Da sich in den letzten Jahren ein Trend abzeichnet, der zeigt, dass immer weniger Läufer(innen) sich an einen Marathon wagen, wird der Halbmarathon jetzt etwa zum größten Berg, den es zu bezwingen gilt? Dann werden gezwungenermaßen die 10 km zur zweitgrößten Herausforderung für die Mitmach-Kümmerlinge. Und damit setzt sich kontinuierlich der läuferische Qualitätsverlust der Deutschen fort.
Ich drücke es einmal anders aus: Die Schlaffsäcke, Weicheier, Running-Sozialisten und Schmusejogger vermehren sich schneller, als die Ehrgeizigen trainieren können. Denn heute meinen schon viele, wenn sie unfallfrei einen Halbmarathon laufen können, sind sie die großen Helden.
Und damit irren sie! Wer einen Marathon bestritten hat und durchgelaufen ist, ist ein Held. Denn er oder sie gehören zu einer deutschen Minderheit von weniger als 100000 Personen, die die 42,2 km schaffen. Dafür müssen sie aber kämpfen und leiden, egal wie langsam sie laufen, es tut immer weh. Stoffwechselprobleme und überlastete Muskeln hinterlassen temporäre, aber doch länger andauernde Spuren im Organismus. Und diese Leiden zu ertragen, ist mehr oder weniger heldenhaft.
Im Gegenteil dazu ist der HM eine Joggingstrecke, ein Fliegenschiss. Auf deren Absolvierung kann man nur stolz sein, wenn man sie auch entsprechend schnell gelaufen ist. Aber es gibt Typen die recken sich, schieben den Unterkiefer nach vorn und sagen: "Halbmarathon bin ich sogar schon unter 2 h gelaufen".
Das ruft bei mir traumatische Reaktionen hervor wie, Weinkrämpfe, Schüttelfrost und Gliederschmerzen. Wer sich mit so einer Trainingszeit brüstet, drückt die sportlichen Normen immer weiter nach unten. Als junger und gesunder Mann würde ich mit jedem Trick versuchen, so ein Resultat von 1:58 h geheim zu halten. Das sind fast 5:40 min/km.
So eine Zeit verzeihe ich nur Anfängern, Fetten, Alten und Kranken. Für die anderen ist das Lustwandeln, aber kein Wettkampf. Und da sind wir beim Punkt. Mit Kampf hat die jetzige Läufergeneration immer seltener etwas im Sinn. Mitmachen ist wichtig! Das ist schon ok, denn niemand sollte gezwungen werden, in so einem Rennen an die Grenzen seiner Fähigkeiten zu gehen.
Das muss schon jeder mit sich selbst abmachen. Aber wenn dann jemand noch stolz mit seiner Joggingzeit von 1:58 h prahlt, dann ist das so als wenn jemand beim Übergang in das Gymnasium damit protzt, dass er sogar schon schreiben könne.
So, dass musste mal wieder raus. Ich rege mich über unseren Leistungsverfall immer schrecklich auf und versuche diesen zu bremsen. Irgendwie fühle ich mich mit verantwortlich für das was geschieht. Es gehen immer mehr Läufer(innen) bei uns an den Start und trotzdem wird unisono Spitze und Breite fortlaufend langsamer.
So versuche ich es sogar mit Spitzen, Flüchen und Beleidigungen die Schleiffüße zum Rennen zu bringen, aber es scheint zwecklos zu sein. Anscheinend stehe ich mit meiner Kritik allein auf dem öffentlichen Flur. Fachzeitschriften und Tagespresse geben diesen Kriechlingen oft auch noch eine Bühne.
Kaum jemand legt den Finger in die Wunde des Leistungsversagens. Einige andere Trainer schrauben die Anforderungen immer weiter herab und machen auf Gutmensch. Streichel, Kuschel und Wellness Hopp-Hopp sind angesagt. So nach dem Motto: "Wenn es mir schon nicht gelingt meine Leute zu guten Leistungen zu treiben, dann will ich wenigstens nicht so ein "Trainings-Verbrecher" wir Peter Greif sein.
Es ist hoffnungslos! Manchmal plagen mich schon Albträume, dass gar der Zeitpunkt kommen könnte, an dem kein Marathonläufer bei uns mehr unter die 3 h kommt. Hilfe!!!
Aber warum soll sich denn jemand noch richtig anstrengen, wenn der Nachbar im Halbmarathonfeld auch mit einer 2:05 h zufrieden ist. Da geht man dann einfach davon aus, dass man nicht schneller sein muss und wenn man es versucht, vielleicht schwere Überlastungsschäden bekommen könnte.
Du kannst dir gar nicht vorstellen wie viele Mails ich bekomme von Läufern, die 3 – 4-mal in der Woche trainieren und Angst vor Übertraining haben. Ja, dann müssten die Jung´s, die 10 – 14-mal/Woche trainieren doch ständig zittern. Die gibt es nämlich noch. Sie sollen sogar in letzter Zeit ab und zu gesichtet sein. Eine private Institution hat sogar schon ein Programm aufgelegt, um die Letzten von ihnen zu retten, um deren wertvolle Gene für die Nachzucht zu erhalten.
Dem Läufervolk nahestehende Rechtsradikale sollen sogar vorgeschlagen haben, Marathonläufer(innen) mit Leistungen unter 4 h mit einem Vermehrungsverbot zu belegen. Dafür sollen unter 3-h-Läufer(innen) mit kostenlosem Testosteron-Gels, Viagra und Ultra-Sports-Babynahrung unterstützt werden.
Satire beiseite. Es fehlt so vielen von uns an Selbstvertrauen, Zeit und Courage zum harten Training. Dazu eine Begebenheit von vor etwa 20 Jahren. Bei uns gegenüber in einem Nachbarhaus wohnte Ralf B. Dieser war begeisterter Motoradfahrer. Eines Tages fuhr er aber leichtsinnigerweise unter Alkoholeinfluss, wurde erwischt und der Führerschein war für 3 Monate weg.
Nun hatte er nach der Arbeit Langeweile und er fragte mich, ob er denn mit uns einmal mitlaufen könne. Warum nicht, dachten wir. In unserer großen Trainingsgruppe wird er schon jemand finden mit der laufen kann. Keiner machte sich darüber Gedanken, ob er denn mit so einer leistungsorientierten Gruppe überhaupt mitkommen könnte. Er auch nicht.
So gingen wir auf eine 20-er Runde und Ralf lief nicht hinten, sondern vorne mit. Als wir wieder zu Hause waren, war auch Ralf mit der Spitze angekommen. Im 4:15 min/km-Schnitt hatten wir die gut 20 km zurückgelegt. Ralf zeigte keinerlei Ermüdung. Umgerechnet auf einen Halbmarathon wäre das eine 1:29 h. Soviel zu einer Traumzeit von unter 2 h im HM.
Der eigentliche Witz bei dieser Geschichte war, dass Ralf außer Motoradfahren vorher überhaupt keinen Sport betrieb. Nichts, gar nichts, auch früher nicht. Nachgefragt, wie er denn auf die Idee gekommen sei, dass er mit uns mithalten könne, antwortete er: "Wieso, ihr lauft hier immer mit über 20 Leuten los, warum soll ich das nicht auch können?"
Er hatte diese große Anzahl von Läufern und deren Leistung als normal betrachtet und sich in diesen Rahmen eingeordnet. Das ist das, was die heutigen Läufer(innen) vielfach auch machen, sich einordnen in die 2-Minuten-Eier-Gemeinschaft der Spaß- und Laufgesellschaft.
Ralfs Geschichte ging noch weiter. Nach 3 Wochen Training lief er unsere "sauschwere" 35 km-Strecke mit. Wir fragten ihn danach, ob er denn gar nicht kaputt sei. Seine Antwort: "Och, eigentlich nicht, nur die Beine sind etwas schwer." Wir konnten es nicht glauben.
Aber als seine 3-monatige Führerscheinsperre abgelaufen war, verschwand Ralf mit seinem Motorradel und ward niemals wieder gesehen. Das heißt, wir sahen ihn zwar noch, aber nicht wieder laufend.
Dieses Beispiel soll dir zeigen, wie man von seiner Umgebung beeinflusst wird. Wenn schon ein Halbmarathon-Läufer mit einer 1:58 h ein Held sein soll, warum soll sich dann ein älterer Läufer der M50 innerhalb einer solchen Tempovermeider-Gruppe noch mehr Hintern aufreißen, um schneller zu werden? Denn wenn er als Mittelalter gegenüber den Jungen ein paar Minuten langsamer läuft, dann hat er dennoch einen hohen Status in seiner Gruppe.
Ein weiteres Beispiel: Als wir in den 80- und 90-gern bei uns hier in Seesen eine sehr hohe Anzahl von guten Läufern hatten, war natürlich die Konkurrenz sehr hoch. Damit wurde aber auch intern die Trainings-Umfangs- und Tempo-Leistung nach oben getrieben. Es gab Trainingswettkämpfe, da kam "Blut". Und die Anzahl der km stieg in profihafte Höhen.
Es gab nie gesehene Leistungsexplosionen. Selbst Jugendliche liefen den Marathon unter 2:30! Jeder kämpfte um seinen Status. Keine Einziger der Männer, die in meiner Trainingsgruppe liefen, hatte eine Marathon-Bestzeit ü b e r 3 h. Und über die damals gelaufenen 25 km war mit einer Zeit von 1:40 h schon die Schamgrenze erreicht.
Und alles das hatte weitere Folgen. Außer unserer Leistungstruppe von der LG Seesen hatten wir auch noch einen Lauftreff. Die wollten natürlich auch an Wettkämpfen teilnehmen. Das größte Ereignis des Jahres war für diese Läufer(innen) der Volkslauf in Celle, das größte norddeutsche Laufereignis. Wir belächelten das zwar immer etwas, aber die vermeintlichen Jogger waren damals erheblich schneller, als der heutige Durchschnitt auf dem Halbmarathon.
Und nicht nur das. Die Lauftreffler reizte es aber auch einmal einen Marathon zu laufen und da sie unsere Trainingsumfänge von durchschnittlich 140 km/Woche kannten, liefen sie "nur" 120 km/Woche. Das fanden sie ganz normal und keinesfalls zu viel. Und damit rannten sie nach heutigen Maßstäben sehr ordentliche Zeiten.
Der langsamste lief eine 4:27 und dieser Mann war auch der einzige aus unserem Lauftreff, der jemals über 4 h lief. Alle anderen erreichten Zeiten zwischen 3:03 und 3:52 h. Wohlgemerkt Lauftreffler.
Und ich will und kann nicht glauben, dass die nachfolgende Generation nun mit völlig neuen Genen ausgestattet ist. Und das es unsere deutschen Männer 2010 durchschnittlich nur noch auf eine 4:06:26 bringen, lässt mich fast verzweifeln.
Und weil ich etwas gegen solche Schleichzeiten habe, mich schäme für diese Schlaffgurken, motiviere, drohe und beleidige ich die, die können und nicht wollen. Verzeih mir bitte, ich kann nicht anders und nimm es nicht persönlich.
Zu dem schreibe ich, einmal in Rage, hier an dieser Stelle etwas ganz anderes, als ich heute eigentlich vor hatte und was der Titel versprach. Das hole ich aber in der nächsten Woche nach.
Wenn du diese Zeilen liest, dann bin ich gerade für eine Woche im Urlaub und so wundere dich nicht, wenn ich auf Mails nicht sofort antworte.