Natürlich wurde ich mit Mails zum neuen Marathon-Weltrekord von Eliud Kipchoge beim Berlin-Marathon bombardiert. Ob ich es schon gehört hätte, was ich dazu sagen würde,... Ja was kann man dazu schon sagen? SENSATIONELL! Der alte Weltrekord wurde schlicht pulverisiert und um 1:18 min auf 2:01:39 h verbessert. Eine unglaubliche Zeit. Die größte einzelne Verbesserung seit über 50 Jahren.
Wenn es allerdings einem Läufer derzeit zuzutrauen war, dann Eliud Kipchoge. Er lief ja bereits im Mai 2017 beim Breaking2-Projekt seines Ausrüsters eine Zeit von 2:00:25 h. Dies war ein 6 monatiges wissenschaftlich begleitetes Projekt, an deren Abschluss ein privates Rennen mit 3 Top-Athleten unter klinischen Bedingungen mit Führungsfahrzeug und wechselnden Tempomachern bis zum Schluß auf der Rennstrecke von Monza stand.
Beim seinem Weltrekord in Berlin lief Kipchoge im Gegensatz dazu die letzten 17 km allein ohne Tempomacher. Er wurde dabei nicht etwa langsamer. Nachdem die HM-Marke nach 61:06 min passiert wurde, ließ er auf der zweiten Hälfte eine 60:33 min (!!) folgen. Zum Vergleich: der deutsche Halbmarathon-Rekord von Carsten Eich aus dem Jahr 1993 steht bei 60:34 min.
Damit bestätigt sich auch wieder einmal die erfolgreichste Marathon-Taktik der schnelleren 2. Hälfte. In der folgenden Tabelle habe ich einmal die berechneten Zeiten unseres Taktik-Rechners den Zwischenzeiten von Eliud Kipchoge gegenübergestellt. Die ersten 5 km waren etwas zügig, ansonsten aber perfekt eingehalten.
Rechner | Real Zeit | 5 km Zeit | min/km | |
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5 km | 14:39 | 14:24 | 14:24 | 2:53 |
10 km | 29:19 | 29:01 | 14:37 | 2:56 |
15 km | 43:59 | 43:38 | 14:37 | 2:56 |
20 km | 58:04 | 57:56 | 14:18 | 2:52 |
21,1 km | 1:01:10 | 1:01:06 | 3:10 | 2:53 |
25 km | 1:12:09 | 1:12:24 | 11:19 | 2:54 |
30 km | 1:26:34 | 1:26:45 | 14:21 | 2:53 |
35 km | 1:40:59 | 1:41:12 | 14:28 | 2:54 |
40 km | 1:55:24 | 1:55:32 | 14:21 | 2:53 |
42,2 km | 1:01:39 | 2:01:39 | 06:07 | 2:48 |
Was mich nervt sind sofort aufkommende Zweifel ob das auch alles mit rechten Dingen zugeht. Was ich sehe, ist in erster Linie ein perfekter Laufstil. Hast du das Rennen oder einen Zusammenschnitt davon gesehen? Im folgenden kurzen Video findest eine interessante Technikstudie von Eliud Kipchoge (der Herr im roten Shirt) aus dem Breaking2-Rennen (die ganze Doku von diesem Projekt findest du hier.
Es sieht auf dem Video gar nicht so schnell aus, oder? Dafür sorgt die perfekte und effektive Lauftechnik. Rumpf-Stabilität, kraftvoller, lockerer und langer Schritt, Mittelfußaufsatz, sehr guter Armeinsatz und keinerlei Verspannungen im Körper! Eigentlich ein einfaches Rezept. Mir ist zum Thema perfekter Laufstil ein tolles Video eingefallen. Wenn du es noch nicht kennst, dann nimm dir ein paar Minuten Zeit, hole dir einen Kaffee, lehne dich zurück und tauche ein in „Die Geheimnisse des perfekten Läufers“.
Ich glaube nicht an einen genetischen Vorteil der äthiopischen oder kenianischen Läufer. Ein Vorteil ist vielleicht das permanente Höhentraining und die soziale Motivation. Ansonsten sehe ich den Grund in der Erhaltung des von der Evolution vorgegebenen natürlichen Laufstils. Wußtest du, dass jede Art Lebewesen ihren perfekten Lauf- bzw. Fortbewegungsstil hat? Hat ihnen die Evolution mitgegeben. Schau dir eine Herde galoppierender Pferde an. Die laufen alle gleich. Schau nochmal ins Video. Auch die Äthiopier und Kenianer laufen alle fast gleich. Der Grund für diesen perfekten Laufstil ist z.B. das beschriebene Barfußlaufen seit der Kindheit. Das beschert diesen Läufern eine extrem kräftige Fußmuskulatur. Diese ist für den kraftvollen Fußabdruck beim Mittelfußlaufen unerläßlich.
Im Gegensatz dazu haben die europäischen Läufer (wir alle und auch die Spitzenläufer) eine schwache, verkümmerte Fußmuskulatur, da wir schon in Schuhen stecken noch bevor wir laufen können. Das ist meiner Meinung nach einer der Hauptgründe warum unter den 43 sub 2:08 h Läufern aus 2018 nur 1 Amerikaner und 2 Japaner sind. Uns Läufern verkauft die Schuhindustrie Stabilitäts-Schuhe, in denen unseren Füßen jegliche Arbeit abgenommen wird und sie ihrer Beweglichkeit beraubt werden. Es wird gestützt, verformt und gedämpft, als ob unsere Füße und unser Bewegungsapparat von der Evolution nicht auf das Laufen ausgelegt wären. Wir haben ein perfektes natürliches Dämpfungs- und Stabilisationssystem! Unsere Füße werden jedoch ab den ersten Schuhen zum Laufen lernen komplett deformiert und geschwächt. Das führt nicht nur zu schwachen und fehlgestellten Füßen sondern auch zu Verletzungen und Haltungsschwächen im Rumpfbereich. Das Ergebnis kannst du bei jedem beliebigen Volkslauf schon bei km 2 bewundern.
Die Afrikaner laufen laufen dagegen bis zur Aufnahme ins Laufteam barfuß oder in Sandalen (siehe Video). Später gleichen sie dies durch entsprechendes intensives Kraft-Training (Lauf-ABC, usw.) aus. Das extreme Gegenmodell dazu sind die Barfuß-Laufschuhe, die ich selbst jetzt seit über 2 Jahren bevorzuge. Die Wirkung ist grandios!
Mich persönlich motiviert so ein Weltrekord ungemein, da mir dann immer wieder vor Augen geführt wird, dass viel mehr in uns allen steckt als wir denken. Als ich 1987 mit dem Laufen begann, lief kurz darauf Belayneh Dinsamo (ÄTH) mit 2:06:50 in beim Rotterdam Marathon Weltrekord. Seitdem gab es eine Verbesserung des Weltrekords von über 5 min. Ich halte eine Zeit von unter 2 h für realistisch und gehe mal davon aus, dass ich dies noch erleben werde.
Fazit: Es geht immer noch etwas auch wenn wir es nicht für möglich halten sollten. Bei jedem Einzelnen von uns. Das ist die gute Nachricht! Schau nochmal ins das Video oben rein und denke über Lauf-ABC, Athletik-Training und deine Schuhwahl nach. Es müssen ja nicht sofort Barfuß-Laufschuhe sein, es gibt ja auch Leichtgewichtsschuhe oder leichte Neutralschuhe mit wenig Sprengung. Das Mittelfußlaufen ist definitiv der natürlichere, effektivere und weniger verletzungsanfällige Laufstil. Auch wenn es eine längere Zeit der Umstellung bedarf, es lohnt sich. Deine Füße werden es dir danken. Die schlechte Nachricht: du musst es selbst tun! Aber ich bin mir sicher, du wirst es schaffen.