Das kennen wir: Immer wenn jemand erstmals am Start zu einem Wettkampf steht, dann sind seine Bewegungen vor dem aufgeregt und unruhig. Man spürt fast körperlich seine Unruhe, Unsicherheit und oft sogar Angst. Das ist besonders bei Neulingen auf den langen Strecken wie Halb- und -marathon der Fall.
Aber es sind nicht nur die Neulinge, die über das nötige Maß aufgeregt erscheinen. Auch schon leidlich Erfahrene wissen vor dem Start oft nicht welcher Schritt der Startvorbereitung als nächstes kommt. Sie haben einfach nicht gelernt, nach einem Ritual zu handeln.
Solche Rituale sollte sich jeder Sportler für wichtige Situationen anlegen. Er muss dann nämlich nicht mehr lange überlegen, wie genau jetzt die nötigen Handlungen vor dem Start ablaufen sollen. Das geht in der ritualisierten Form alles automatisch.
Du hast sicher schon gesehen, wie bei einem Fußballspiel die Akteure einen Kreis bilden und sich in einem festen Ritual selbst Mut zusprechen. Die Spieler ziehen auch in einer ganz bestimmten Abfolge ihre Wettkampfkleidung an und kommen auch in immer der gleichen Ordnung aus dem Kabinengang.
Solch einen Ablauf solltest du dir auch für jede Wettkampfklasse zurecht legen und diesen immer einbehalten. Mit Wettkampfklasse sind die Streckenlängen gemeint. Ein 10 km-Lauf braucht eine andere Vorbereitung als ein HM und dieser wiederum benötigt eine andere Anbahnung als ein Marathon.
Besonders letzteres Rennen braucht eine besondere Aufmerksamkeit in den letzten Stunden vor dem Start: Nimm dein Frühstück immer zum gleichen Zeitpunkt ein. Wenn du eine Ernährungsart ausprobiert und vertragen hast, dann esse immer das Gleiche am Wettkampftag. Keine Experimente in diesem Bereich. Neue Ernährungsformen werden nur vor dem Training ausprobiert.
Ziehe gewohnte Kleidung an, achte aber auf die Wettervorhersage. Nimm immer für jedes Wetter Laufbekleidung mit. Packe deine Sachen, die du vor und im Wettkampf benötigst immer im gleichen Rhythmus ein. Erst die Startnummer, dann das Trikot und so weiter bis du das Abschlussteil in der Tasche hast. Das sollte das sein, was du nach dem Zieleinlauf sofort brauchst.
Das kann eine warme Jacke, ein Riegel oder ein Getränk sein, welches du nach der Zielankunft sofort essen bzw. trinken willst. Bei mir selbst war das früher immer ein Geldschein, den ich später dann am Kuchenbüffet umsetzen wollte.
In dieses Ritual baust du auch die Überprüfung deiner Startnummer am Trikot mit ein. Sitzt sie an der richtigen Körperseite und richtig herum? Die Befestigung der Nummer nimmst du immer schon zu Hause vor, vorausgesetzt, dass sie schon in deiner Hand ist. Denn so bist du ganz sicher, dass du auch die nötigen Sicherheitsnadeln dabei hast.
Vor Ort wird sich zuerst mit der Startsituation vertraut gemacht. Wo ist mein Block, wie komme ich da hinein? Bei Bahn- und Cross-Wettkämpfen ist es ganz wichtig danach zu fragen, ob es einen Stellplatz gibt. Dieser ist dazu da, dem Veranstalter zu vermitteln, dass du vor Ort bist und auch an den Start gehen willst. Bei manchen Wettkämpfen muss man sich direkt am Start auch noch einmal abhaken lassen, was aber meist nach Aufruf geschieht.
Schaffe dir auch ein Trinkritual. Immer zur gleichen Minute im Abstand zum Start trinkst du dein gewohntes Getränk. Ändere das nicht, sondern nimm das mit, was du bereits ausprobiert und vertragen hast.
Besonders wichtig empfinde ich das Ritual des Schuhwechsels vor dem Start. Laufe dich in deinen schwersten Trainingsschuhen ein. Erst wenn du völlig fertig zum Start bist, ziehst du deine Wettkampfschuhe an. Schnürst sie ganz sorgfältig mit einem doppelten Knoten und ziehst die Socken glatt. Durch den Gewichtswechsel am Fuß und die Erwartung, dass es jetzt gleich los geht, bekommst du sofort einen Hormonstoß.
Fühltest du dich vorher etwa noch schwer und gehemmt, bist du jetzt bereit zum Fliegen. Hinweg über Holger Meier und Genossen dem Himmel deiner persönlichen Bestzeit entgegen und wenn es nur eine Jahresbestzeit ist. Es gibt immer etwas zu gewinnen in einem Wettkampf. In jedem!
Wenn du direkt am Start stehst, schaffe dir auch dafür ein Ritual und zwar für jede Wettkampfklasse. Gehe ganz besonders darauf ein, auf was du dich auf den ersten km, im Mittelteil und zum Ende hin konzentrieren willst.
Es ist aber ein großer Unterschied, ob du dich vor dem Start eines 10 km-Laufs oder eines Marathon befindest. Beim erstgenannten Rennen macht es nicht viel aus, wenn du einmal die ersten km zu schnell angehst. Bei einem Marathon hingegen wird so ein Verhalten bitter bestraft. Darum noch einmal: Schaffe dir für jede Wettkampfklasse ein eigenes Ritual.
Du brauchst dann niemals mehr nachdenken, wie du in welcher Situation handeln musst. Ritualisiere auch das Agieren mit deinen Stärken und Schwächen. So kannst du keine Fehler im Rennen machen, wenn es einmal hektisch wird. Du wirst sehen, dass du in jeder Situation einen automatischen Handlungsablauf aus deinem Gehirn ziehen kannst.
Dazu musst du dir nur erst einmal Gedanken machen, wie so etwas ablaufen soll. Sprich mit anderen darüber was du planst. Probiere es aus, um es dann zu ritualisieren.
Du kannst natürlich auch deine Trainingsabläufe in einem Ritus ablaufen lassen. Du wirst sehen, wie schnell du dir gar nicht mehr vorstellen kannst, anders zu handeln. Oder kannst du glauben, dass du einmal ohne Not das morgendliche Zähneputzen unterlässt oder dich etwa nicht rasierst? Wenn du eine Frau bist und dir morgens die Lippen nachziehst, brauchst du dich dazu nicht zu zwingen, das läuft ab in einem festgelegten Rhythmus, über den du nicht nachdenken musst.
So kannst du auch ganz positive Dinge durch Rituale in dein Training tragen: Als Beispiel kannst du nach jedem extensiven Dauerlauf 10 Liegestütze machen oder nach einem regenerativen Dauerlauf 5 Steigerungen absolvieren. Oder auch nach deiner langen Einheit ein zehnminütiges Dehnen einbauen. Wenn du ein "Kraftmuffel" bist, kannst auch an jedem Wochentag zu einem bestimmten Zeitpunkt das gleiche Krafttraining machen. Mit sieben verschiedenen Übungen bist du schon auf der guten Seite.
Rituale helfen in jeder Lebenslage, auch in der Gesundheit. Alles mein Zahnarzt bei mir eine beginnende Paradentose feststellte, begann ich mir nach jedem Essen die Zähne zu putzen. Heute kann ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen, dies nicht zu tun.
Auch im persönlichen Kontakt mit deinen Menschen sind Rituale hilfreich. Wenn du es schon nicht machst, dann verabschiede dich doch morgens, wenn du zu Arbeit gehst von deinen/r Partner/in mit einem Kuss oder einer anderen netten Geste. Das hilft beiden.
Auch im Umgang mit Fremden kann man sich ein optimiertes Verhalten angewöhnen. Statt Tschüs zum Abschied kommt ein "Ich wünsche dir noch einen schönen Tag" oder Ähnliches viel besser bei den Mitmenschen an.
Ritualisiere dein Verhalten beim Betreten eines Fahrstuhls mit Mitfahrern. Ich mache es so, dass ich mit einem Lächeln dieses Beförderungsgerät betrete und nach einem Guten Tag frage: "Nehmen Sie mich mit nach oben bzw. unten?" Das hebt sofort die Stimmung in diesem Kasten, in dem normalerweise alle Mitfahrer eine ablehnende Haltung einnehmen. Es gibt ein Lächeln zurück und als Antwort wird dann meist die Frage gestellt, in welches Stockwerk es gehen soll. Und schon ist der Start zu einem Smalltalk fertig.
Das gleiche gilt, wenn man ein Restaurant betritt. Ein deutliches und freundliches "Guten Tag" zwingt die Insassen zu antworten. Deren Ritual ist es nämlich auf freundliche Grüße auch zu antworten.
Es gibt auch böse Rituale. Diese nutze ich, um das Selbstbewusstsein einer Gruppe oder einer einzelnen Person zu testen. Dies obwohl dieser Test manchmal Ärger bereitet.
Ich gehe dann auf so eine Gruppe zu, schaue sie an und frage: "Was ist denn das hier für eine Schlafftruppe!" Ei, da kann´ste was erleben. Die größten Schisser pusten sich nach solch einer Provokation am dicksten auf. Die Selbstbewussten lächeln nur oder antworten schlagfertig wie: "Wann hast du denn deine verlassen?"
Früher wandte ich dieses Ritual oft bei einzelnen Läufern an, die zu mir in direkter Konkurrenz standen. Ich begrüßte mein Gegenüber dann mit den Worten "Na, du Schlappsack". Aus der Reaktion auf diese Begrüßung ließ sich allerhand herauslesen. Unangenehm wird es nur, wenn man dabei jemand begrüßt, der krank oder verletzt ist. Die nehmen dir dann so etwas sehr übel.
Ja, und darum lieben mich auch manche Leute nicht so besonders. Weil sie mit dieser Art der Ansprache nicht zurechtkommen. Obwohl ich doch nur spielen wollte. Aber das kennen wir ja auch von den Hunden, die immer nur spielen wollen, wir aber dazu gar keine Lust haben.
Dieses Begrüßungsritual macht mir aus diesem Grund oft Schwierigkeiten, eben weil es ein Ritual ist. Ich wende es manchmal auch an, wo es absolut unpassend ist. Es kommt so einfach aus meinem Mund. Genau so, wie ich oft meine Altersgenossen mit einem "Na, du Schrottkiste" begrüße. Ist der Angesprochene gut drauf, lacht er. Wenn ich aber zum Beispiel jemand erwische, der gerade erfahren hat, dass er wegen eines kaputten Hüftgelenk nicht mehr laufen kann, dann gibt es böse Antworten.
So kann ich dir nur raten: Belege Rituale nur positiv, sei es für dich selbst oder auch in Sicht auf andere.