die Laufzeiten der deutschen Marathoner(innen) fallen in immer tiefere Schamregionen.
So zieht sich eine bodenlose Weicheierei durch unsere Szene. Das ist kein Vorwurf an die, die es aus gesundheitlichen Gründen vorsichtig angehen lassen. Die Gefahren sind scheinbar da.
Und da ein 35 km-Lauf weh tut, werden die Aussagen von Ärzten und Wissenschaftlern durch Selbsterfahrung auch noch gestützt. Da bleibt man doch lieber bei seinen 25-30 km, läuft zwar etwas langsamer als möglich, bleibt aber gesund. Solche Gedanken kann man niemand übel nehmen.
Und seien wir doch ehrlich zu uns selbst, wenn uns ein Fachmann sagt, dass wir weniger trainieren sollen und das Gleiche damit erreichen können, dann nehmen wir doch solche Tipps gerne an.
Da schließt sich der Schreiber dieser Zeilen nicht aus. Auch ich wollte in meiner aktiven Zeit lieber die Beine hochlegen, als mich 35 km lang mit 20 Prozent-Steigungen, Schneeboden und Eisplatten zu vergnügen.
Warum nun aber kommen die Wissenschaftler auf diese Idee, dass ein Trainierender Schaden nehmen kann durch die ganz langen Läufe. Die ersten Warner kommen aus der orthopädischen Ecke: "Die 4-h-Läufer sind viel zu lange unterwegs auf den 35 km, sie schädigen ihren Knorpel und sollen lieber nur höchstens 30 laufen."
Schon vor langen Jahren hielt ich den Kritikern vor: „Das Ganze ist ein Schmarren mit einem inneren Widerspruch. Wird denn ein Marathon für einen 4-h-Läufer kürzer, wenn er als längste Trainings-Strecke nur 30 km läuft? Mitnichten, denn der große Schaden im Knorpel kommt dann erst recht im 42,2 km-Rennen.
Denn der Knorpel des Untertrainierten ist nicht annähernd an die Streckenlänge angepasst. Und jeder von uns weiß nur zu gut, dass man einen Marathon nicht so leicht aufgibt, auch wenn die Knie schmerzen wie Holzsplitter unterm Fingernagel. Immer drauf auf den Knorpel, egal was die Chondrozyten (Knorpelzellen) kosten.“
Darum lasse dich nicht von den Warnern beeinflussen. Erhöhe die Anzahl deiner Trainings-km kontinuierlich, verlängere ebenso die Strecke deiner längsten Einheit bis auf 35 km. Fange mit "kurzen" Wettkämpfen, wie z.B. 10 km-Rennen an. Laufe ein paar Halbmarathons und gehe dann erst in deinen ersten Marathon.
Gib deinen Knochen, Muskeln, Sehnen und auch deinen Knorpelschichten Zeit, sich an erhöhte Belastungen anzupassen. Denke daran, dass eine erhebliche Anzahl von orthopädischen Ärzten keine Ahnung von unserem Training haben.
Ein mir gut bekannter orthopädischer Chefarzt fragte mich, was wir denn bei der häufig auftretenden Plantarfasziitis machen. Er fügte hinzu: „Ich empfehle immer möglichst auf weichem Waldboden zu laufen. Bin mir aber nicht sicher, wir haben so etwas in unserer Ausbildung nicht gelernt.“
Als ich ihm dann sagte, dass bei so einer Verletzung der glatte Asphalt der richtige Untergrund ist, war er völlig konsterniert. Zudem machte ich ihm klar, dass es kaum irdendwo bei uns in Deutschland weiche Waldböden entsprechender Länge zum Laufen gibt. Denn auch unsere Waldwege sind geschottert, und Schotter ist nun auch nicht besonders weich. Der Doktor war erschüttert!