Du weißt vielleicht, dass wir bei unseren individuellen Trainingsplänen das Trainingstempo nach der aktuellen 10 km-Zeit steuern. Dabei weisen wir jedem Mitglied eine Ziel- und Temposteuerzeit zu. Zielzeit bedeutet in diesem Fall die Zeit, auf die der Trainierende hinarbeitet. Wenn jemand eine aktuelle 10 km-Zeit von 44:30 min hat, dann stellen wir ihn auf eine Zielzeit von 44:00 oder 43:30 ein.
Schon das sorgt manchmal für Verwirrung. "Aber 43:30 min kann ich doch gar nicht laufen, ich muss doch erst einmal nach den 44:30 laufen, die ich in diesem Jahr erzielt habe!" Meine Antwort darauf ist: "Dann benötigst du doch keinen Plan, denn 44:30 kannst du doch schon. Dein Ziel ist es doch schneller zu werden und auf diese Zeit müssen wir hin trainieren."
Auf der anderen Seite kommt es auch zu ganz anderen Ideen. "In diesem Jahr bin ich eine 45:20 min/10 km gelaufen. Im kommenden Jahr will ich unter die 40 min kommen." Na ja, das ist zwar ein sehr hochgestecktes Ziel, aber immerhin bei Hochtalentierten möglich.
Aber wenn ich diesen Menschen dann den ersten Plan schreibe und ihn mit einer Temposteuer- und Zielzeit von 44:30 versehe, dann kommt es zu überraschenden Reaktionen. "Danke, ich kündige wieder" oder "Der Plan nimmt keine Rücksicht auf meine Bedürfnisse, wie soll ich mit einem Plan für 44:30/10 km auf meine Wunschzeit von 39:30 kommen? Die muss doch jetzt schon als meine Temposteuerzeit dienen. Sonst schaffe ich das nie. So was idiotisches habe ich noch nie gehört. Ich kündige!"
Natürlich habe ich die Umstände dem Planbesteller mitgeteilt, aber solche "Gebrauchsanweisungen" sind langweilig und so werden ganz wichtige Informationen nicht oder überlesen. Und so klagt dann der Läufer den Trainer als einen Idioten an.
Das mag in einigen Fällen auch zutreffen, aber im Bereich der Temposteuerung wehre ich mich mannhaft gegen diese Formulierung. Natürlich gehen mir im Angesicht einer solchen Formulierung die Agressionshormone durch. Und ich denke dann; "Du Arsch (Entschuldigung), wenn du wüsstest, wer von uns beiden der Idiot ist."
Natürlich komme ich dann auch bald wieder runter vom Baum und mein Denken und Fühlen wird wieder sachlich. Und ich überlege, wie ich das alles besser darstellen kann, so dass niemand so verärgert reagiert. Dieser Läufer weiß nämlich nicht, dass er einen Trainingsplan mit der von ihm gewünschten Zielzeit niemals erfüllen kann.
Würde ich ihm seine so heiß begehrte 39:30 als Temposteuerzeit eintragen, dann müsste er demnach in den Zeiten des intensivsten Trainings in einem 10 km-Trainingslauf etwa 41:30 min laufen, wo er doch nur 44:30 im Wettkampf kann. Und ich bin mir ganz sicher, wenn er dann die 41:30 aus seinem Plan liest, dann hält er mich für einen noch größeren Idioten.
Wie kann er denn aber dennoch auf seine Erträumten 39:30 kommen? Ganz einfach: 44:30 min ist seine aktuelle Leistungsmöglichkeit im Wettkampf. Dann ordnen wir ihm eine 43:30 als Temposteuerzeit so. Danach trainiert er und geht in die ersten Wettkämpfe. Ist er dort schneller als 43:30 min/10 km, bekommt er eine neue schnellere Zielzeit. Und so kommt er dann seinem großen Ziel stufenweise näher, ohne sich zu überlasten.
Wohl gemerkt, solche Ungereimtheiten zwischen Trainer und Athleten kommen jetzt nur noch ganz selten vor. Weil schon so viele Läufer(innen) nach unseren Plänen mit Erfolg trainiert haben, hat sich ein Gemeinschaftswissen herausgeschält hat, welches die Neulinge informiert.
Aber immer wieder, so wie heute kommt es vor, dass jemand einen "Joker" (Joker = Sonderplan, für eine Vorbereitung ganz speziell auf einen Wettkampf) auf einen Marathon setzt und schreibt, bitte auf 2:59 h einstellen. Auch hier wieder würde es zu einer Überforderung kommen, wenn ich diesem Wunsch nachkomme. Denn der Betroffene hat eine aktuelle Zielzeit von 40:00 min/10 km. Für eine Zeit von 2:57 h braucht er aber mindestens eine 38:00/10 km. Nehme ich die als Temposteuerzeit an, geht die Sache mit großer Sicherheit in die Hose. Weil sein Training viel zu intensiv wäre.
Dass viele Läufer von mir möchten, dass ich ihre Marathonwunschzeit als Temposteuerzeit nutze, daran bin ich selber schuld. Im Jahr 1986 schrieb ich den Marathon-Trainingsplan "Count-Down zur Bestzeit". Bei ihm wählte man sein Trainingstempo nach der geplanten Zeit über die 42,2 km aus. Das klappte und klappt auch heute noch gut, aber es gibt wie immer im Leben auch unrealistische Menschen.
Deren Ideen sind oft zu hochtrabend und so drehen sie sich im Training bei den selbst gewählten zu hohen Intensitäten "den Hals ab". Der Rahmen dieses Artikels reicht nicht aus zu erklären, warum es mit der Intensitätssteuerung mit Hilfe der aktuellen 10 km-Zeit deutlich besser geht. Erkläre ich später einmal.
Was ich aber im nächsten Newsletter schreiben werde ist, wie die Errechnung der möglichen Marathonzeiten aus anderen Wettkampfzeiten möglich ist. Das ist dann eine Hilfe für dich, mit der du erst einmal anfangen kannst planmäßig zu trainieren. Diese aus anderen Wettkampfzeiten ermittelte und vorerst mögliche Marathonzeit ist aber nicht festgeschrieben!!
Denn du wirst dich im Laufe der unmittelbaren Vorbereitung auf den Hauptwettkampf noch deutlich verbessern und deshalb rate ich in der Mitte der 8-wöchigen Marathonvorbereitung zu einem Halbmarathon-Wettkampf. Daraus kannst du dann ziemlich genau deine mögliche Zeit über die 42,2 km errechnen.
Die zu frühe Festlegung auf eine angestrebte Marathonzeit ist ein schlimmer taktischer Fehler, weil sich deine Psyche auf diese Zeit einstellt. Richtig ist, wenn du dir im Winter für einen Frühjahrsmarathon erst einmal einen breiten Zielrahmen erststellst.
Wie zum Beispiel: "Ich laufe am 3.6.2011 in Hannover eine Marathonzeit zwischen 3:20 und 3:35 h." Im Verlauf der Vorbereitungszeit engst du nach Trainings- und Wettkampfergebnissen diese Rahmen immer weiter ein. Und wenn du dann den letzten HM vier Wochen vor dem Marathon gelaufen bist, triffst du den endgültigen Entschluss wie zum Beispiel: "Ich laufe am 3.6.2011 in Hannover eine Marathonzeit zwischen 3:15 und 3:20 h."
In der nächsten Woche geht es weiter mit Temposteuerung und Laufzeitenvergleich II. Da beschäftigen wir uns mit den Faktoren, wie du deine Wettkampfergebnisse untereinander vergleichen kannst und so für mehr Sicherheit in deiner Wettkampfzeiten-Planung sorgen kannst.