Viele der Texte, die an dieser Stelle geschrieben werden, sind initiiert von Läufern oder Läuferinnen, die mich fragen wegen eines Problems oder auch eines Hinweises. Das freut mich, ist aber manchmal lästig, weil oft ganz banale Fragen kommen, die auch auf unserer Facebook Seite von anderen beantwortet werden können.
Ich möchte nicht, dass du denkst, ich bin hochnäsig. Aber es ist einfach nicht möglich, in der mir zur Verfügung stehenden Zeit solche Fragen zu beantworten. Allein mit den Greif Club Mitgliedern habe ich wirklich genug zu tun in dieser Hinsicht. Auch mein Tag hat nur 24 Stunden.
Es gibt aber dennoch Schreiben, die mich erfreuen, weil sie zum Nachdenken anregen. So schrieb mir vor einigen Tagen Andy Brey aus Regensburg folgende Mail:
"Hallo Peter, mit der US-Marathon-Szene hast du diesmal ein sehr spannendes Top-Thema für deinen Newsletter gewählt.
Hängengeblieben bin ich aber ganz am Ende, wo du über die 2:10-er-Marathon-Zeiten und die nicht vorhandenen deutschen Läufer schreibst, die in diese Bereiche reinlaufen können.
Da ich erst 35 bin, habe ich die aus deutscher Sicht goldenen Marathonzeiten (Cierpinski, Peter, Steffny, Salzmann, Freigang) nicht live erleben dürfen. Meine Informationen speisen sich also nur aus 2. Hand - unter anderem Erzählungen älterer Trainingspartner. Sie alle sprechen von deutlich härterem Training damals.
Ich verstehe einfach nicht, wieso es die heutige Generation (Cierpinski jun., Fitschen) nicht gebacken bekommt, in diesen Bereich vorzudringen, die früher reihenweise von deutschen Läufern erreicht wurden. Zumal sie ja deutlich bessere Trainingsbedingungen haben und ja auch erfahrene Trainer.
Mich würde deine Meinung zu diesem Thema wirklich sehr interessieren, da du ja unzählige Athleten zu persönlichen Bestleistungen geführt hast."
Auweiah, da hat der liebe Andy mir aber eine Aufgabe auf die Schulter gelegt, die schwer zu tragen und auch schwer zu ertragen ist. Wenn ich jetzt über die damaligen und jetzigen Marathonläufer schreibe, mache ich mir ganz sicher bei einigen keine Freunde.
Was auffällt ist, dass die früheren Läufer der achtziger und neunziger Jahre deutlich selbstbewusster waren als die aktuellen. Viele haben das Gefühl, niemals an die Klasse der Afrikaner und auch Asiaten heranzukommen.
Das liegt in der Regel daran, dass speziell die afrikanischen Marathonläufer Vollprofis bis zur letzten Konsequenz sind. Die kennen nur eines, trainieren und meistens legen sie sich zwischen den Einheiten auf das Bett.
Das sollten unsere Läufer hier erst einmal wagen. Ich glaube, es würde dauerhaft kein einziger machen, weil unsere Gesellschaft ein solches “Faulenzertum“ nicht akzeptieren würde. Das sitzt so drin bei uns. Besonders in Deutschland ist sprichwörtlich der Müßiggang der Anfang aller Laster.
Nur noch ganz wenige der aktuellen Langstreckenläufer und -läuferinnen sind in der Bundesrepublik als Profis zu bezeichnen. Natürlich haben auch wir Talente, aber diese werden ganz selten den Schritt zum professionellen Training wagen, weil sie mit ihren noch nicht entwickelten Fähigkeiten kaum eine Chance haben an die nötigen Preisgelder oder auch Werbungshonorare zu kommen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten.
Da bleiben sie lieber Amateure, studieren und trainieren, aber dies nicht auf dem nötigen internationalen Niveau. Ich tue mich schwer zu glauben, dass die heutigen Spitzenläufer weniger hart trainieren als die im letzten Jahrtausend. Sie können nur das nötige dreimalige Training pro Tag nicht leisten.
Den Anschein aber hat es schon, dass unsere Läufer nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen, die ihnen zur Verfügung stehen. Denn an dieser Stelle wurde schon einmal beschrieben, dass deutsche Nationalmannschaftsläufer während eines Trainingslagers in Kenia morgens den Einheimischen beim Start zum Frühtraining zuschauten.
Sie selbst gingen erst einmal gemütlich frühstücken, um sich dann um 10:00 Uhr in die erste Trainingseinheit zu begeben. Und das alles unter dem Bewusstsein, dass ein Nüchterntraining deutlich wirksamer ist als eines nach der Mahlzeit. Bekannt seit mehr als 30 Jahren. Und es wurde und wird in Greif-Trainingsurlauben auch schon seit drei Jahrzehnten angewandt.
Und du kannst es mir glauben: Zu fast 100 % verzichten diese ehrgeizigen Amateure auf das Frühstück vor den Trainingsstart. Und das sind nicht nur die Menschen, die auch manch mal einen Volkslauf gewinnen, sondern ebenso Läufer und Läuferinnen, die davon träumen einmal einen Marathon zu schaffen.
In meiner damaligen sehr großen Trainingsgruppe der LG Seesen, liefen eine erhebliche Anzahl von Läufer und Läuferinnen in der Marathonvorbereitung mehr als 200 km in der Woche.
Wenn ich das heute einigen deutschen Eliteläufern berichte, dann erklären sie diese für bekloppt. Das waren die ganz sicher nicht, denn wenn sie irgendwann einmal ein Rennen gewinnen wollten, dann mussten sie diese Umfänge in den entsprechenden Intensitäten laufen, um vorne mit dabei zu sein.
Und heute? Heute kannst du als Mann einen Marathon mit 2:50 Stunden gewinnen und oft geht schon ein 10 km Volkslauf mit 36 Minuten in der Hauptklasse weg. Warum soll denn dieser Sieger sich sein gespaltenes Ding aufreißen, um schneller in das Ziel zu kommen?
Er bleibt der Lokalhero und ist zufrieden. Damit macht er den Schnelleren aus seiner Region keine große Konkurrenz und diese wiederum lassen die nationalen Mitbewerber in Ruhe. Die hingegen brauchen auch nicht das letzte zu geben, weil die internationale Konkurrenz nur noch mit dem Fernglas zu sehen ist. Und so herrscht Friede im deutschen Lauflande.
Und dieser Art Friede herrschte nicht in den Siebziger-, Achtziger und Neunzigerjahren. Da gab es nämlich noch zwei deutsche Staaten und beiden war es besonders wichtig den anderen zu schlagen. Und dafür gaben sie Geld und übten politischen Druck aus.
Die hier angesprochenen Cierpinski, Peter, Freigang, sowie Herbert Steffny und Salzmann liefen teilweise damalige Weltklassezeiten und gewannen die Medaillen bei internationalen Spielen. Die erstgenannten drei sind in der ehemaligen DDR aufgewachsen und waren dort Vollprofis.
Dort wurde dreimal täglich trainiert und dieses Training auch entsprechend kontrolliert. Die nachfolgende Idee von Andy, welche auf die jetzigen deutschen Elitemarathoner zielt, ist sicher nicht richtig: "Zumal sie ja deutlich bessere Trainingsbedingungen haben und ja auch erfahrene Trainer."
Die Trainer aus Ostdeutschland waren in der Regel besser ausgebildet als wir Westdeutsche. Die waren ebenso Profis wie ihre Athleten und hatten den Trainerberuf studiert. Die bundesrepublikanischen Übungsleiter waren hingegen in der Regel Vollamateure. Wir bekamen für unsere Arbeit in der Regel auch kein Geld, nur die großen Vereine konnten ihre Trainer bezahlen.
Und hier sind wir beim nächsten Punkt, warum unsere Spitzenleute hinterherlaufen. Nur noch ganz wenige deutsche Firmen unterstützen noch Vereine, die sich eine Elite-Leichtathletikabteilung leisten können. Die Strahlkraft unserer jetzigen Langstreckenläufer ist gleich null.
Und wenn so eine Firma sich nicht im Lichte deren Erfolge sonnen kann, dann wird sie dafür auf die Dauer auch kein Geld ausgeben. Und schon stehen wieder ein paar Talentierte auf der Straße, möchten trainieren, aber können dies nicht professionell tun, weil das Geld fehlt.
Die Situation bei den von Andy angegebenen westdeutschen Läufern war etwas anders. Ralf Salzmann war Polizist und war, soweit ich weiß, in seinen Hochleistungsjahren vom Dienst freigestellt. Herbert Steffny war schon in seinen aktiven Jahren ein geschickter Kaufmann und verdiente sich mit seiner Firma das entsprechende Geld, um professionell trainieren zu können.
Man sollte aber bei aller Kritik an unseren heutigen Marathonläufern nicht vergessen, dass weder Herbert Steffny und auch Ralf Salzmann die 2:10 unterschreiten konnten. Bei Waldemar Cierpinski (2:09:55) und Stephan Freigang (2:09:45) waren auch nur knapp Zeiten unter 2:10 h. Dies sind leider heute nur noch Durchschnittszeiten in der internationalen Klasse.
Wenn man es so betrachtet, dann sind es eigentlich die Afrikaner, die unsere Leute mutlos gemacht haben. Für die deutschen Läufer gibt es nur bei den Europameisterschaften die Chance sich zu zeigen. Da aber frage ich mich, wo waren wir denn da in den letzten Jahren? Traurig!
Ein wichtiges Thema möchte ich hier heute nur anschneiden: Wir dürfen nicht vergessen, dass uns der Triathlon eine Menge Talente vor der Nase wegschnappt. Ich halte es für einen wichtigen Grund für unser Dilemma im Langausdauerbereich. Dieses Dilemma müssen wir noch einmal später diskutieren.
Dieser ganze Text hier kann nur eine Teilbeschreibung unserer Probleme sein. Eine genaue Analyse würde sicher einer Promotionsarbeit würdig sein. Und ob wir dann schließlich und endlich die jetzigen Marathonläufer und -läuferinnen zum zähnefletschenden Kampf gegen die internationale Konkurrenz motivieren können, ist sicher mehr als zweifelhaft.
Aber wir haben dennoch eine Chance, in dem wir Druck von unten machen: Wenn wir alle ein paar Kilometer mehr laufen und unsere Intensitäten erhöhen, damit wir unseren Vorderleuten kräftig auf die Hacken treten können, heben wir das ganze Niveau an. Es muss eine Welle durch´s Land gehen!
Wenn die führenden Läufer und Läuferinnen in unserem Land spüren, dass sie gejagt werden, die Konkurrenz größer wird, dann werden diese sich ebenso befleißigen und damit wieder näher an die Weltspitze heranrücken. Aber du selbst bist auch gemeint: Du sollst hier nicht nur lesen, sondern rausgehen und rennen. Kampf ist angesagt!