Kaum etwas wurde und wird unter Läufern so kontrovers diskutiert wie das Dehnen. Daran scheiden sich oft die Geister. Es gibt Läuferinnen und Läufer die dehnen nach dem Training oft oder immer. Sie folgen der Meinung, das Dehnübungen unverzichtbarer Teil des Trainings sind. Andere Läuferinnen und Läufer dagegen dehnen nie. Sie sind entweder zu bequem dazu, wissen es nicht besser oder folgen der Meinung Dehnung ist nicht erforderlich weil es sowieso nichts bringt. Dann gibt es noch einige wenige Profi-Athleten die lassen dehnen. Von ihrem Physiotherapeuten.
Für mich ist es doch erstaunlich, das sich relativ wenige Läuferinnen und Läufer nach dem Training die Zeit nehmen, um ausgiebig zu dehnen. Oft ist es Bequemlichkeit oder ein Zeitproblem. Vor allem wenn man überwiegend allein trainiert. Das Training ist durch, man ist erschöpft und unter Umständen ruft schon wieder der nächste Termin oder die Familie fordert ihr Recht. Beim Training im Verein wird in der Gruppe öfter regelmäßig gedehnt.
Ich sehe Dehn- und Lockerungsübungen als einen unverzichtbaren Teil des Trainings an. Ja, sie erhöhen auch die Beweglichkeit. Das ist für mich persönlich aber nicht der wichtigste Punkt. Diese Übungen verbessern die Regeneration nach dem Training, unterstützen die natürliche Grundspannung in den Muskeln, führen zu Schmerzfreiheit in Gelenken und fördern das Körpergefühl.
Eigentlich liest man immer, dass das Dehnen ausschließlich nach dem Training erfolgen soll. Das ist natürlich völlig korrekt für die Trainings-Nachbereitung und die Regeneration. Allerdings ist es mir aber auch zu einseitig und undifferenziert gedacht. In meiner aktiven Zeit haben wir eigentlich immer gedehnt. Auch "leicht" vor Tempoeinheiten und Wettkämpfen. Natürlich nicht im kalten Zustand. Sondern nach einem Einlaufen von 4-5 km und Lauf-ABC Übungen. Ja, auch vor Wettkämpfen haben wir Lauf-ABC Übungen mit Fußgelenksarbeit & Co absolviert. Wenn ich heute jemandem sage, er solle sich vor einem 10 km Wettkampf 5 km einlaufen, schaut er mich ungläubig an und antwortet: "Danach bin ich ja schon völlig fertig". Im erwärmten Zustand wurde dann leicht gedehnt. Die Betonung liegt auf "leicht". Ich verrate dir auch, warum ich das "nur danach" für zu undifferenziert halte. Es gibt auch andere Laufdisziplinen als das Geradeauslaufen. So bin ich einige Jahre über 3000 m Hindernis gestartet (Bestzeit 9:38 min). Ich wäre gespannt, wie mir diejenigen, die mir ausschließlich das DANACH Dehnen verkaufen wollen, mir erklären, wie ich ohne VORHER zu dehnen über die Hindernisse kommen soll. Keine Chance. Nicht ohne zu dehnen und so etwas für die Beweglichkeit zu tun.
Es gibt ja zwei Arten von Dehnung: das dynamische und das statische Dehnen. Das dynamische Dehnen (z.B. Wippen oder Federn während den Übungen) kennt man noch von vor 40 oder 50 Jahren Jahren aus dem Sportunterricht. Das statische Dehnen (Spannung über 30 bis 60 Sekunden halten) kam später und ist die Form des Dehnens, die wir heute praktizieren.
Allerdings hat mit der Erkenntnis der Bedeutung der Faszien auch das „leicht“ dynamische Dehnen wieder an Bedeutung gewonnen. Dazu unten mehr.
Belastest du deine Muskeln während des Trainings, so steigt die Grundspannung des Muskels an. Dadurch wird seine Leistungsfähigkeit erhöht. Durch das statische Dehnen nach der Belastung kannst du dafür sorgen, dass sich deine Muskeln wieder entspannen können. Dehnung ist damit der erste Schritt zur Regeneration. Sind deine Muskeln entspannt, dann erholen sie sich schneller. Weisen deine Muskeln dauerhaft eine erhöhte Spannung auf, kann sich die negativ auf deine Lauftechnik auswirken.
Ich empfehle dir nach jedem Lauf ein Programm vor allem für folgende Muskeln:
- Oberschenkel – Quadrizeps
- Obere Wade, Zwillingswadenmuskel
- Untere Wadenmuskulatur – Achillessehne
- Abduktoren – seitliche Rumpfmuskulatur
- Hüftmuskulatur, Hüftstrecker, Außenrotatoren, IT Band
- Innenrotatoren und Adduktoren
- Rückenstrecker
Entsprechende Übungen findest du im Internet oder auf YouTube zur Genüge. Stelle dir ein entsprechendes Programm zusammen.
Ein wichtiger Punkt bei der Betrachtung der Dehnung ist die Schmerzvermeidung. Wenn ich 3 Tage laufe, ohne den vorderen Oberschenkeln und die obere Wade zu dehnen, meldet sich mein Arthrose-Knie mit heftigen Schmerzen. Ganz klar, die Muskeln weisen eine erhöhte Spannung auf und es wirken die Kräfte des vorderen Beinstreckers über das Knie von oben und die Kraft der Wade von hinten unten auf das Knie. Die führt zu Knieschmerzen. Um dies zu vermeiden, gibt es zwei Übungen die jeder kennt:
- Oberschenkel – Quadrizeps (Einbeinstand, Sprunggelenk fassen, Knie parallel, Standbein leicht angewinkelt, Hüfte nach vorne strecken, Oberkörper aufrecht) und
- Obere Wade, Zwillingswadenmuskel (Kleiner Ausfallschritt nach vorne, Füße parallel, vorderes Knie gebeugt, hinteres Bein durchgestreckt und Ferse fest auf dem Boden, Oberkörper gerade (Alternativ mit Erhöhung für den Fußballen/Bordsteinkante).
Die erste der beiden Übungen kannst du auch gut auf dem Bauch liegend durchführen. Halte die Stellung der Dehnung jeweils 15 bis 30 Sekunden. Übe nur einen leichten bis mittleren Zug auf die Muskeln aus. Vermeide eine übermäßige Dehnung, da diese wiederum zu Muskelverletzungen führen kann.
Seit ein paar Jahren sind ja Faszien und deren Bedeutung für unsere Leistungsfähigkeit in aller Munde. Ich hatte kurz im Zuge der Blackroll darüber berichtet. Faszien sind grob gesagt das Bindegewebe welches die Muskeln umhüllen. Daher sollten wir uns auch um die Dehnung der Faszien kümmern. Nun sind die Muskel- und Faszien-Dehnung nicht wirklich trennbar. Jede Muskeldehnung dehnt auch die Faszien.
Wichtig sind dabei elastische Faszien, damit die einzelnen Faserschichten gut aufeinander gleiten können und nicht "verkleben".
Nun kann man einerseits mit der Blackroll für die "Verteilung" der Faszien sorgen. Dabei sind durchaus auch die Positionen die man für das Ausrollen einnehmen muss vorteilhaft. Oftmals muss man sich ziemlich verrenken, um die gewünschte Partie zu rollen. Das kann dann der Faszie manchmal mehr bringen, als das Rollen selbst.
Zum anderen gibt es dynamische Dehnübungen (sehr leichtes Wippen) mit denen man das "Verkleben" der Faszien verhindert und für elastische Faszien sorgt. Hierbei geht es darum die Faserschichten frei gleiten zu lassen und den Flüssigkeitsaustausch dazwischen zu erhöhen. Dafür würde ich dir u.a. Übungen für den Hüftbeuger und die untere Wade/Achillessehne empfehlen. Auch für diese wirst du u.a bei YouTube fündig.
Im Gegensatz zur Dehnung der Muskeln, die auf einzelne Muskelgruppen wirken, wirkt sich die Dehnung der Faszien auf das gesamte System vom Kopf bis zu den Füßen aus.
Fazit: Aus Gründen der besseren Regeneration und Schmerzvermeidung sollten Dehnübungen genauso zu deinem Trainingsprogramm gehören wie deine regelmäßigen Trainingseinheiten.