Nachfolgend der weitergeführte Text vom 16.06.2009:
Die gestellten Forderungen an ein strukturiertes Training waren:
- der Stereotypie entgegenarbeiten,
- eine Endzeit und alle Zwischenzeiten vorgeben,
- uns nicht überlasten,
- ein Ausweichen oder Weglassen bestimmter Geschwindigkeitsbereiche nicht möglich sein soll und
- der Endabschnitt grundsätzlich schneller gelaufen wird, als die Durchschnittsgeschwindigkeit des geplanten Rennens.
Diese ganzen Forderungen konnte kein mir bisher bekanntes Training erfüllen. Es war also etwas völlig Neues zu konstruieren. So entstand das Tempoflextraining. Es ist gekennzeichnet durch eine Anzahl von Wiederholungsläufen, die erst langsam begonnen werden und in 5 Stufen bis über die angestrebte Renngeschwindigkeit gesteigert werden.
Dabei entspricht die 4. Stufe in allen Variationen der angestrebten Renngeschwindigkeit. Die weite Tempoflexibilität wird dadurch erreicht, dass jede weitere Wiederholung mit einem anderen Tempo beginnt und mit einem anderen endet. Oder anders ausgedrückt als Kernaussage: Die ersten 3 Stufen werden im Verlauf der Einheit immer langsamer gelaufen und die letzte immer schneller als die Renngeschwindigkeit gelaufen.
So wird der gesamte Temporahmen rund um das angestrebte Renntempo trainiert und die höchste Geschwindigkeit immer im Zustand der größten Ermüdung erreicht. Zudem wird bei den letzten Wiederholungen ein so hohes Tempo erreicht, daß es auch zu einer Entwicklung der Schnelligkeits-Ausdauer-Fähigkeiten kommt. Es ist für das Verständnis des Tempoflextrainings besonders wichtig zu erfassen, dass nur das im Verlauf des Trainings langsamer werdende Anfangstempo, die immer schnellere Endzeit zulässt.
Um vergeblichen Modifizierungsversuchen des Tempoflextrainings vorzubeugen, weise ich auf folgendes hin: Es ist nicht möglich, die dritte mittlere Steigerung als Renntempoausgangspunkt zu wählen. Das heißt, dass zwei Steigerungen unter und zwei über dem Renntempo liegen. Dies mag im unteren Leistungsbereich noch möglich sein. Weltklasseathleten aber würden sich dann schon dem Weltrekordtempo auf dieser Teilstrecke nähern. Ein 13 min-Läufer über 5000 m müsste die letzten 200 m in der fünften Wiederholung einer 5 x 1000 m-Einheit in 21 sec laufen.
Diesen Abschnitt zu lesen ist nicht unbedingt nötig, wenn du dich nicht mit der mathematischen Ermittlung des Tempoflextrainingstempo auseinander setzen möchtest. Der Rechner zur praktischen Anwendung erledigt das für dich: dieser Rechner gibt dir alle Zeiten vor. |
Wie bereitet man ein Tempoflextraining praktisch vor? Kein Problem, als erstes wird die zu aufende Einheit festgelegt. Ich empfehle folgende Tempoflex-Einheiten in der Wettkampfperiode:
6 x 1000 m errechnet aus dem 3000 m Renntempo
4 x 2000 m errechnet aus dem 5000 m Renntempo
3 x 3000 m errechnet aus dem 10000 m Renntempo
Wir nehmen an, daß jemand 17:30 min über 5000 m anstrebt und 4 x 2000 m laufen soll. Diese 2 km werden in 5 Abschnitte a 400 m aufgeteilt. Für jeden 2000er wird eine Steigerung pro Runde festgelegt. Die optimale Steigerungskette sieht so aus:
1. 2000er 2 sec Steigerung/400 m
2. 2000er 4 sec Steigerung/400 m
3. 2000er 6 sec Steigerung/400 m
4. 2000er 8 sec Steigerung/400 m
Für den 4. Abschnitt in jedem 2000er steht die Geschwindigkeit - das Renntempo - mit 84 sec/400 m fest. Das ist die zentrale Größe; grundsätzlich wird diese 4. Steigerung immer im Renntempo gelaufen. Die zum Start hinführenden 400er werden jeweils 2 sec langsamer und die fünften 400 m 2 sec schneller gelaufen. Als Beispiel Temporeihe für den ersten 2000er:
1. - 400 m 90 sec.
2. - 400 m 88 sec.
3. - 400 m 86 sec.
4. - 400 m 84 sec.
5. - 400 m 82 sec.
Es wird somit die Startrunde mit 90 und die Schlußrunde in 82 sec gelaufen. Die Steigerungen erfolgen nicht kontinuierlich, sondern "ruckweise" nach Ende der Runde.
Um die ganze Sache noch besser verständlich zu machen, alles noch einmal schrittweise für einen 5000 m-Läufer, der 15:00 erreichen will und die Temporeihe für den dritten 2000er errechnen möchte:
1. Festlegen des Renntempos:
72 sec/400 m
2. Aufstellen der Reihe:
72 sec. kommen auf Rang 4.
6 sec Steigerung:
1. - 400 m
2. - 400 m
3. - 400 m
4. - 400 m 72 sec.
5. - 400 m
3. Vervollständigen der Reihe:
Nach oben 6 sec zuziehen, nach unten 6 sec abziehen.
1. - 400 m 90 sec.
2. - 400 m 84 sec.
3. - 400 m 78 sec.
4. - 400 m 72 sec.
5. - 400 m 66 sec.
4. Summieren der Abschnitte:
400 m 90 sec.
800 m 2:54 min
1200 m 4:12 min
1600 m 5:24 min
2000m 6:30 min
Die gesamte Einheit sieht dann wie folgt aus:
1. 400 m |
2. 400 m |
3. 400 m |
4. 400 m |
5. 400 m |
|
2 sec Steigerung | 78 | 76 | 74 | 72 | 70 |
4 sec Steigerung | 84 | 80 | 76 | 72 | 68 |
6 sec Steigerung | 90 | 84 | 78 | 72 | 66 |
8 sec Steigerung | 96 | 88 | 80 | 72 | 64 |
summiert | 400 m | 800 m | 1200 m | 1600 m | 2000 m |
2 sec Steigerung | 1:18 | 2:34 | 3:48 | 5:00 | 6:10 |
4 sec Steigerung | 1:24 | 2:44 | 4:00 | 5:12 | 6:20 |
6 sec Steigerung | 1:30 | 2:54 | 4:12 | 5:24 | 6:30 |
8 sec Steigerung | 1:36 | 3:04 | 4:24 | 5:36 | 6:40 |
Für die Einheit 5 x 1000 m im 3000 m Renntempo mit z.B. Ziel 10:00 min wählt man die
Steigerungen 1/2/3/4/5 sec pro 200 m:
1. 200 m |
2. 200 m |
3. 200 m |
4. 200 m |
5. 200 m |
|
1 sec Steigerung | 43 | 42 | 41 | 40 | 39 |
2 sec Steigerung | 46 | 44 | 42 | 40 | 38 |
3 sec Steigerung | 49 | 46 | 43 | 40 | 37 |
4 sec Steigerung | 52 | 48 | 44 | 40 | 36 |
5 sec Steigerung | 55 | 50 | 45 | 40 | 35 |
summiert | 200 m | 400 m | 600 m | 800 m | 1000 m |
1 sec Steigerung | 43 | 85 | 2:06 | 2:46 | 3:25 |
2 sec Steigerung | 46 | 90 | 2:12 | 2:52 | 3:30 |
3 sec Steigerung | 49 | 95 | 2:18 | 2:58 | 3:35 |
4 sec Steigerung | 52 | 1:40 | 2:24 | 3:04 | 3:40 |
5 sec Steigerung | 55 | 1:45 | 2:30 | 3:10 | 3:45 |
Praktisch halten wir es im Verein so, daß wir meist 6 x 1000 m laufen. Dabei wird der letzte 1000er "voll" gelaufen. Der Sinn dieses Schluß-1000ers liegt in der "Sucht" der Läufer(innen), ihre Leistungs-möglichkeiten auch im Training zu testen. Da beim Tempoflextraining grundsätzlich langsamer als möglich begonnen wird, haben alle das Gefühl, es könnte noch schneller gehen und packen am Ende die große "Keule" aus.
Ein weiteres Beispiel: Für die Einheit 3 x 3000 m bezogen auf ein 10000 m Renntempo mit Ziel 40:00 min wählt man die Steigerungen 3/6/9 sec pro 600 m:
1. 600 m |
2. 600 m |
3. 600 m |
4. 600 m |
5. 600 m |
|
3 sec Steigerung | 2:33 | 2:30 | 2:27 | 2:24 | 2:21 |
6 sec Steigerung | 2:42 | 2:36 | 2:30 | 2:24 | 2:18 |
9 sec Steigerung | 2:51 | 2:42 | 2:33 | 2:24 | 2:15 |
summiert | 600 m | 1200 m | 1800 m | 2400 m | 3000 m |
3 sec Steigerung | 2:33 | 5:03 | 7:30 | 9:54 | 12:15 |
6 sec Steigerung | 2:42 | 5:18 | 7:48 | 10:12 | 12:30 |
9 sec Steigerung | 2:51 | 5:33 | 8:06 | 10:30 | 12:45 |
Ab hier geht der praktische Teil weiter: |
Die einzelnen Tempi werden von den Sportlern recht gut getroffen. Die Regel ist: Je mehr Bahnerfahrung jemand hat, desto besser beherrscht er das tempogenaue Laufen. Ich habe es so gehalten, daß ich unseren Athleten mit Tempokärtchen ausgestattet habe, bei denen das summierte Tempo aufgetragen war. Es war somit nicht nötig, im Training das Tempo zu berechnen. Die angestrebte Geschwindigkeit wird meist bei den ersten Wiederholungen gut getroffen. Bei den letzten neigen fast alle Läufer(innen) dazu, schneller zu beginnen als angegeben. Sie schaffen sich somit ein zeitliches Polster für die letzte sehr schnelle Steigerung. Das widerspricht natürlich klar den Ansprüchen des Tempoflextrainings, ist aber durchaus menschlich.
Es ist natürlich möglich, jede andere Einheit auch in dieser Form aufzubauen. Wenn die Wiederholungen aber kürzer als 800 m werden, wird die Möglichkeit zur zeitlichen Steuerung verschlechtert, weil es dann um Bruchteile von Sekunden geht. Das Tempoflextraining bietet weite Variationsmöglichkeitem. Es kommt immer darauf an, was man am betreffenden Trainingstag entwickeln möchte. Ist es die Tempohärte, dann bietet es sich an, die erste Wiederholung mit der geringsten Steigerung mehrmals zu laufen. Will jemand aber zu einem möglichst effektiven "Endspeed" kommen, dann wäre die letzte Wiederholung mit der steilsten Steigerung der richtige Weg. Auch ein auf und ab in Pyramidenform ist möglich, wie z.B. bei den 5 x 1000 m:
- 1 sec Steigerung
- 2 sec Steigerung
- 3 sec Steigerung
- 2 sec Steigerung
- 1 sec Steigerung
oder der Wechsel
- 1 sec Steigerung
- 5 sec Steigerung
- 1 sec Steigerung
- 5 sec Steigerung
- 1 sec Steigerung
Es wird nie langweilig, jeder hat auch eine geistige Aufgabe im Training zu erfüllen. Dies führt zu der einhelligen Aussage, daß das Tempoflextraining sehr schnell vorbei geht und als nicht so hart empfunden wird, wie eine gleichmäßig schnell gelaufene Einheit. Der Grund ist sicher in der Tatsache zu suchen, daß man sich ständig mit dem korrekten Einhalten des Tempos auseinandersetzen muß und somit weniger Zeit hat, sich mit seinem "Schmerz" zu beschäftigen. In der Praxis wird das Training sehr gerne durchgeführt, auch von älteren Langstreckenläufern, weil das Tempo immer moderat beginnt. Es fällt eigentlich den meisten relativ leicht, das Endtempo zu erreichen, wenn die angestrebte Renngeschwindigkeit realistisch eingeschätzt wird. Nur die letzte Wiederholung bereitet am Anfang einige Probleme. Das sehr hohe Tempo wir nicht oder nur ganz knapp erreicht. Aber genau das wollen wir ja trainieren, irgendwann schaffen es dann alle. Als Trabpause zwischen den einzelnen Wiederholungsläufen in der Wettkampfperiode haben sich folgende Längen bewährt:
- Bei 6 x 1000 m 800 m
- 4 x 2000 m 1200 m und bei
- 3 x 3000 m 2000 m.
Sinn macht das Tempoflextraining natürlich nur, wenn über das Grundlagentraining bereits eine entsprechende Ausdauer entwickelt wurde. Ein sofortiger Einstieg in die volle Höhe des Tempos am Ende des Winters ist nicht möglich, denn kaum ein Läufer (oder eine Läuferin) kann - wie es im Jargon heißt - aus der kalten Hose eine solche Geschwindigkeit entwickeln, wie es z.B. bei 6 x 1000 m in der 5. Wiederholung auf den letzten 200 m gefordert ist. Ich empfehle aus dem Winter heraus, pro 4 Wochen bis zum Wettkampf jeweils 30 sec auf die 10 km-Zielzeit aufzuschlagen. Wer z.B. Ende Mai einen 10000 m- Lauf in 36:00 min plant, kann die Zielzeiten, aus denen das Tempoflextraining errechnet wird, für den Februar auf 37:30, für März auf 37:00, die erste Aprilhälfte auf 36:30 und danach auf 36:00 setzen. Dann kommt es zu einer kontinuierlichen Geschwindigkeits entwicklung und zu keiner überforderung.
Eine weitere Variationsmöglichkeit für die Vorbereitungsperiode ist das Errechnen der Geschwindigkeit des Tempoflextrainings aus anderen Renntempis:
- 6 x 1000 m errechnet aus dem 5000 m Renntempo
- 4 x 2000 m errechnet aus dem 10000 m Renntempo
- 3 x 3000 m errechnet aus dem Halbmarathon Renntempo
Bei dieser Form können die Trabpausenlängen abgekürzt werden. Auf 400, 800 und 1200 m.
Das Tempoflextraining kann nur einmal pro Woche eingesetzt werden. Jede dritte oder vierte Woche sollte aber eine gleichmäßig gelaufene Wiederholungslauf-Einheit durchgeführt werden, damit dieser Bereich nicht vernachlässigt wird.
Es ist jetzt schon einige Jahre her, seit dem ich das Tempoflextraining erfand, aber es hat sich in der Zwischenzeit durchgesetzt. Ein luxemburgischer Sportwissenschaftler, der seine Diplomarbeit über die Entwicklung des Langstreckentrainings verfasste, schrieb mir vor einiger Zeit, dass es jedes moderne Training auch im letzten und auch meist schon im vorletztem Jahrhundert gegeben hat. Das einzige neue Training der letzten 1000 Jahre ist das Tempoflextraining nach Peter Greif.
Da ich mich ja nun der Praxis und nicht der Theorie verschrieben habe und deshalb nicht wissenschaftlich veröffentliche, hat dieses Training leider noch keinen Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden. Ist auch nicht so tragisch, Hauptsache wir Läufer(innen) nutzen es, um unsere Fähigkeiten zu verbessern und um unser Training interessanter zu machen.
In der ersten Veröffentlichung 1999 über das Tempoflextraining berichtete ich, welche Erfahrungen die von mir trainierte Athletin Ines Cronjäger mit diesem Training gemacht hatte. Ines wurde dreimal deutsche Marathonmeisterin. Zweimal im Einzel und 2000 einmal mit der Mannschaft der LG Seesen. Und noch einmal Halbmarathon-Mannschaftsmeisterin mit dem selben Team.
Ihre Marathonbestzeit von 2:39:40 h drückt leider nicht ihre vollständigen Fähigkeiten aus. Über 10000 m lief sie eine 33:58 min. Ines fing während ihres Studiums von Mathematik und Sport für das Lehramt an, am Sinn des Leistungssports zu zweifeln. Sie bekam an der Uni keinerlei Unterstützung und ebenso keine Rücksichtnahme in Hinsicht auf Wettkämpfe und Meisterschaften. Im Gegenteil: Ihr wurde massiv geraten, den Leistungssport aufzugeben und sich um ihr Studium zu kümmern.
Lange schleppte sie sich mit diesem Anforderungsdilemma herum, wobei das Studium dann den Vorzug bekam und sie ihre sportliche Karriere beendete. Ines Cronjäger arbeitet jetzt als Studienrätin in Bensheim/Hessen, ist verheiratet und glückliche Mutter einer Tochter. Sie fährt Rennrad und läuft auch ab und zu noch einmal.
In diese Zeit der Schnelligkeitsentwicklung passen auch sehr gut Tempoflexläufe. Dieses Training ist von mir vor 12 Jahren erfunden worden und hat sich seitdem bewährt. Nachfolgend werde ich in großen Teilen auf den damals geschriebenen Artikel, der in "Spiridon" erschien, zurückgreifen.
Es ist überall augenfällig: Die Tempo-Variationsfähigkeiten in Wettkämpfen sind bei unseren Athleten(innen) in der Regel eher mangelhaft. Während die ausländischen, speziell die afrikanischen Mitbewerber, die scheinbar "irrsten" Dinge in Rennen veranstalten, ziehen unsere Athleten immer ruhig und gleichmäßig ihre Bahn. Das gleiche kann man auch im mittleren und unteren Leistungsbereich beobachten. Der Spruch - "Geh nicht so schnell an!" - ist das deutsche Symbol für eine ausgefeilte Renntaktik. Gleichmäßige Tempoentwicklung von Anfang bis Ende. "Farbe" kommt selten in ein Rennen: Mal rennt doch jemand zu schnell los und "stirbt" langsam, eventuell wird um den Sieg gespurtet, aber Tempo-Variationen in der Renngestaltung sieht man äußerst selten.
Bei den meisten Läufer(innen) fällt die relative Unfähigkeit auf, ihre Geschwindigkeit im Wettkampf zu steigern, wenn dies erforderlich ist: "Ich konnte einfach nicht schneller!" Eine gleichmäßige Fahrt können praktisch alle Betroffenen gut auch über längere Strecken durchbringen. Wird aber die Geschwindigkeit z.B. im Mittelteil des Rennens deutlich schneller, so wird dieses Tempo koordinativ schon nicht mehr beherrscht und es kommt zu einem Leistungseinbruch.
Die Betroffenen meinen, dass das Problem energetischer Art sei, weil sie einen Kraftmangel verspüren. Der angestrebte Tempobereich wird aber zentralnervös innerhalb der Ermüdung nicht mehr beherrscht. Aufgrund der daraus folgenden koordinativen Schwäche, muß zum Erreichen der nötigen Geschwindigkeit unverhältnismäßig viel Energie aufgewendet werden.
Die anaerobe Schwelle wird überschritten, die nachfolgende erhöhte Laktatausschüttung bewirkt ein übriges. Es werden vermehrt Stresshormone freigesetzt, dem folgt eine Verkrampfung durch die Verstärkung der Antagonisten. Der Betroffene "wackelt", blickt verzweifelt, Gegner oder Gegnerin ziehen von dannen und Sieg und Zeit sind entschwunden. Die Frage nach Möglichkeiten der Tempovariation im Rennen stellt sich ja nicht allein in physischer Hinsicht, auch die psychische Komponente muss betrachtet werden. Denn nur der kann an seine Fähigkeiten glauben, der auch im Training schon einmal die Erfahrung gemacht hat, dass er diese besitzt.
Im speziellen Fall heißt das: Ein Läufer muss auch im Training das positive Wissen errungen haben, dass er auch im Zustand der Ermüdung noch beschleunigen kann. Oder wie es so oder ähnlich der Trainingswissenschaftler Dr. Manfred Scholich ausdrückt: "Im Zustand der Ermüdung und der weiter fortschreitenden Ermüdung das Tempo zu halten und wenn es nötig ist, es weiter zu erhöhen."
Wie sieht es aber in der Trainingspraxis aus: Es wird ein Tempolauf mit der durchschnittlichen Geschwindigkeit oder einer höheren begonnen. Am Ende kommt es meist zu einem Abfall der Laufgeschwindigkeit. Das heißt, die läuferisch stärkste Leistung wird in der Regel in der Zeit der geringsten Ermüdung erbracht! Wenn wir aber unser Renntempo steigern wollen, müssen wir die höchste Laufgeschwindigkeit dann erreichen, wenn der Organismus schon nach einer Pause ruft.
Ein wunderschönes Beispiel war Temposteigerung von Tobias Sauter beim Essen-Marathon 2008, den er letztlich in 2:18 h gewann. Er lief sein Rennen bis cirka km 35 in einem Tempo zwischen 3:17 und 3:20 min/km. Als seine Gegner Schwächen zeigten, drehte er auf, so dass die Funken flogen. Bis zum Ziel lief er jeden km in einem Schnitt von 3:10 min/km. Das war überaus beeindruckend.
Tobi hat Endbeschleunigung und Tempoflextraining trainiert. Beides setzt auf eine Entwicklung des höchsten Tempos in der Phase der größten Ermüdung. Andere Trainer behaupten, so etwas ist unmöglich. Tobi bewies, dass es geht. Nach dem Sieg in Essen verschwand der größte Gegner dieser Taktik ohne Gratulation. Auch international haben sich diese Trainingsformen durch gesetzt. Und unsere Clubmitglieder beweisen Woche für Woche mit Siegen und persönlichen Rekorden, dass Tempoflextraining und Endbeschleunigung der wahre Bestzeitendünger ist.
Das Tempoflextraining ist insgesamt nicht besonders schwierig. Muss doch das Training nur ruhig begonnen und nachfolgend langsam erhöht werden. Die Sache hat aber in der Praxis zwei ganz "scharfe Haken". Als erstes wird bei einer freien Wahl der Trainingsgeschwindigkeit das Tempo in der Regel zu schnell erhöht. Die Ermüdung ist am Ende der Belastung schon so weit fortgeschritten, dass eine Erhöhung über das angestrebte durchschnittliche Renntempo nicht mehr möglich ist.
Der zweite, weitaus wichtigere Aspekt beim Steigerungs- oder Crescendolauf ist fast ohne Ausnahme zu beobachten: Geschwindigkeitsbereiche, die koordinativ nicht beherrscht werden, werden blitzschnell überlaufen. Das heißt, der oder die Betroffene verharrt nur für Bruchteile von Minuten in diesem von ihm ungeliebten Tempobezirk. Das hat zur Folge, dass genau die Geschwindigkeit nicht trainiert wird, die wichtig ist: Der unbeherrschte Teil.
Es gibt einen Grundsatz fast aller Langstreckenläufer(innen), der eisern aber meist unbewusst eingehalten wird: Es wird das am liebsten trainiert, was man am besten kann. Die Schnellen wollen ständig Tempo bolzen und keinen Meter zuviel laufen und die Ausdauertypen möchten nach Möglichkeit immer ein paar km mehr und noch ein bisschen langsamer trainieren. Irgendwie hat so jeder seinen Schritt, bei dem er mit den im Verhältnis geringsten Kraftaufwand, die für ihn vermeintlich beste Leistung erbringt: Stereotypisches Laufen an jedem Trainingstag.
Insgesamt wird diese Tendenz zur Stereotypie durch die Industrie noch verstärkt. Besonders Pulsmesser zeigen sich kontraproduktiv bei der Entwicklung von variablen Renngeschwindigkeiten: "Um Himmelswillen, ich bin schon wieder 5 Schläge über meinem Limit!" Nicht das eigene Gefühl wird das Maß aller Dinge, sondern die Technik. Auch in meiner eigenen Trainingsgruppe konnte ich die Unfähigkeit zur Tempovariabilität finden.
Eine hochtalentierte Athletin verlor regelmäßig im Endbereich von Rennen Duelle gegenüber gleichwertigen Konkurrentinnen. Der eigentliche Witz bei der Sache war, dass die junge Sportlerin über ausgeprägt gute Sprintfähigkeiten verfügt. Sie war aber einfach nicht in der Lage, diese Fähigkeiten in den letzten Runden bei fortgeschrittener Ermüdung zu mobilisieren. Gerade aufgrund der mangelnden Mobilisationsfähigkeiten setzte ich mich mit dieser Sache auseinander und fragte mich, wie wir dieses Problem lösen könnten.
Vermehrt kurze Wiederholungsläufe - 200 - 600 m - wollten wir nicht einsetzen, weil diese leicht zu intensiv gelaufen werden und dann der Ausdauer schaden. Vielleicht sollten wir insgesamt die Gleichförmigkeit aus dem Training nehmen? Sollen wir es wie die Keniaten versuchen? Jedes Training auf "Wertung" laufen? Auch ruhig begonnene Trainingsläufe werden dort zum großen Teil mit einem "Ausscheidungsrennen" auf dem letzten km beendet.
Ich glaube aber nicht, dass sich so etwas in unserem Kulturraum verwirklichen läßt. Wir können aus dem europäischen Menschen keinen Afrikaner machen, leichter ist es, das afrikanische Training zu europäisieren. Unsere Läufer(innen) zeichnen sich durch hohe Individualität aus. Die Erfahrung zeigt, dass unser Gruppengefühl bei weitem nicht so ausgeprägt ist, wie das der Afrikaner. Wenn hier zu Lande Läufe mit Endbeschleunigung oder Steigerungsläufe absolviert werden, dann beginnen die Verlierer vom Vortag diese Beschleunigung schon kurz nach dem Start. Es wird ein gleichmäßig hohes Tempo gelaufen oder sofort "geknallt", nur um dem Mitläufer keine Chance auf einen weiteren "Sieg" zu geben.
Weiterhin entspricht ein solches ungeplantes Training nicht unserem Gefühl. Die meisten Läufer(innen) möchten auch im Training ein greifbares Resultat erzielen. Selbst der kleinste Zwischenhalt wird rausgestoppt und eifersüchtig darauf geachtet, dass das angesagte Tempo eingehalten wird: "Ich mache Tempo? Du bist doch die ganze Zeit einen Meter vorne!" Andererseits wird aber ebenso versucht, möglichst gute Resultate bei Tempoläufen zu erzielen. Eine im Verhältnis schnell durchgeführte Einheit bringt Läufer(innen)augen zum Glänzen: "Ging aber ab heute!" Dennoch ist aber auch hier die Stereotypie das Mittel der Wahl, um befriedigende Resultate zu erzielen.
Die Idee, die es galt umzusetzen, war zu probieren, unser Training so zu steuern, dass wir zumindest in Teilbereichen die härteste Belastung erst im Zustand der Ermüdung, d.h. am Ende der Einheit oder der Teilbelastung erreichen. Dabei wollte ich versuchen, dem Trainierenden eine möglichst große Tempoflexibiltät rund um das Renntempo "aufzuzwingen". Die selbstgestellte Forderung war: Das Training sollte
- der Stereotypie entgegenarbeiten,
- eine Endzeit und alle Zwischenzeiten vorgeben,
- uns nicht überlasten,
- ein Ausweichen oder Weglassen bestimmter Geschwindigkeitsbereiche nicht möglich sein und
- der Endabschnitt grundsätzlich schneller gelaufen werden, als die Durchschnittsgeschwindigkeit des geplanten Rennens.
In der nächsten Woche findest du hier, die praktische Entwicklung des Tempoflextraining für dich selber. Du kannst es aber schon einmal probieren. Dieser Rechner gibt dir alle Zeiten vor.