Es ist jetzt Mitte Mai, wo ich diese Zeilen schreibe. Es kommen Erinnerungen hoch aus der Zeit, an dem ich noch bei jedem Tempolauf an und auf der Bahn stand, das Training führte und selbst mit lief.
Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich dir jetzt mit irgendwelchen alten Trainingseinheiten komme, die schon lange vergessen sind. Es dreht sich um die 20 x 400 Meter, eine Einheit die immer noch brandaktuell ist.
Die ganze Welt läuft diese Stadionrunde, vom Marathonläufer bis zum Sprinter. Es ist natürlich, dass die Anzahl der Wiederholungen und Pausen je Streckendistanz variieren. Für uns ist die oben beschriebene Einheit ein wichtiges, weil oft genutztes Beispiel.
Zurückdenkend an viele Trainingstage Anfang Mai. Die Cross- und Straßensaison hatten wir hinter uns, jeder der Erwachsenen hatte zwei bis drei Halbmarathons gelaufen und mindestens einen Frühjahrsmarathon durchgeprügelt. Und jetzt ging es erstmals auf die Bahn, auf die Aschenbahn! Wir standen voll im Saft, das bisschen Bahntraining sollte uns doch nicht schrecken.
Grundsätzlich standen in jedem Jahr als erste Bahneinheit 20 x 400 m mit 100 m Geh- und 300 m Trabpause auf dem Plan. So ein paar Meter auf der Bahn sollten uns doch nicht schrecken.
Den ganzen Winter hatten wir uns mit 3 x 3000, 10 km Tempoläufen und ähnlichem oder viel Schlimmeren herum geschlagen. Was ist denn da eine Runde schnell mit einer langen Pause?
Die Erfahrenen bewegten mit sorgenvoller Miene den Kopf nach rechts und links und pressten die Lippen aufeinander. Die Jugend alberte umher, es schien ihnen alles lächerlich leicht zu sein. "Die Vorgabe unterbiete ich um 5 sec", ein anderer aber: "So schnell? Das schaffe ich nie."
Doch liefen sich alle sorgfältig ein. Dann Start! Die Meute der Läufer schoss los wie die Hunde hinter dem Hasen. Bis 200 m locker, dann wurde das Tempo deutlich ruhiger und auf den letzten 100 m begann das „Sterben“.
Der Trainer lästerte vom Rand her etwas wie „Jogging“, "bitte nicht umfallen" und „späterer Mund zu Mund Beatmung“. In das Ziel kam aber dennoch jeder, aber es sah teilweise sehr lustig aus.
Einer hing über die Barriere, eine andere kniete und stütze sich mit den Ellenbogen ab. Alles keuchte, pfiff oder fluchte. "Das gibt es doch gar nicht, 5 sec drüber. Ich bin letztes Jahr die 5000 m im Schnitt schneller gelaufen als jetzt diese eine Runde."
Die Erfahrenen hoben ihre Stimme: "Das ist jedes Jahr so, die ersten 400-er schaff'ste nie, aber beim zweiten Mal wird es schon besser und beim dritten Mal geht es locker."
Selbst die Jugend hielt nun vorübergehend die Klappe. In der Trabpause wurde dann eine neue Taktik besprochen. "Wir müssen langsamer angehen!" Allgemeine Zustimmung.
Aber nach dem nächsten Start witterte plötzlich einer von den schwächeren Läufern Morgenluft und rollte von hinten die ganze Trainingsgruppe auf, die sich natürlich wehrte und langsam angehen zu den Akten legte.
Und im Ziel wieder das gleiche Gejammere. So nach der fünften Wiederholung, war die Gruppe im Rhythmus. Jeder 400-er in der gleichen Zeit, maximal 1 - 2 sec Abweichung.
Es war auch kein Problem diese 20 Runden zu beenden, Kondition war ja da. Nur dieses dämliche hohe Tempo war zu hoch. Ausdruck dessen war der wütend dahin geworfene Ausruf eines Läufers im Ziel: "In meinem Blut kann`ste Gurken einlegen!"
Einige wussten sich aber zu helfen, die machten nur fünfzehn 400-er. Das erstaunte niemanden. Wenn der Trainer fünfzehn Mal sagte, machten sie 10 und wenn es zwanzig waren eben 15. Hauptsache weniger.
Ob das einen Sinn hatte oder nicht war egal. Es spielte eben der Gedanke die Hauptrolle: "Wenn der Trainer sagt 20 Mal, dann ist das schwer. Wenn ich dann nur 15 laufe, ist das leicht." Läufer- und speziell Läuferinnen-Logik.
Ja, so war das in den 80- und 90-er Jahren, als der Schreiber dieser Zeilen an manchen Mittwochabenden mehr als 25 Läufer(innen) um die Bahn scheuchte.
Warum aber verlangte ich damals von diesen Sportler(innen), dass sie ein Tempo laufen sollten, von dem ich schon vorher wusste, dass die meisten es beim ersten Mal kaum schaffen würden?
Es war die Erfahrung, dass viele Langstreckenläufer - speziell die Marathonspezialisten - so ein Bahntraining hassten. Sie waren nach dem Frühjahr stolz auf ihre gelaufenen Zeiten auf den langen Distanzen und fühlten sich schnell und fit.
Jetzt aber standen 3000, 5000 und 10000 m Bahnwettkämpfe auf dem Programm und dazu brauchte man Schnelligkeit und Tempohärte. "Schnell sind wir doch. Ha'ste gesehen wie ich Holger beim letzten Halbmarathon im Spurt abgezogen habe?"
Ja, hatte ich gesehen, das waren 30 m bis zum Ziel. Die Schnelligkeit über längere Dauer war aber bei den meisten eine Fiktion.
Also musste ich diese Träumer runterholen von ihrem Thron und die Ängstlichen aufbauen. Diese erste 400 m-Einheit zeigte allen, wo sie standen. Die einen murmelten: "Ich muss was tun, das war ja ätzend auf den letzten Metern."
Andere meinten erstaunlich zufrieden: "Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell laufen kann. Es fehlen zwar 6 sec auf die Vorgabe, aber ich bin eben langsam."
Jeder hatte nun seinen Standort und daran konnten, mussten wir jetzt arbeiten. Hätte ich die Vorgabezeiten deutlich niedriger angesetzt, wäre in den Köpfen nicht der Drang nach Verbesserung geweckt worden.
Ich mache das heute noch so innerhalb meiner individuellen Trainingspläne. Die 20 x 400 m traue ich mich zwar nicht mehr zu verschreiben, weil ich eine Revolution oder eine Meldung bei Amnesty befürchte. Altersweise geworden lasse ich es erst einmal bei 15 x 400 m.
Aber das hohe Tempo bei der ersten 400 m-Einheit gibt es immer noch. In den meisten Plangruppen steht in diesem Monat so eine Einheit auf dem Plan. Und das ist schon ganz lustig, was für Anrufe kamen. "Du hast dich verschrieben, bei mir stehen 82 sec für 400 m im Plan, das schafft kein Mensch." Doch antwortete ich: „Es bleibt dabei. Du wirst sehen, es geht.“
Ein anderer Anruf: "Dein Computer hat bei mir einen Fehler gemacht. Ich soll 74 sec auf den 400 laufen, das sind 3:05 min auf 1000 m. Und ich kann die höchstens in 3:20 min laufen!"
Ich kannte den Anrufer gut und antwortete: "Du Flachhobel sollst auch nicht 1000, sondern nur 400 m laufen." "Aber das ist zu schnell!" Und weil ich ihn nicht nur gut, sondern auch ziemlich genau kannte, konnte ich ihm versichern, dass er die Vorgabe sicher schaffen würde. Geglaubt hat er mir aber nicht.
Warum ich dir das alles schreibe, hat nur einen Grund. Ich möchte dich auch etwas schneller machen. Und dazu gehören die 400 m-Läufe. Die ganze Welt trainiert diese eine Stadionrunde. Du solltest auch einmal eine Einheit mit 10 - 15 Mal 400 m versuchen. Du darfst dir auch aussuchen, ob du 400 oder 600 m Trabpause machst.
Und jetzt werde ich dich einmal richtig ängstlich machen. Hier ist deine Vorgabe und wie du sie errechnest:
Aktuelle 10 km-Wettkampfzeit minus 30 sec, geteilt durch 30 sec. Zum Verstehen in Zahlen. Du hast eine angenommene aktuelle Leistungsmöglichkeit von 50:30 min/10 km. Davon zieht du jetzt 30 sec ab. Das sind 50 min. Die rechnest du jetzt in sec um, 50 x 60 = 3000 sec. Diese teilst du dann durch den Faktor 30. Und dann hast du schon das Resultat von 100 sec oder anders gesagt 1:40 min. Über diesen Rechner geht es deutlich einfacher!
Und nun bis du dran. Wette, dass du es nicht zehnmal hintereinander schaffst sie zu laufen! Aber bitte nicht mailen, denn ich weiß, dass ich 1. ein Menschenschinder bin, es 2. auch Leute gibt, die alle 400-er locker in der Vorgabezeit schaffen.
Im Zusammenhang mit "Menschenschinder" fällt mir noch eine Geschichte ein. Als ich als Anfänger 1972 erstmals beim Training des SCC Charlottenburg in Berlin auftauchte, lies mich der damalige Trainer Herman Brecht 5000 m im höchstmöglichen Tempo laufen.
16:20 min, ich war fix und alle. Dafür durfte ich mich auch 3 Runden auslaufen und dann kamen noch einmal 400 m mit maximaler Leistung aber fliegendem Start dran. 54 sec. Scheintot war geschmeichelt.
Du kannst es ja auch mal versuchen, es war einfach umwerfend. Das war wirklich die Steigerung von Menschenschinden. Aber dem Himmel sei Dank, ich habe es damals nicht so empfunden. Es gab in diesen Zeiten kein zu hartes Training, nur ein zu schlaffes.
Die Trainingsjammerei ist eine Erfindung der Neuzeit. Leider vermehren sich die Schlaffis immer schneller. Aber du gehörst ja nicht dazu, sonst würdest du diese Zeilen nicht lesen.