Du erinnerst dich vielleicht, dass ich im letzten Jahr über geistiges Fehlverhalten im Leistungsstress mit dem Titel "Von Marathon-Doofheit und Trainingslager-Stress" geschrieben habe. In diesem Text wurde aufgezeigt, dass Läufer und Läuferinnen selbst im Tempotraining innerhalb einer großen Gruppe Fehlleistungen begehen, die höchst erstaunlich sind.
Auf Wendestrecken wurden Umkehrpunkte überlaufen, obwohl direkt vorne alle anderen umdrehten. Es ging so weit, dass jemand praktisch gegen einen 50 m weit hinter diesem Wendepunkt stehenden Bus knallte.
Schier unglaublich, aber nichts Neues und auf keinen Fall überraschend. Wir alle wissen seit Jahren, dass wir unter Stress zu unglaublichen Fehlleistungen fähig sind. Das Ganze ist auch schon vor mehreren Jahren wissenschaftlich untersucht worden und man sprach damals davon, dass Ausdauersportler dümmer sind als Sprinter.
Na ja, die Medien haben dann diese ganze Sache revidiert und ich habe über diesen Newsletter auch protestiert und textete dabei das Wort "Marathondoofheit". Dieses Wort hat sich in der Szene festgesetzt und wenn sich in unseren Trainingsurlauben jemand verläuft, dann kommt immer die leicht verhöhnende Aussage, der nur scheinbaren Mitleid habenden Sportkameraden: "Klarer Fall, marathondoof."
Wir müssen diese Sache nicht mehr weiter behandeln, denn wir alle wissen woran es liegt, dass wir unter Spitzenbelastungen temporär geistig leicht verwirrt sind. Nur wer in einem Rennen nicht kämpft, der leidet wohl auch nicht unter dieser Schwäche. Damit müssen wir leben und diese Erfahrung an Unerfahrene weitergeben. Sonst könnte die wirklich glauben, sie sind, wie es so schön heißt, ein bisschen bescheuert.
Dass das nichts Neues ist, haben jetzt einige Wissenschaftler der Universität Halle heraus gefunden. In einer IDW-Pressemitteilung vom 17.12.2012 titelten sie: "Gehirn vollbringt beim Sport Höchstleistungen"
"Ganz gleich ob Leistungs- oder Breitensport: Wer seine Leistung steigern will, muss möglichst abwechslungsreich trainieren. Das ist eines der Ergebnisse einer Studie, die Sportwissenschaftler der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) durchgeführt haben. Erstmals wurde dazu mit einer neuen Messmethode der Zusammenhang von zentraler Hirnaktivität und sportlicher Leistung untersucht. Dabei zeigte sich: Auch das Gehirn vollbringt beim Sport Höchstleistungen.
Weit gefehlt, wer denkt, dass das Gehirn beim Sport Pause machen kann. Zwar haben viele Menschen das subjektive Gefühl, beim Joggen oder Radeln den Kopf "abschalten" zu können. Doch auch das Gehirn vollbringt in dieser Zeit Höchstleistungen. "So schützt es uns vor körperlicher Überforderung", erklärt Dr. Thomas Gronwald, der die Untersuchung im Rahmen seiner Promotion durchgeführt hat. "Die Ergebnisse unserer Studie sind für Leistungs- und Breitensportler gleichermaßen interessant", so Gronwald. "Mit unseren Ergebnissen können sie ihr Training optimieren und ihr Leistungspotenzial besser ausschöpfen."
Neu sind nicht nur die Ergebnisse der Studie, neu ist auch die Vorgehensweise der Wissenschaftler: Mit einem innovativen Messsystem waren sie erstmals in der Lage, in einem sportwissenschaftlichen Speziallabor Hirnströme von Sportlern während der Belastungssituation zu messen. An der Studie unter Leitung von Prof. Dr. Kuno Hottenrott nahmen 16 Probanden teil, unter ihnen Radsportler, Mountainbiker oder Triathleten, allesamt auf vergleichbarem Leistungsniveau.
Nach einer sportmedizinischen Eingangsuntersuchung wurden sie einem Leistungstest auf dem Fahrradergometer unterzogen. Im Abstand von je einer Woche mussten sie dabei vier verschiedene Strecken zurücklegen. Untersucht wurden verschiedene Belastungskenngrößen wie etwa Dauer, Intensität und Bewegungsfrequenz sowie der Einfluss von Sauerstoffmangel während des Trainings.
Im Verlauf der Studie konnte gezeigt werden, dass die Hirnaktivität während einer Dauerbelastung zunächst ansteigt, unter Ermüdung des Probanden jedoch wieder abfällt. Thomas Gronwald:
"Daraus können wir schlussfolgern, dass für eine hohe sportliche Leistung auch eine hohe Hirnaktivität erforderlich ist. Sie ist notwendig, um den Organismus zu kontrollieren." Auch warum die Hirnaktivität mit Einsetzen von Ermüdungserscheinungen wieder absinkt, lässt sich so erklären: Der Organismus soll vor Überlastung geschützt werden. „Ein ausgeklügeltes System ist das“, sagt der Sportwissenschaftler.
Was bedeuten die neuen Forschungsergebnisse nun für Sportler und ihr Training? Sie sollten so variabel wie nur möglich trainieren. Das heißt: Jogger, die sich steigern möchten, sollten nicht nur regelmäßig 40 Minuten laufen. Wer besser werden möchte, der sollte seinem Organismus immer neue Reize setzen. Das reine Lauftraining kann durch Hügelläufe, kurze Sprints oder Treppensteigen erweitert werden.
Am Department für Sportwissenschaft wird für das Frühjahr 2013 bereits eine zweite Versuchsreihe geplant. Im Rahmen dieser Tests sollen die Erkenntnisse aus der ersten Untersuchung umgesetzt werden, das bedeutet: Die Sportler müssen ein sehr abwechslungsreiches Frequenz-Training absolvieren. Thomas Gronwald: "Nach vier Wochen werden wir sehen, ob sie tatsächlich eine Leistungssteigerung erzielen konnten und sich das auch in der Hirnaktivität zeigt."
Wenn man einmal diese ganze Studie praktisch hinterfragt, dann kann man ihr nur zustimmen. Das zeigt auch persönliche Erfahrung. Als ich früher noch wissenschaftlich arbeitete, konnte ich die größten Probleme immer während eines ruhigen Dauerlaufs lösen.
Diese verbesserte Denkarbeit bei entspannten Dauerläufen ist schon seit langem bekannt und es wurde schon vor Jahren erklärt - aber wohl nicht gemessen - dass es sich um eine verbesserte Durchblutung und damit einer größeren Sauerstoffzufuhr des Gehirns handeln solle.
In der Praxis war es so, dass während eines Tempolaufs, es im Gegensatz zum "Joggen", nicht möglich war klar zu denken. Denn die auf Höchstlast arbeitende Muskulatur beanspruchte alles zur Verfügung stehende Blut für sich. Innerhalb dieser Übungsform war es überhaupt nicht möglich einen anderen Gedanken zu fassen, als den an die Ausschöpfung aller persönlichen Ressourcen und die daraus resultierende Endzeit. Nur die geringsten Versuche aus dieser Gedankenwelt auszusteigen, führten zu einer sofortigen Tempominderung.
Dieser Satz macht es auch klar: "Im Verlauf der Studie konnte gezeigt werden, dass die Hirnaktivität während einer Dauerbelastung zunächst ansteigt, unter Ermüdung des Probanden jedoch wieder abfällt".
Es wäre schön, wenn man bei der noch anstehenden Studie im Frühjahr 2013 auch den Katecholamin-Gehalt (Stresshormone) im Organismus während der Belastung messen würde. Aus Erfahrung zeigt sich, wie schon mehrfach an dieser Stelle beschrieben, dass die Stressbelastung mit der Ermüdung steigt und damit auch die Denkfähigkeit.
Ist aber Denkfähigkeit und Hirnaktivität gleichzusetzen? Ich bin gespannt, was bei dieser Studie noch alles herauskommt. Vielleicht erfindet dann jemand eine Schutzimpfung gegen Marathon-Doofheit ;-), das würde uns allen sehr helfen.