Nach Ende der Marathonsaison freuen sich eine Menge Läufer und Läuferinnen auf kürzere und intensivere Einheiten. Endlich muss man nicht so viele Tempodauerläufe hinter sich bringen und auch die 35-Kilometer-Runde wird vorerst ad acta gelegt.
Und in jedem Jahr passiert das Gegenteilige, indem eine große Anzahl von Trainierenden mit schnellen Intervalleinheiten “gequält“ werden. Gerade am heutigen Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe, kam eine Mail rein mit kurzen Worten: „Die Trainingssteigerung für die kommenden Wochen ist extrem. Ist das so gewollt oder ein technisches Problem?“
An dieses Mitglied ging folgende Antwort: „Das ist keine Trainingssteigerung, sondern eine Änderung, die in dieser Jahreszeit normal ist. Es kommt nur auf die Sichtweise an. Für grundschnelle Leute ist das gar kein Problem. Wer aber in diesem Bereich seine Probleme hat, empfindet das Ganze als extrem.
Du solltest auf keinen Fall diese Einheiten streichen, sondern nach Möglichkeit versuchen, sie zu erfüllen, auch wenn du die Vorgaben nicht schaffst.
Die meisten Greifclub-Mitglieder werden aber wohl einige Probleme gehabt haben, die Vorgaben zu erreichen. Woher kommt das, dass oftmals die Tempi bei schnellen Wiederholungen nicht erreicht werden, aber die adäquate Tempi bei Ausdauerläufen ohne Probleme erfüllt werden?
Dazu habe ich in den Vorjahren schon mehrfach geschrieben, muss aber dennoch immer wieder hier auf dieses Thema zurückkommen. Das 51-jährige Club-Mitglied sollte nachfolgende Einheit am 4. Mai laufen. Sein individuelles Tempo wurde aus seiner zur Zeit möglichen 10.000 Meter Zeit von 47 Minuten errechnet:
Der Text dazu: „Je 2 x 200 - 400 - 600 - 800 m in 0:45 - 1:36 - 2:35 - 3:35 sec bzw. min. Gleiche Länge Trabpause, auf keinen Fall abkürzen. Laufe jede Serie im beschriebenen Rhythmus durch, erst alle 400-er, dann alle 600-er usw. Pulsbereich alles über 168. Besonders die 200 m werden dir Schwierigkeiten bereiten! Lasse sie aber nicht weg.“
Wenn du diese zwei Serien betrachtest, wirst du nach deinen eigenen Fähigkeiten dein Urteil abgeben. Du wirst empört sein, wenn du eine geringe Grundschnelligkeit hast oder bei gegenteiligen Anlagen denken, ist doch ok so.
Warum aber kommt es zu diesen Diskrepanzen? Besonders bei den nicht Grundschnellen sollten wir einmal genau hinschauen.
Als erstes wird die Koordination nicht gestimmt haben. Wer es nicht gewohnt ist, so schnell zu laufen, wird schon schnell nach dem Start spüren, dass der Laufstil bei diesem hohen Tempo etwas zappelig wird und irgendwie unrund ist. Wer die Zeit geschafft hat, aber unrund lief, den taufe ich hier einmal als den Typ "Zappelphilipp".
Ein anderer Typ Läufer hat es hingegen ungleich schwerer, die Vorgaben auch nur annähernd zu erfüllen. Er spürt schon nach 50 m, dass er dieses Tempo gar nicht erreichen kann. Zu schwer der Schritt und zu kurz der Sprung, zu schwerfällig die Bewegung, aber im Ziel die Aussage: "Ich bin viel zu langsam, aber ich konnte nicht schneller." Diesen Typus nennen wir einmal "Traktor".
Dann gibt es noch einen dritten Typ, der Probleme damit hat, das schnelle 400-m-Tempo zu erreichen. Das ist der Typ "Straßenfeile". Hebt kaum das Knie, die Beine werden am liebsten nur gespreizt. Kraftsparen ist angesagt. Viele unterklassige "Ultras" wenden diesen Schritt an. Kommen damit zwar ins Ziel, stagnieren aber in ihrer Entwicklung.
Ich hatte einmal Gelegenheit, in aller Ruhe eine Menge von Ultraläufern zu betrachten, die hier in Seesen durchkommend eine Etappe des Transeuropalaufs von Bari zum Nordkap bestritten. Es war deutlich zu sehen: Die führenden Läufer(innen) liefen mit einem deutlichen Kniehub, während die zweite Hälfte der Teilnehmer buchstäblich über liegende Strohhalme stolperte.
Solch eine Läufergruppe würde sich wohl beleidigt wegdrehen, wenn man von ihnen schnelle 400-m-Läufe fordern würde. Aus eigener, schlimmer Erfahrung weiß ich, dass die Straßenfeilen lieber Stürze über liegende Stromkabel oder Asphaltunebenheiten in Kauf nehmen, als sich in kurze schnelle Läufe zu begeben. Man hat dann einfach ein schlechtes Gefühl und so meidet man diese Trainingsform, obwohl man sie so dringend nötig hätte.
Außergewöhnlich als Ultraläuferin ist unsere Physiotherapeutin Kristina Tille, die im April 2015 den Jurasteig-Lauf über ca. 240 km überlegen gewann. Ihr kann man nicht ansehen, dass sie eine Ultraläuferin ist.
Halten wir einmal fest: Auch Ultraläufer und -läuferinnen müssen technisch sauber laufen können - wenn sie denn siegen wollen!
Ein ganz anderer Typ ist der "Zappelphilipp", der meist Anfänger ist. Seine motorischen Schwächen lassen sich schnell beseitigen. Er kann durch Laufschule, Seilspringen, Steigerungen, Sprint und Bergabläufe schnell zu einem sicheren Stil kommen. Je nach Alter muss dieser Läufer nur ein paar Monate lang diese ganzen Übungen wiederholen, dann hat er sich schon deutlich verbessert.
Ein schwerer Fall ist aber der "Traktor". Diese Typen sind in der Regel sehr ausdauernd, aber so sprintfähig wie eine rote Wegschnecke. In früheren Jahren hatten wir bei uns in Seesen den Läufer Oliver. Er war von den "Traktoren" noch ein Spezialfall, so etwas wie eine "Pistenraupe".
Wir haben ihn natürlich auch etwas auf den Arm genommen und rieten ihm, ganz langsam zu laufen, damit er ja nicht umfällt. Er war sehr intellektuell, Franzose und auf einem Eliteinternat ausgebildet. Selbstvertrauen hatte man ihm dort leider nicht beigebracht.
Oliver lief schon zwei Jahre mit uns und versuchte sich auch immer wieder an den 400 m. Trotz vollem Einsatz gab es nur Krampf, Gehoppele, Keuchen und Schweiß. Mehr kam nicht. "Ich werde es niemals im Leben schaffen die Runde unter 96 sec zu laufen" (4 min-Tempo), so seine Aussage nach den jahrelangen wiederholten Versuchen, schnell zu laufen.
Nur der Trainer gab ihm immer wieder Hoffnung: "Mache weiter, du wirst schneller werden! Es ist zu schaffen" Ich glaube, er glaubte mir nichts, aber versuchte es dennoch immer wieder.
Oliver gab nicht wie andere auf. Immer und immer wieder versuchte er sich an den langen und kurzen Sprints. Sekunde um Sekunde fielen seinem Fleiß zum Opfer. Und im dritten Jahr knackte er die 72 sec über 400 m und im vierten Jahr die 3 h im Marathon. Nur mit Fleiß und Beharrlichkeit hat er es von der Pistenraupe zum richtigen Läufer geschafft.
Wenn du dich in diesen Zeilen wiederfindest, dann setze auf den Fleiß. Auch wenn du meinst, niemals richtig schnell laufen zu können und dich die anderen immer höhnend abziehen, bleibe am Ball. Laufe 200- und 400-er und absolviere die oben beschriebenen Übungen.
Du wirst sehen: Jede Wiederholung macht dich schneller. Du kannst deine Muskeln umstellen. Dies geht nicht von heute auf morgen, dazu brauchst du Jahre. Bleib dran, glaube an dich, was andere geschafft haben, schaffst du auch.
Hierzu nur ein Ausschnitt aus einem Text von Lothar Pöhlitz, einem der erfolgreichsten deutschen Trainer und ehemaligen DLV-Bundestrainer:
„Alle Laufexperten sind sich sicher einig, dass die ererbte Muskelstruktur, der Anteil der schnell oder langsam zuckenden FT- bzw. ST-Fasern für eine mögliche sportlich Perspektive auf den Mittel- oder Langstrecken bedeutend ist. Welchen Einfluss aber das genetische Schicksal des Einzelnen für einen Weg in die Weltspitze hat und welchen Anteil das sportliche Training und die ererbten mentalen Fähigkeiten haben, wird in der Sportwissenschaft immer wieder kontrovers diskutiert.
Eins der großen Probleme in der Chance des einzelnen Talents ist auf der Grundlage seines genetischen Schicksals die richtige Ausbildung zu erhalten. Wer will schon wissen wie viel Prozent Fasern des Typs I (slow-twitch) oder Typs IIa (fast-twitch) der Einzelne hat, wenn er nur schnell laufen kann.
Dabei sind die schnellen Fasern zu mehr Leistung und Geschwindigkeit fähig und für langandauernde Arbeit ziemlich uneffizient. Und „die super-fast-twitch-Fasern nutzen ausschließlich die anaerobe Energiebereitstellung“ sagt Jorge Zuniga (USA). Man stelle sich vor, solch ein Talent landet bei einem Langstrecken- oder noch schlimmer beim Marathon-Coach.“
Quelle: Pöhlitz. Coaching Academy, 12.7.14
Dem guten Lothar nehme ich natürlich den letzten Satz übel ;-), denn meist werde ich von außen als Marathon-Trainer betrachtet. Es stimmt schon, aber ich habe wirklich sinngemäß auch den letzten Jogger von der Straße aufgesammelt und eine erhebliche Anzahl davon zu passablen Läufern gemacht.
Vielleicht liegt das auch daran, dass es deutlich mehr Menschen gibt, die Marathon oder Halbmarathon laufen mögen, als sich auf der Mittelstrecke zu tummeln? Ich denke das Verhältnis ist höher als 1000:1.
Aber zurück zum Thema: Wenn du dich "unten rum" verbesserst, dann wirst du auch schneller auf den längeren Distanzen. Das ist eine Binsenweisheit, wird aber von vielen nicht geglaubt. Versuche es einfach, bringe Geduld mit und arbeite. Verliere niemals den Mut und setze dir klare Ziele.
Als erstes versuchst du es mit den 400 m-Läufen im Tempo II. Dazu nutzt du wieder diesen Rechner! Du schlägst aber dem Resultat 3 sec zu. Diese Zeit versuchst du jetzt über 10 x 400 m mit 600 m Trabpause zu erreichen. Schaffst du das nicht, teilst du diese Zeit durch 4 und nimmst das Resultat mal drei.
An einem weiteren Trainingstag läufst du dann 10 x 300 m mit 500 m Trabpause in dem errechneten Tempo. Gelingt es dir immer noch nicht, das geforderte Tempo zu erreichen, dann gehst du noch einen Schritt zurück und läufst 10 x 200 m mit 400 m Trabpause. Dazu teilst du das errechnete 400 m-Tempo durch zwei. Und ich bin davon überzeugt, dass du zumindest an dieser Stelle die geforderte Geschwindigkeit erreichst.
So wie du die 200 m schneller laufen kannst als errechnet, gehst du über zu den 10 x 300 m, und wenn du diese auch geknackt hast, machst du dich an die 10 x 400 m. Hast du auch diese Hürde genommen, nimmst du die aufgeschlagenen 3 sec weg und rennst dann triumphierend Haile gleich um die Bahn. Dann hast du es geschafft und niemand wird jemals wieder zu dir "Traktor" und schon gar nicht „Pistenraupe“ sagen.
Diese Einheiten machst du in jeder Woche im Sommer einmal. Vorher und nachher 1 - 2 km ein- bzw. auslaufen. Es gibt dabei keine Ausreden. Weder Hitze, Regen, noch anstehende Arbeit, zu viel Alkohol oder sonst was. Es gilt als Ausrede auch nicht Omas Geburtstag und Mamas drohender Liebesentzug. Selbstverständlich lässt du auch im Urlaub nichts schleifen. So wirst du ein richtig guter Läufer oder eine Läuferin.