Im Bezug auf die beiden von Peter Greif verfassten Newsletter vor wenigen Wochen (Kinder- und Jungendtraining) möchte ich mich diesmal als Betroffener zu Wort melden.
Leistungsorientiertes Training für Kinder und Jugendliche ist ja hierzulande ein ganz heiß diskutiertes Thema. Wird erfolgsorientiert und hart gearbeitet, spricht man oft gleich von "verheizen". Insbesondere dann, wenn die Jugendlichen irgendwann aufhören. Dass dies ganz andere Gründe haben kann, wird oft nicht gesehen. Zu leicht ist es, ambitionierten Trainern oder Eltern 100% Schuld an der Aufgabe des Sports in die Schuhe zu schieben.
Und um unseren ewigen Kritikern gleich die Luft aus dem Reifen zu lassen: Dieser Artikel ist keine "umfassende Selbstdarstellung", sondern stellt die Sicht eines damals betroffenen Jugendlichen dar, zufällig dem Verfasser dieser Zeilen.
Am eigenen Beispiel möchte ich zeigen, dass „nicht verheizen“ nicht automatisch die große Schonhaltung im Training bedeuten muss. Oder anders ausgedrückt, hart trainieren auch im Jugendalter kann sich positiv auf Jahrzehnte aktiven Sportlerdaseins auswirken. Kindern und Jugendlichen muß die Möglichkeit gegeben werden, ihren eigenen Neigungen nach zu handeln. Hätte ich damals "Leichtathletik-Rahmentrainingsplan Schema F" absolvieren müssen, wäre ich definitiv heute, 25 Jahre später, nicht mehr als aktiver Sportler dabei. Wahrscheinlich wäre es nicht mal zum Beginn einer Wettkampflaufbahn gekommen.
In der Grundschule über den Schulsport zum Laufen gekommen, hatte ich schnell große Freude an Training mit dem Ziel der Verbesserung. Hatte ich doch schon als 8-jähriger einen "Holger Meier". Der hieß in Wirklichkeit Torsten, war mein bester Schulfreund und spielte Fußball. Mehr Holger-Faktor geht gar nicht. J
Im 800m-Lauf fürs Sportabzeichen waren wir beide mit großem Abstand die Schnellsten der Klasse. Aber "Holger" (Torsten) schlug mich immer im Endspurt. Nahe liegend und völlig natürlich für ein Kind, dass es den Spieß unbedingt mal umdrehen will.
Ich lief also aus freien Stücken nachmittags vor den Hausaufgaben gelegentlich durch die Feldmark. Ohne jeglichen Druck von außen durch Lehrer, Eltern oder Trainer. Ich wollte ja nur schneller werden als Schulfreund Torsten. Ums vorweg zu nehmen: Das hat erst geklappt, als er als Jugendlicher mit der Raucherei angefangen hat. Ich hätte das ja gern rein sportlich erledigt. Mangels Talent und/oder Trainingsfleißes blieb mir das aber versagt.
Es entwickelte sich eine echte Freude am Training. Nicht in den ganz jungen Jahren, aber ab dem 14. Lebensjahr gings richtig los. Freude hatte ich vor allem daran, die Entfernungsgrenzen auszuloten. Wie weit ist es mir möglich, am Stück zu laufen? Bei Wettkampfdistanzen stieß ich jedoch ständig an rechtlich auferlegte Grenzen. Funktionäre sahen und sehen bis heute Gründe, warum ein Kind vor langen Distanzen geschützt werden muß. Dabei empfand ich einen 1500m Wettkampf Vollgas an Oberkante Unterlippe gerannt immer viel belastender, als mal 20-25 km im Rennen zu laufen.
Ich suchte eine professionelle Anleitung. Für mich umsetzbare und verständliche Literatur fand ich damals nicht. Ich versuchte es also in Leichtathletikvereinen meiner erreichbaren Umgebung.
Dort gab es jedoch für Kinder und Jugendliche nichts anderes als "Schema F". Ich wollte Lauftraining und stieß auf irgendeine allgemein ausbildende Leichtathletik. 1-2x Training pro Woche. Soll ja viel besser sein für die Kinder und das will ich auch in keiner Weise in Abrede stellen!
Das entsprach allerdings überhaupt nicht meinen Interessen und Fähigkeiten und war mir auch viel zu wenig. Ich klinkte mich da zügig wieder aus. Glücklicherweise haben meine Eltern mir freie Bahn gegeben. Sie unterstützten mich nicht groß, behinderten mich aber auch nicht. Sie ließen mich einfach machen. Dafür bin ich ihnen bis heute dankbar!
Also schloss ich mich mit 15 einem örtlichen reinen Laufverein an. Da stand ich einfach mal zu Beginn des Trainings und verkündete, in 8 Wochen Marathon laufen zu wollen und ob die mir sagen können, wie man für so was trainiert. Ich war ja kein völliger Anfänger mehr. Seit Monaten lief ich 4-5 mal pro Woche und hatte bei ersten Volksläufen 10 km in 40 min geschafft.
Die Gruppe komplett aus erwachsenen Läufern nahm mich auf und nachdem sie sahen, dass ich gut mithalten konnte und dauerhaftes Interesse hatte, unterstützen sie mich nach Kräften. Zwar war ich der einzige Jugendliche, der regelmäßig am Training teilnahm, hatte also keinen Gleichaltrigen, mit dem ich mich "reiben" konnte. Es klappte mit den Erwachsenen sehr gut.
Den ersten Marathonplan erhielt ich aus Manfred Steffny's Läuferbibel "Marathontraining". In Verbindung mit den hilfreichen Tipps "alter Hasen" aus dem Verein. Der erste Marathon dann in 3:18h. Morgens um 4 Uhr kochte mir meine Mutter einen großen Topf Nudeln, weil sie in meinen Laufbüchern der 80er Jahre gelesen hatte, dass Kohlenhydrate gut sein sollen und sie sich um mich sorgte. Der zweite Marathon immer noch vor dem 16. Geburtstag in 3:05h. Ich kann nicht sagen, außergewöhnlich erschöpft oder altersbedingt überfordert gewesen zu sein. Und vor allem: Dieser Sport und diese Leistungsabforderung war genau das, was ich machen wollte und was mir niemand aufdrängte!
Ich kann nicht mehr sagen, ob es damals offiziell erlaubt war, in dem Alter Marathon zu laufen. Wir mussten ja geschützt werden und deshalb Mittelstrecken bis zur Kotzgrenze rennen. Und wenn Jugendliche nicht Mittelstrecken rennen wollen bis zur Kotzgrenze, dann müssen sie wohl einen anderen Sport ausüben. Oder aber selbständig über ihre sportliche Zukunft entscheiden!
Im Herbst 1985 erschien dann in einer damals noch erhältlichen Marathonlaufzeitung der legendäre Plan "Countdown zur Bestzeit" von einem gewissen Peter Greif. Mir schäumte es vor dem Mund und das was ich dort las, war etwas, was mich enorm herausforderte und ich machen wollte. Und mir war völlig klar, dass der Plan für mich als Schüler auch umsetzbar war.
Im Frühjahr 1986 gings dann nach diesem Plan im Training richtig rund. Mit 16 Jahren freiwillig und ohne Druck 8 Wochen lang ca. 140 Laufkilometer pro Woche in 8 Einheiten. Überforderung? Keine Spur! Die Maßstäbe der damaligen Zeit waren eben anders. Das ganze eigene Umfeld trainierte damals 100 Wochenkilometer und mehr und niemand sprach dann von "Profis" oder "Sch... Leistungssportlern". So wie heute.
Die logische Folge: Mit 16 im 3. Marathon erstmals unter 3 Stunden. 2:56h waren es. Damit übrigens in der Altersklasse völlig unter "ferner liefen". Wir haben einfach alle so trainiert und keineswegs war ich ein Überflieger. Die nur wenig älteren Jugendlichen der benachbarten LG Seesen rannten bereits um die 2:30h.
Die Freude am Sport und der Leistungsentfaltung ist bis heute ungebrochen. Verheizen? Solche Fälle gibt’s wohl und auch ich kannte damals Einzelfälle, bei denen man den Eindruck gewinnen konnte, die Jugendlichen trainieren nicht ganz freiwillig auf hohem Niveau.
Aber körperliche oder seelische Folgeschäden als Automatismus von anspruchsvollem Training im Kinder- und Jugendalter? Hier sollte doch differenziert und objektiv betrachtet werden.
Klar ist: Hätte ich damals das allgemeine Training mitmachen müssen, hätte ich noch als Jugendlicher aufgehört, weil das einfach nicht meinen Interessen entsprach.
Heute habe ich selbst 2 Töchter. 10 und 12 Jahre. Beide bekommen von uns keinen Druck zu laufen, nur weil es die Eltern machen. Sie ahmen es natürlich nach. Die älteste kam freiwillig mit 5 Lebensjahren zum Lauftreff und schaffte knappe 5 km fast im 6er Schnitt mit den Erwachsenen. Überforderung? Sie hatte Spaß. Ist nun mit 12 jedoch nicht mehr groß sportlich interessiert.
Die kleinere ist talentiert und griffig. Große Freude am Sport, aber keine Lust auf strukturiertes Training. Wir lassen sie. Und wenn sie Unterstützung will, weil sie sich orientiert hat, dann bekommt sie sie. So wie meine Eltern es damals mit mir auch machten.