Es ging schon los am 3.10.2010 nachmittags. Mails, aus denen die Tränen rannen und die von Blut und Schweiß schier trieften, liefen serienweise auf. Es waren Nachrichten von unseren Clubmitgliedern, die im wahrsten Sinne des Wortes am Boden verstört waren.
Der Grund war ein Illusionsverlust in Bezug auf den an diesem Sonntag absolvierten Halb- oder Marathon. Es überwiegten zwar immer noch die Bestzeitenmeldungen, aber Misserfolgsmeldungen in dieser Anzahl erreichen mich ganz selten. Und alle im gleichen Tenor: "Ich war so gut drauf und dann so etwas. Schon bei km 30 war ich völlig fertig und habe mein erwartetes Ziel weit verfehlt."
Bei einigen ging es dann so weit, dass sie so von Selbstzweifeln geplagt waren und sich sogar mit der Aufgabe der ganzen "Lauferei" auseinandersetzten. Es brachen Traumwelten zusammen. Das Glück, welches man bei den gelungenen Trainingsläufen gespürt hatte, war zusammen verflogen mit der Erwartung, dieses Glück nun auch im Rennen zu gewinnen.
Als Vergleich mag der verregnete Berlin-Marathon am 26.10.2010 herhalten. Da hagelte es persönliche Rekorde und nur zwei Misserfolgsmails erreichten mich. Und oft mit dem Zusatz bei den Erfolgreichen: "Trotz des schlechten Wetters..."
Und im Gegensatz dazu schrieben die Akteure des Köln-Marathons: "Trotz des guten Wetters..." War das Wetter denn in Köln und anderen Städten Deutschlands an diesem Tag wirklich gut? Nein ganz sicher nicht in unserem Sinne und ich gehe so weit zu sagen, dass das Berliner Wetter deutlich leistungsfördernder war, als das von Köln.
In der Domstadt gab es neben dem starken Wind auch noch Temperaturen von über 20 Grad im Schatten, in der Sonne auf der Strecke war es aber noch deutlich wärmer. Dazu kam noch die Startzeit vom Marathon um 11:30 Uhr. Das war auch nicht gerade gut für einen gewöhnlichen Biorhythmus. Denn in der Mittagszeit mag auch der Marathoner lieber ruhen.
Nun ja, mag man denken, 20 Grad ist ja nun nicht gerade übermäßig heiß. Aber um die Mittagzeit muss man dann wohl doch zwangsläufig in der Sonne rennen und dort sind die Temperaturen um mindestens 5 Grad höher.
Ich selbst habe an diesem Tag meine Heimmannschaft bei einem Halbmarathon in Alfeld betreut. Dort empfand ich die Bedingungen als entsetzlich. Trotz des Starts um 10 Uhr war es viel zu warm und der Wind zog einem die Kraft aus den Muskeln. In Köln, so wird berichtet, herrschten vergleichbare Bedingungen vor.
Und wo wir schon einmal beim Vergleichen sind, müssen wir die Gegenüberstellung von Temperaturen betrachten. Denn die Auswirkungen von 20 Grad am Tag X auf unsere Leistungsfähigkeit, können ganz anders sein als die am Tag Y. Auf das Warum komme ich später noch zurück.
Praktisch gesehen wirken sich 20 Grad im März ganz anders auf uns aus als 20 Grad im Juni. Dazu kann ich einmal von einem Marathon berichten, der Ende März, ich glaube es war 1982, in Holzminden stattfand.
Die Strecke an der Weser war alles andere als flach. Aber dieses Rennen war eine reine Niedersächsische Meisterschaft und dort mussten wir mit unserer großen Mannschaft hin. Am Start morgens war es kühl und windstill.
So ganz genau erinnere ich mich nicht mehr, aber wir liefen an der einen Seite der Weser die eine Hälfte, um dann an der Ostseite wieder zurück nach Holzminden zu laufen.
Und es wurde ganz klar und die Sonne schien von der Seite auf uns Läufer. Die Bäume waren noch unbelaubt und kein Lüftchen wehte. Wir fühlten uns wie auf einem Grill, obwohl die Höchsttemperatur im Schatten die 20 Grad kaum überstieg.
Aber uns lief der schmierige Schweiß am Körper herunter und an jedem Anstieg waren wir kurz vorm Zusammenbruch. Ich erinnere mich noch genau: Mich plagten Krämpfe und ich war "fertig" wie selten zuvor.
Der Gedanke an einen Ausstieg wurde immer stärker, aber ich widerstand der Versuchung und rettete mich mehr kriechend als laufend in das Ziel. Aber andere Teammitglieder gaben frustriert und ausgelaugt das Rennen auf. Den Titel gewannen wir natürlich auch nicht, obwohl die anderen Mannschaften auch Ausfälle zu beklagen hatten.
In dieser Zeit war auch schon ein Landestitel sehr schwer zu erringen, denn der VFL Wolfsburg war mit seiner vom VW-Werk gesponserten Profi-Mannschaft kaum zu schlagen. Und es gab auch noch eine große Anzahl von Teams mit sehr starken Läufern und Läuferinnen.
Nun denn, wie auch immer. Aber warum haben uns diese 20 Grad an diesem Tag so sehr geschlaucht? Das ist relativ einfach zu erklären. Wir kamen gerade aus dem Wintertraining und es herrschten die ganzen Wochen vorher nur Temperaturen um oder unter null. Da brauchte man nicht viel schwitzen. So waren wir an niedrige Temperaturen adaptiert und nicht an hohe.
Das hat physiologische Folgen: Der Organismus versucht auch in der Winterzeit seine überschüssigen Salze los zu werden. Weil nun aber die produzierte Schweißmenge sehr niedrig ist, wird der Schweiß einfach höher konzentriert.
Er fühlt sich dann auf der Haut schmierig an und wenn er trocknet, hinterlässt er in den Gesichtern der Läufer deutlich sichtbare Schweißränder. Auch am Wettkampfshirt hinterlässt er deutlich seine Spuren.
Der reichlich fließende Sommerschweiß ist hingegen dünner und damit wässeriger. In tropischen Gebieten scheidet der Organismus fast nur reines Wasser aus. Ein Salzgeschmack ist dann nicht mehr wahrzunehmen. Er läuft auch am Körper herab, weil dieser sich davon eine stärkere Kühlung durch höhere Verdunstung verspricht.
Ganz anderes läuft die Sache aber ab, wenn es nach einem Winter oder einem längeren kühlen Zeitraum schlagartig warm wird. In diesem Fall kann dann der Körper leider nun nicht genauso schlagartig vom dicken Winterschweiß auf dünnen Sommerschweiß umschalten. Dazu braucht er so ungefähr 14 Tage.
Und so kommt es zum Dilemma. Die hohen Temperaturen verlangen die Kühlung des Körpers und der Organismus gibt nun reichlich Schweiß wie nach langer Hitzeanpassung. Dieser aber ist voll von den wichtigen Mineralien. Je mehr Unterhautfett man sein eigen nennt, desto brachialer wird Schweiß nach außen gefördert.
Das hat zur Folge, dass der Körper zu viel Salze verliert und damit seine Vitalität eingeschränkt wird. Das für das Funktionieren des Organismus so wichtige Natrium wird am meisten ausgeschieden. Ist dieses nicht mehr in ausreichender Menge vorhanden, kann der Körper die geforderte Leistung nicht mehr in voller Höhe erbringen.
Dem kann man natürlich mit Salztabletten (Greif Krampfblocker) und viel Wasser entgegensteuern, aber wer dieses vergisst, hat keine schlechten Karten, sondern schlaffe und krampfige Muskeln. Und wenn dann dazu noch der Gegenwind sein unheilvolles Werk verrichtet, dann sinkt der Mut des Läufers und mit ihm versandet das Renntempo so langsam.
Daraus folgt nun eine zurückgehende Motivation, die dann wiederum einen Abfall der leistungsfördernden Stresshormone nach sich zieht und schon ist das Marathondesaster in perfekter Form geboren.
So oder ähnlich lief es auch in Köln ab. Lange war es kühl vor dem Renntag und plötzlich drehte der Wind auf Süd und es wurde warm. Niemand hatte die Möglichkeit sich diesen überraschend hohen Temperaturen anzupassen und es passierte, was passieren musste.
In diesem Sinne: Wenn du zu den anscheinenden Versagern vom 3.10.2010 gehörst, dann kann ich dir mit auf den Weg geben: Du bist keine Lusche! Sondern du bist hochleistungsfähig, du hast nur den falschen Tag erwischt. Wenn es kühl gewesen wäre, hättest du deine Träume erfüllen können.
Nimm es hin. Es ist eine Negativerfahrung aus der du gelernt hast. Du weißt jetzt woran es gelegen hat und wie du dieser Situation in Zukunft entgegentreten kannst. Denn es kommen noch viele Rennen, bei denen bessere Bedingungen herrschen und auch welche mit deutlich schlechteren.