Am 28.04.2015 konntest du an dieser Stelle den Text mit dem Titel „Der Tag vor dem Rennen“ lesen. In diesem ging es darum, sich möglichst optimal körperlich auf einem Marathon vorzubereiten. Es gibt aber noch eine andere, vielleicht wichtigere Komponente. Das ist die mentale Vorbereitung auf solch ein Rennen.
In der Zeit als ich noch aktiver Trainer war und wir in großen Gruppen bei den Marathons auftauchten, hat mich eines besonders geärgert, das waren die so genannten Ausflügler.
Diese Marathon-Kandidaten schleppten fast die ganze Familie mit und da wir am Vortag anreisten, hatten sie natürlich am Tag vor dem Rennen noch genügend Zeit zu verbummeln.
Erst ging es zwei Stunden lang auf die Marathonmesse, dann in ein Musical und anschließend gabs noch ein gemeinsames Abendessen. Den Trainer sah man vor dem Rennen überhaupt nicht. So kam es natürlich auch nicht zu einer Taktikbesprechung. Die Folge war bei diesen Läufern und Läuferinnen meist ein Desaster.
Große, körperliche Belastungen, vielleicht außer dem Besuch auf der Marathonmesse, ging diese Personengruppe nicht ein. Es musste also auch eine mentale Erschöpfung geben, die uns am Erfolg hindert. Theoretische Hintergründe gab es damals noch nicht.
Es reichte aber die praktische Erfahrung, die mich ständig dazu motivierte, meine sportliche Umgebung vor starker mentaler Belastung zu warnen.
Besonders junge Leute guckten mich dann schräg an und deren Blick hieß: “Mentaler Stress kann uns nicht umhauen.“ Dennoch predigte ich weiter und warnte. Beweise gab es oder kannte ich nicht.
Aber dennoch musste etwas dahinter stecken. Denn auch in der jetzigen Marathon-Hochsaison bekomme ich immer wieder Mails von enttäuschten Club-Mitgliedern. Diese beklagen oft, dass ihr Training hervorragend gelaufen und die Hoffnung groß gewesen sei.
Wenn die Betroffenen dann berichten, ist meist kein Fehler zu finden. Mein Verdacht fällt dann in der Regel auf negatives mentales Verhalten. Diesen Verdacht kann man aber nicht abfragen, weil dieser zum privaten Raum gehört.
Manchmal dachte ich schon, ich bin der einzige, der glaubt, dass mentaler Stress die Laufleistung mindern kann. Doch nun gibt es Untersuchungen, die nachweisen, dass das Gehirn geistig überlastet werden kann.
Der Wissenschaftler Dr. Samuele Marcora von der Universität von Kent hat ein System erarbeitet, welches durch eine Anzahl von kognitiven Aufgaben einen Erschöpfungszustand hervorrufen kann. (Runners World: “Mentale Erschöpfung mindert Leistungsfähigkeit, Hutchinson“)
Die Grundidee besteht darin, dass man eine Reihe kognitiv schwieriger Aufgaben mit einer Art Videospiel absolviert, um einen mentalen Erschöpfungszustand hervorzurufen. Mit der Zeit wird so das Gehirn „trainiert", widerstandsfähiger gegen geistige Ermüdung zu werden. Das hat dann auch eine bessere physische Leistung zur Folge, da geistige Erschöpfung in der Regel verlangsamt.
Die Frage war aber, dass „mentale Erschöpfung" ein ziemlich weit gefasster Begriff ist. Welche Arten von kognitiven (intellektuellen) Aufgaben haben den größten Einfluss auf unsere physische Leistungsfähigkeit.
„In der veröffentlichten Studie von Marcora und seinen Kollegen im "European Journal of Applied Physiology" haben sie die verschiedenen Arten der mentalen Ermüdung untersucht. Das grundlegende Design der Studie war ziemlich einfach:
Die Probanden erledigten 30 Minuten lang eine geistig ermüdende Aufgabe und absolvierten dann einen 5-km-Lauf im eigenen Tempo auf dem Laufband. Sie machten dies zweimal mit jeweils leicht veränderten kognitiven Aufgaben.
Grafik: runnersworld.com
Nachdem die Probanden (gestrichelte Linie) ermüdet waren, schätzten sie ihre Anstrengung (RPE) im anschließenden Lauf als schwerer ein (B) und drosselten von Anfang an ihr Lauftempo, bis sie schließlich um 6 % langsamer liefen (A) als die Kontrollpersonen (durchgezogene Linie).
Das Fazit ist ziemlich eindeutig. Nachdem die Probanden durch ihre Reaktionsunterdrückungen mental ermüdet waren, schätzten sie ihre wahrgenommene Anstrengung (RPE) im anschließenden Lauf als schwerer ein (B) und drosselten von Anfang an ihr Lauftempo, bis sie schließlich um 6 % langsamer liefen (A).
Interessanterweise offenbarten die psychologischen Fragebögen keine Unterschiede der wahrgenommenen mentalen Erschöpfung vor dem Zeitrennen. Mit anderen Worten war den Probanden gar nicht bewusst, dass sie nach der Reaktionsunterdrückungsaufgabe „müde" waren.
Na klar spielt die Reaktionsunterdrückung auch eine Schlüsselrolle im Ausdauersport – schließlich muss man ständig den steigenden Wunsch hemmen, sich zu verlangsamen oder gar anzuhalten!
Infolgedessen bemerkten die Autoren in ihren Schlussfolgerungen auch, dass „Athleten und Trainer möglichst alle kognitiven Aufgaben, die eine Reaktionsunterdrückung erfordern, im Vorfeld des Wettkampfes, wie z.B. seine Wut zu kontrollieren während eines Interviews mit allzu neugierigen Journalisten, möglichst vermeiden sollten“.
Nach diesen Resultaten kannst du ganz sicher sein, dass du nach zwei Stunden Videospielen oder dem gleichen Zeitraum im Schach, einige Minuten Aufschlag im Marathon bekommst. Ärger mit deiner Frau (Mann) solltest du auch tunlichst vermeiden.