Immer wenn man denkt man hat schon alles erlebt und gesehen und nichts könnte einen überraschen, dann passiert genau dies. Man wird überrascht und zum Teil sprachlos zurückgelassen. In diesem Fall betrifft es die "neue" Technik und die Auswirkung von "Social Media". Worum geht es?
Als "Social Media" bezeichne ich in diesem Zusammenhang natürlich auch Strava (und andere Plattformen), da man dort seine Trainings- und Wettkampf-Ergebnisse veröffentlichen kann und mit anderen Läuferinnen und Läufern in Kontakt bleibt. Eine schöne und motivierende Sache.
Nun beobachte ich auf diversen Plattformen, dass zunehmend Testläufe und Solo-Wettkämpfe auf der Bahn im Stadion absolviert werden. Das ist für mich, der die Bahn geliebt hat, sehr erfreulich. Da werden reihenweise 5 km, 10 km oder auch Halbmarathons auf der Bahn gelaufen. So weit so gut könnte man denken. Jetzt kommen aber Strava & Co ins Spiel. Da braucht man für die Läuferinnen und Läufer die einem folgen natürlich einen "Nachweis" der gelaufenen Strecke. Das heißt, die 10 km sollen auch automatisch als Distanz angezeigt werden. Dazu trackt man seinen Bahnlauf mit dem GPS!!
Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen! Nun gut, vielleicht hätte ich es einmal probiert um zu schauen wie genau die Technik arbeitet. Dann wäre ich aber nach dem ersten Versuch darauf gekommen, dass es nicht funktioniert. Nicht funktionieren kann! Nun werden dieses Läufe auf den diversen Plattformen mit dem Kommentar "Persönliche Bestzeit" versehen, es werden exakt 10,0 oder 21,1 km angezeigt. Mir reicht in der Regel ein Blick um zu sehen, dass da etwas nicht stimmt. Wenn bei einem 10 km Lauf Start und Ziel des Laufes auf der gegenüberliegenden Seite der 400 m Runde liegen, dann kann das wohl nicht stimmen. Es passt auch nicht, wenn sich bei einem 5 km Lauf Start und Ziel an der gleichen Stelle befinden.
10 km auf der Bahn sind exakt 25 Runden! Da ist die Startlinie gleich der Ziellinie. 5 km sind exakt 12 1/2 Runden! Wenn ich mir anschließend auch noch die Tracks genauer anschaue, dann sehe ich die sich verschiebenden 1000 m Abschnitte, die immer 2 1/2 Runden sein müssten, aber nicht sind. So fehlen bei einem 10 km Lauf am Ende oft 600 m, weil nur 23,5 Runden gelaufen wurden. Am Wochenende lief jemand auf der Bahn einen HM. Dort war zu sehen, dass bereits nach 10 km ca. 300 m fehlten. Das ist bereits über 1 Minute die er am Ende meint schneller gewesen zu sein!
Warum ist das so? Schauen wir uns kurz mal die GPS-Technik an:
1. Es werden laufend diskrete Positionswerte ermittelt. In der Regel einmal pro Sekunde. Allein die Bestimmung der einzelnen Positionen ist mit einer Ungenauigkeit behaftet. Das hängt von der Anzahl der empfangenen Satelliten, vom GPS-Empfänger, vom Wetter, von Reflexionen des Signal an Gebäuden, der Unterstützung von Differenzmethoden usw. ab.
2. Aus den Einzelpositionen die jede Sekunde ermittelt werden, wird die Entfernung berechnet. Die Bahnkurve ist ca. 100 m lang, je nach Laufgeschwindigkeit sind das also ca. 17 bis 30 einzelne Positionen. Aus diesen im Ursprung fehlerbehafteten Positionen berechnet deine Uhr anschließend die Entfernung.
3. Die Verbindung zwischen zwei Punkten ist nicht zwangsläufig eine Gerade. Eine Gerade ist zwar die kürzeste Verbindung, aber sicher nicht das, was deine Uhr berechnet. Jeder Uhren-Hersteller macht sie anders! Sogar von Modell zu Modell anders. Wenn es nicht so wäre, dann würde die Neuberechnung der exportierten Originaldaten bei jedem Auswertetool die gleiche Distanz anzeigen. Es kommen aber mit den gleichen Daten überall andere Werte heraus. Du kennst sicher noch das beliebte Spiel des Distanzvergleichs unter Läufern nach einem Volkslauf (doch doch, diese Läufe gab es mal).
4. Wenn also je nach Kontext von mehreren Positionswerten keine Gerade zwischen die Punkte gelegt wird, dann ist eine interpolierte Kurve. Das macht auch Sinn, wenn du dir vorstellst in höchstem Tempo eine 90 Grad Kurve zu durchlaufen. Eine Gerade würde diese Kurve komplett abschneiden. In der Regel sieht es nicht ganz so extrem aus und es wird etwas smoother interpoliert. Auf einem normalen Straßenkurs mit Kurven und Abbiegungen in beide Richtungen gleicht sich das Ganze etwas aus, ohne wirklich 100% exakt zu sein.
5. Auf der Bahn gibt es aber keine Richtungswechsel sondern nur eine Linkskurve. Der "ausgleichende" Algorithmus der Uhr bleibt aber gleich. Dies führt dazu, dass du geschwindigkeitsabhängig auf der Bahn immer 2-6% mehr Distanz angezeigt bekommst als du gelaufen bist. Diese Werte bestätigen die diversen Foren, eigene Versuche und die ausgewerteten Tracks aus Strava & Co. Das heißt du bist am Ende weniger gelaufen als das GPS anzeigt.
Bahnlaufen ist super! Du hast immer eine flache und exakte Strecke mit gleichbleibendem Untergrund. Wenn Wind ist, dann läufst du nicht kilometerweit gegen den Wind an, da wechseln Gegen- und Rückenwind 2 mal pro Runde. Die Rundenlänge beträgt 400 m! Damit steht die Anzahl der zu laufenden Runden doch schon vorher fest. 10 km sind 25 Runden, kein Meter weniger! Ein Läufer kam mit dem Spruch, er war bei seinem 38 min Lauf so am Limit, dass er sich nicht mehr auf das Zählen der Runden konzentrieren konnte. Da musste ich schon schmunzeln. Wenn ich nicht genau dies selbst 20 Jahre lang getan hätte, hätte ich ihm vielleicht geglaubt ;-)
Ich erinnere mich an den großen Ingo Sensburg aus Berlin. Ich kenne ihn nicht anders als mit der Stoppuhr in der Hand. Bei jedem Training, bei jedem Wettkampf. Auch als es schon längst Sport-Armbanduhren gab. Das war zu einer Zeit, als man unter 30 min laufen musste um Berliner Meister zu werden. Ingo lief noch in der Altersklasse M40 29er-Zeiten über 10.000 m. Mit der Stoppuhr in der Hand! Bei vollem Bewusstsein auf Runden- und Kilometer-Zeiten.
Was ist also zu tun bei einem Bahnlauf? Schalte dein GPS ganz oder zumindest die Auto-Lap-Funktion (meist 1 km) ab. Dann orientierst du dich ausschließlich an den einzelnen Kilometern auf der Bahn. 1 km sind 2 1/2 Runden. Das ist jeweils der gegenüberliegende Start/Ziel auf der Bahn. Nur bis dorthin musst du denken. 2 1/2 Runden. Dann drückst du deine Lap-Taste und hast die km-Zwischenzeit. Wenn du unmittelbar anschließend auf der Gegengeraden durchs Ziel läufst, sind es weitere 2 Runden bis zur nächsten Zwischenzeit. Trotz allem kannst du auch die Rundenzeiten im Blick behalten um dein Tempo zu kontrollieren.
Um es dir nochmal zusammenzufassen:
3000 m = 7 1/2 Runden
5000 m = 12 1/2 Runden
10.000 m = 25 Runden
HM = 52 3/4 Runden
Ich tue mich ungemein schwer damit, die Läuferinnen und Läufer in ihrer Euphorie der vermeintlichen neuen "Bestzeit" auf die GPS-Problematik hinzuweisen. Allein 200 fehlende Meter machen 40-60 sec aus! Daher dieser Newsletter. Vielleicht erkennt der eine oder andere ja das Problem dadurch selbst und versucht es nochmal auf korrekte Weise ohne GPS.
Nachtrag vom 14.04.: Unser Club-Mitglied Tim S. hat unmittelbar nach dem Erscheinen des Newsletters sein eigenes Training auf der Bahn mit seiner Polar Grit X getrackt. Dabei zeigte ihm die Uhr bei einer gelaufenen Strecke von 12800 m eine Distanz von 13280 m an. Also 3,75% zuviel. Hätte er sich für die 12800 m am GPS orientiert, wäre er also deutlich zu wenig gelaufen.
Im Übrigen gibt es auch schon GPS-Uhren die man im Bahnlauf-Modus betreiben kann (z.B. Garmin f?nix 6X). Unten siehst du einen entsprechenden Track. Dieser sieht sehr interessant aus, vermutlich gleicht die Uhr dort Ungenauigkeiten aus. Der Läufer lief insgesamt 20,3 km auf Bahn 1. Hierbei stimmt die Distanz auffallend gut. Es sind genau 50 3/4 Runden.
Und es gibt den Stryd! Unser Club-Mitglied Michael L. aus Hamburg schrieb mir am 14.04.: Falls du noch ein Argument mehr benötigst, um den Stryd-Sensor zu empfehlen: hier ist ein 10.000 m Bahn Rennen mit dem Stryd (ohne Windfunktion und deshalb ohne Kalibrierung). Exakt hat er seinerzeit 10.010m gemessen, und ich war auch fast durchgängig an der Innenkante der Bahn unterwegs. Auch bei kürzeren Einheiten auf der Bahn bin ich immer wieder fasziniert von der Genauigkeit. Die zu den auf der Bahn gemessenen Tempi passenden Watt-Werte nutze ich dann auch im Gelände und bei windigen Verhältnissen. Aber jetzt schreibst du in die Trainingspläne ja auch Watt-Werte.