Vor einigen Tagen rief mich ein Greif Clubmitglied an, welches ziemlich verzweifelt klang. War dieser Läufer doch von dem Resultat seines kürzlich gelaufenen Marathons zutiefst enttäuscht. Wie er berichtete, war die Vorbereitung ganz hervorragend gelaufen, aber schon nach 20 Kilometer wurden ihm die Beine immer schwerer.
Er ist dann aber dennoch durchgelaufen, war mit seiner Endzeit aber völlig unzufrieden. Wir beide haben dann am Telefon diskutiert, wie sein Training gelaufen ist. Was dieses Clubmitglied berichtete war eigentlich eine positive Rückschau auf das vergangene Vierteljahr.
Sein Training war ganz hervorragend gelaufen und ich konnte keinen Fehler finden. Und dann kam der eine Satz: "Die Endbeschleunigungen über 35 Kilometer konnte ich deutlich schneller laufen als im Plan stand und oft bin ich die lange Runde sogar unter drei Stunden gelaufen."
D.h. mit anderen Worten, dass dieser Mann schon von Anfang an versucht hatte das Tempo über die lange Strecke hochzuhalten. Und das genau ist der 1. Knackpunkt. Wenn jemand versucht über die Dauer von acht bis zwölf Wochen seine 35 Kilometer im intensiv höchstmöglichen Tempo zu laufen, dann wird er in der Regel scheitern.
Nun sind diese Leute, die so etwas machen nicht auf den Kopf gefallen, sondern sie haben das gleiche schon einmal vorher absolviert und da lief es hervorragend. Also muss es beim nächsten Mal auch wieder so gehen. Das ist der 2. Knackpunkt.
Ein Organismus macht solch eine Überbelastung manchmal mit und das Resultat ist dann gut bis sehr gut. Leider hat dieser Organismus auch ein Gedächtnis. Ein Vierteljahr Überforderung mit anschließender maximaler Belastung durch den Marathon vergisst er nicht.
Sinnbildlich dreht er dann den Leistungshahn zu. Er meldet dir damit, dass du für die Marathonvorbereitung schon zu viel Energie verschwendet hast und er sich nicht zerstören lassen will. Er möchte somit etwas langsamer laufen.
Er zeigt dir zum Beispiel durch schwere Beinen an, dass du ruhiger laufen solltest. Dein Gehirn errechnet daraus deine mögliche Leistungsfähigkeit. In diesem Moment bricht dein so mühsam aufgebautes Motivationshaus zusammen.
Du siehst deine Zeit und Platzierung davon schwimmen. Deine Enttäuschung ist groß und du leidest, was zur Folge hat, dass die Produktion deiner Leistungshormone heruntergefahren wird. Damit fühlst du dich noch schlechter, suchst nach hilfreichen Ausreden und wirst immer langsamer.
Wie aber gehst du mit dem Tempo auf der langen Strecke um und wie findest du den richtigen Rahmen für die Endbeschleunigung. Zu deiner Information machen wir es in den Greifclub-Plänen folgendermaßen:
1. Woche: 35 km, davon 32 Kilometer im extensiven Dauerlauf dann 3 km Endbeschleunigung
2. Woche: 35 km, davon 29 Kilometer im extensiven Dauerlauf dann 6 km Endbeschleunigung
3. Woche: 35 km, davon 26 Kilometer im extensiven Dauerlauf dann 9 km Endbeschleunigung
4. Woche: Schonwoche
5. Woche: 35 km, davon 23 Kilometer im extensiven Dauerlauf dann 12 km Endbeschleunigung
6. Woche: 35 km, davon 20 Kilometer im extensiven Dauerlauf dann 15 km Endbeschleunigung
7. und 8. Woche: Tapering
Die Frage, die sich stellt und die auch immer wieder zu Diskussionen Anlass gibt, ist das Tempo während dieser Endbeschleunigung. Meine Empfehlung ist seit Jahren: Laufe ruhig und entspannt im extensiven Dauerlauftempo an und erhöhe dann zum Zeitpunkt der Endbeschleunigung dein Tempo auf die höchstmögliche Geschwindigkeit, die du ohne Tempoabfall bis zum Ende deines Trainings durchhalten kannst.
Versuche dabei in die Nähe deines Marathonrenntempos zu kommen. "In die Nähe" ist ein weiter Begriff. Ich schränke den Zeitrahmen ein und gebe in meinen Plänen eine individuelle Zeit vor, die als Mindestmaß erreicht werden soll. Diese liegt etwa 15 sec über dem angestrebten Marathontempo.
Und mit diesen 15 sec kann man spielen. An dem Tag, an dem du Kraft hast, kannst du vielleicht mit nur 5 sec Differenz zu deinem Wettkampftempo stabil bis zum Trainingsende durchlaufen. An anderen Tagen musst du dich schinden, um es überhaupt mit 15 sec Differenz zu schaffen.
Was aber kaum jemals gelingt, aber von so vielen Läufer und Läuferinnen versucht wird, ist das vollständige Erreichen des Marathontempos über die gesamte Länge der Endbeschleunigung. Und obwohl ich es niemals geschrieben habe, ärgern sich einige Leute die Mundwinkel bis zur Achselhöhle runter, weil sie es nicht schaffen.
Andere wiederum schreiben mir, dass sie es schaffen schneller als im Marathon geplant zu laufen. Diesen antworte ich dann: "Setze deine Marathon-Renntempo-Ziele nach oben, denn wenn du es auf den letzten Kilometern der Langen Runde schon schaffst, dann kannst du es auch im Marathon durchlaufen."
Und diese Aussage wollen eine ganz erhebliche Anzahl von Läufern mir nicht glauben, das sind besonders die unerfahrenen und ängstlichen. "Wie soll ich denn den Marathon durchlaufen, wo ich das Tempo über die ganze Strecke rennen muss, die zu dem auch noch 7 km länger ist als meine längste Trainingsstrecke?"
Diese unsicheren Läufer(innen) kann ich trösten. Das klappt schon. Wer seine 35 km läuft, sauber die Endbeschleunigung absolviert, der schafft auch eine ganz saubere Marathonleistung. Warum ist das so? Am Wettkampftag geht man erholt und ausgeruht an den Start. Alle Speicher sind voll und der oder die Starterin sind ebenso voll von Motivation.
Und genau die ist es, die die Kraft schafft und das vorher so mühselig erkämpfte Marathonrenntempo schon vom Start weg sicher erreichen lässt. Und auch dafür sorgt, dass dieses auch sicher bis zum Ende gehalten werden kann. Die Motivation wird noch mehr angehoben von der meist hohen Anzahl von Gegnern(innen) und setzt damit den Organismus unter einen ganzen harten Hormoncocktail, der für ungeahnte Fähigkeiten sorgt.
Während Marathonvorbereitung mit Endbeschleunigungen kommt es nicht zu solchen hohen Hormonausschüttungen und das liegt auch daran, dass du nicht 50 Meter vor dir deinen Holger siehst. Und weil du ihn nicht siehst oder spürst, kommt es manchmal zu ganz unangenehmen Begleiterscheinungen. Du läufst los und hast einfach Blei in den Beinen und an eine Endbeschleunigung, ist gar nicht zu denken. Aber was dann?
Einfach nur durchlaufen, so langsam du auch willst. Wenn es gar nicht geht, aufgeben und nach Hause laufen. Kämpfe nicht gegen diese Schwäche an, gib ihr nach, gönne deinem Körper Schonung. Er wird es dir in der nächsten Woche danken. Denn dann rollen deine Füße wieder als wäre nichts gewesen.
Erfahrungsgemäß kommen solche Zustände ein- bis zweimal in der Marathonvorbereitung vor. Wir versuchen in unseren Trainingsplänen durch die Erholungswoche in der Mitte der Vorbereitung so einen schwachen Tag gar nicht erst aufkommen zu lassen. Aber insgesamt ist diese Sache ganz individuell.
Wenn du vielleicht in den Tagen vor der großen Runde nicht auf deine Regeneration geachtet hast, unregelmäßig oder schlecht gegessen und vielleicht schlecht geschlafen hast, dann kann es sogar öfter zu einem Leistungseinbruch auf den 35 Kilometern kommen.
Und diesen Rat möchte ich dir noch geben: Zwar wird auf den 35 km durch die Endbeschleunigung die Gesamtzeit im Verlaufe der Vorbereitung immer schneller, aber dies sollte mit dem Krafteinsatz auf den letzten Kilometern erkauft werden und nicht mit denen davor.
Mehr zu diesem Thema kannst du lesen in dem Buch "Greif for running life".