Wäre es nicht schön, wenn wir aus einer gelaufenen Langstreckenzeit über alle unsere Distanzen die zu erwartenden Resultate ermitteln könnten? Es muss doch möglich sein, aus einer erzielten 5000 m-Zeit herauszulesen, was man auf der Marathonstrecke laufen könnte.
Ja, das kann man errechnen, aber von den beiden Enden einer Reihe von 3 - 5 - 10 - 21,1, 42,2 und 100 km wird es sehr unscharf. Ist uns auch allen klar. Wie schnell ein 100 km-Läufer mit einer PB von 9 h über die 3000 m laufen kann, können wir nur mit einer ganz großen Unschärfe ermitteln.
Obwohl, ein bekannter Autor aus dem Langstreckenbereich hat einmal behauptet, dass er aus der 1000 m-Zeit eines Athleten alle anderen Zeiten ermitteln kann. Ich habe das einmal nachgerechnet und kann nur feststellen, dieser Mann kann deutlich besser schreiben als rechnen.
Es ist schon schwer ein 3000 m-Resultat auf 5000 m hin zu rechnen. Die 3000 m werden auch von Mittelstrecklern gelaufen. Die sind über diese Distanz noch ziemlich schnell, aber wenn es 2 km länger geht, kann es sein, dass einige davon schon merklich in die Knie gehen, weil eben die Ausdauer fehlt.
Rückwärts kannst du deine mögliche 3000 m-Zeit errechnen, wenn du dein bestes 5000 m-Resultat mal 0,55 - 0,59 nimmst. Das Ergebnis ist doch schon ziemlich ungenau und kann individuell noch mehr streuen.
Besser sieht es aus in dem Vergleich von 5000 und 10000 m. Die Formel: Doppelte 5000 m-Zeit + 1 min ist ziemlich sicher. Also wenn du 20 min über 5000 m läufst, passt dazu eine 41 min über 10 km. Natürlich gibt es auch hier individuelle Differenzen, aber die sind nicht sehr groß.
Da größten Unterschiede entstehen durch die Klasse der Läufer(innen). Je leistungsfähiger die einzelnen Personen sind, desto kleiner wird der Leistungsabfall auf der längeren Strecke.
Am besten kannst du das erkennen, wenn du die Differenzen der Weltklasse zwischen der Halb- und Marathonstrecke vergleichst. Beim aktuellen Halbmarathon-Weltrekord von 58:23 = doppelt 1:56:46 und dem des Marathons von 2:03:59 h liegt eine Differenz von 7:13 min. Für den durchschnittlichen HM-Bereich von sagen wir einmal 1:30 h, muss aber eine Formel angewendet werden wie: Marathonzeit = Doppelte Halbmarathonzeit + 10 min.
Aber die Erfahrung zeigt, das diese Formel bei vielen nicht ausreicht. Besonders Gesamttrainingsumfang und der Umfang der dauerhaft gelaufenen längsten Trainingsstrecke beeinflussen diese Formel sehr stark.
Wer unter 70 km/Woche trainiert, muss in der Regel mit der Formel rechnen: Marathonzeit = Doppelte Halbmarathonzeit + 15 min. Wer dann dazu vielleicht auch nur noch als längste Strecke 25 oder 30 km in der Marathonvorbereitung läuft, bei dem springt die Formel oft schon auf: Marathonzeit = Doppelte Halbmarathonzeit + 20 min.
Andererseits sieht es dann aber auch so aus, dass sich bei den überragend Ausdauertrainierten die Formel zur anderen Seite wendet. Marathonzeit = Doppelte Halbmarathonzeit + 6 min kommt nicht selten vor. Kurioserweise gibt es auch Läufer, die es schaffen ihr Halbmarathontempo über die ganze Marathondistanz durchzuhalten.
Clubmitglied und -mitarbeiter Robert Jäkel ist so ein Fall. Er läuft fast ständig seine Marathons im Durchschnitt genau so schnell, wie Halbmarathons. Befragt, wie denn so etwas möglich sei, antwortete er: "Ich periodisiere meine Rennen sehr stark. Einen Halbmarathon laufe ich in der Regel immer 4 Wochen vor dem Marathon und da bin ich meist noch nicht in Hochform."
"Zudem absolviere ich meine HM´s immer aus dem Training heraus, dass heißt, ich bereite mich auf so ein Rennen nicht besonders vor. Was bei einem Marathon natürlich nicht der Fall ist. So kommen dann diese Resultate zusammen."
Es geht aber noch schlimmer! Eine mir bekannte Frau aus dem Aachenerraum lief früher von 10000 m bis Marathon die gleichen Durchschnittszeiten. Und das ließ sie fast verzweifeln.
Ihr Training gründete aber auch allein auf Dauerläufen im ständig ähnlichem Tempo. Als sie dann einmal mit uns im Trainingsurlaub war, fiel es ihr auch sehr schwer die geforderten Zeiten innerhalb Tempoläufe zu erreichen. Das war der reinste Kampf, Kopf gegen Beine.
Sie bekam es trotz Mühen kaum hin ihr Tempo zu variieren. Aber als sie dann zu Hause war, hat sie das Training systematisch fortgesetzt und es gelang ihr dann doch die 10 km unter 40 min zu laufen. Und dieses unter 4 min/km-Tempo konnte sie dann aber doch nicht im Marathon laufen. Sie hatte es endlich geschafft eine Normalität in ihre Wettkampfzeiten über die unterschiedlichsten Strecken zu bekommen.
Die klarste Beziehung besteht zwischen den Wettkampfzeiten von 10 km und Halbmarathon. Und das über einen ganz breiten Leistungsrahmen. Die Formel bei der Errechnung der Halbmarathonzeit aus einer 10 km-Zeit lautet: 10 km * 2,2.
Da ich diese Rechnung schon mehr als 10000-mal durchführen musste, ist sofort zu erkennen, wenn sich einer der Faktoren als Ausreißer darstellt. Aus der 10 km und der HM-Zeit errechnen wir die Temposteuerzeiten für die Greif-Club-Trainingspläne. Und wenn dann diese beiden Zeiten nicht zusammen passen, dann klären wir, welche von beiden der Ausreißer ist.
Ich informiere mich dann bei dem Läufer(in) und frage nach, warum denn diese beiden Zeiten in der Qualität so stark differieren. Dann bekomme ich meist Antworten wie: "Bei dem HM war es tierisch heiß" oder "Der 10-er hatte 243 Höhenmeter" und alle die anderen Bedingungen, die einen Kurs langsam oder schnell machen. Die Differenzen in der Zeitenqualität sind damit fast immer zu begründen. Das heißt, auf den Faktor 2,2 kann man sich ziemlich sicher verlassen.
Nur bei Anfängern haut das nicht so richtig hin. Weil die einen Halbmarathon noch als Mauer vor sich sehen und entsprechend verhalten laufen. Aber das ändert sich im Verlauf der persönlichen Entwicklung schnell.
Aber wenn man dann in Elitebereiche geht, stimmt die Formel HM = 10 km * 2,2 nicht mehr. Ich habe mir die Mühe gemacht einmal alle Weltrekorde seit 1900 in ihrer Wertigkeit zu vergleichen. Das ist eine Riesenrechnerei und man muss genau aufpassen, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleicht.
Das ist bei 10 km und HM schon kritisch. Der erste Männer-Weltrekord über die 21,1 km wird seit 1987 geführt, aber der erste über 10000 m schon 1911. Nimmt man den Durchschnitt aller Weltrekorde von 10000 m und 21,1 km, dann kommt dabei ein Faktor von 2,1466 heraus. Nimmt man aber den Zeitraum wo es schon beide Rekorde neben einander gab, dann ist es nur noch ein Faktor von 2,224.
Der Grund ist klar. Weil beim Halbmarathon die langsamen Zeiten aus den Jahren vor 1987 fehlen, kommt es zu dem Ungleichgewicht. Anders hingegen verhält es sich mit 10000 m und Marathon. Über diese beiden Distanzen wird ähnlich lange Buch geführt.
So kommt es über den Durchschnitt aller Männer-Weltrekorde zu einer Formel zwischen beiden von Marathonzeit = 10000 m-Zeit * 4,533. Wenn aber die aktuellen Weltrekorde von 10 km mit 26:17 min zu der Marathonzeit von 2:03:59 nimmt, dann ergibt das einen Faktor von 4,717. Und das ist ein wahrhaft großer Unterschied.
Wie du siehst, sind Umrechnungsfaktoren nicht in Granit gemeißelt. Sie wandeln sich und sind nicht für jeden gültig. Oft wird immer noch der Faktor zwischen 10000 m und Marathon von 4,666 angenommen. Aber wie du siehst, stimmt er für den Hochleistungsbereich und auch für den der ambitionierten Läufer nicht mehr.
Ich selbst war im Verhältnis meiner Bestzeiten von Marathon zu 10000 m mit einem Faktor von 4,525 gesegnet. Das heißt wohl, dass ich auf den 10 km zu langsam war. Im Grunde mochte ich diese Strecke auch nicht. 5000 m, 25 km und Marathon hingegen liebte ich. Und das schlug sich auch in meinen persönlichen Rekorden nieder.
Insgesamt zeigt meine private Statistik, dass der Faktor 4,7 der häufigst vorkommende ist und mit dem rechne ich schon seit Jahren auch innerhalb meiner Pläne. Und auch du musst rechnen und zwar mit dem Schlimmsten. Denn weil ich das heutige Thema wiederum nicht abschließend behandeln konnte, gibt es nächste Woche "Temposteuerung und Laufzeitenvergleich VI". Bis dahin alles Liebe.