Vor einigen Tagen bekam ich eine Mail eines Läufers, in dem dieser bat, seine Zielzeit (Trainingssteuerzeit) anzuheben, weil er die Tempovorgaben im Plan locker erfüllen konnte.
Das habe ich erst einmal abgelehnt, weil ich die "Denke" speziell der unerfahrenen Läufer(innen) kenne. Diese geht ungefähr so: "Der Trainer gibt mir Zeiten bei den Tempoläufen vor, die ich gerade noch so schaffen kann. Bin ich aber in der Lage, die Tempovorgaben ganz leicht zu erfüllen, dann muss meine Temposteuerzeit nach oben gesetzt werden, damit ich auch bis an meine Grenzen belastet bin."
So falsch sind diese Gedanken gar nicht, wenn man sie in der Wettkampfsaison von Mitte März bis Mitte Juni fast. In dem Zeitraum von Dezember bis Mitte März aber müssen auch fast alle Tempoläufe im aeroben Bereich absolviert werden. Es werden nur einzelne Einheiten bis zum "Anschlag" gerannt, um Reize zur Leistungssteigerung zu setzen.
Da wirst du dich natürlich fragen: "Wenn ich von Dezember bis März besser (neuer, ungewohnter) trainiere, dann muss ich doch auch schon eine deutliche Leistungsverbesserung erworben haben?"
Dieser Gedanke ist völlig richtig, aber man kann ihn nicht an einer Trainingsleistung festmachen und dies schon gar nicht in schneearmen Wintern wie diesen. Denn wenn alle Wege und auch die Waldwege frei sind, dann flutscht es nur so im Training.
Da hilft nur ein Wettkampf, der den wahren Leistungsstand anzeigt. Aufgrund des erzielten Resultats ist es dann möglich die Temposteuerzeit anzupassen. Siehe auch Greif Newsletterarchiv vom 06.12.2011: "Winterserie, Cross oder nichts?"
Leider, leider steht diesem Wettkampfbedarf der Drang zur Langen Runde im Wege. Es gibt wahrhaftig Langstreckensüchtlinge bei denen der Entzug der großen Runde zu abgrundtiefen negativen seelischen und körperlichen Symptomen führt, gegen die eine dreiwöchige Weizenbierabstinenz ein Nichts ist.
Ich kann schwören bitten und betteln, dass der mehrmalige Ausfall der längsten Trainingsstrecke keine negativen Auswirkungen auf kommende Leistungen hat. Gut ein Drittel davon kann und sollte durch Wettkämpfe ersetzt werden. Sie sind das Salz in der Suppe des Wintertrainings und der weiter oben schon angesprochene Leistungsreiz im Training kann entfallen.
Natürlich gibt es auch das Gegenteil mit den paar faulen Säcken, Marzipankarfoffel-Diätlingen, Lebkucheninhalierer und Weingeistvertreiber, sowie natürlich auch einige Damen, die sich geschickt vor dem Spiegel drehen, um ihr Hinterteil im schlanken Licht erscheinen zu lassen.
Die können natürlich nichts dafür, dass sich dieses Spaltprodukt in der Winterzeit so prächtig entwickelt hat, denn deren Standardaussage ist: "Ich esse doch schon gar nichts!"
Dieser Kreis der Spätstarter hat ein Mantra: "Was, im Dezember schon wieder die lange Runde laufen? Ich habe doch gerade aufgehört mich zu quälen und jetzt soll es schon wieder los gehen? Ich habe doch noch den ganzen Winter Zeit."
Denen ist keine Ausrede banal genug um sich nicht über lange Strecke "quälen" zu müssen. Aber diese Typen werden auch irgendwann wach, spätestens wenn die Frühlingssonne durch die Scheiben lugt. Dann fällt ihnen ein, dass es in zwei Monaten schon richtig zur Sache gehen soll.
Und dann geht es rein in die schnellsten Schuhe und es wird durch den Park "geballert", dass der Kies spritzt und Holger vor Ehrfurcht in seinem Regenerationstempo verharrt. Zweimal geht es gut und dann sucht sich "Kalle Zipperlein" eine Stelle in den unteren Extremitäten, in der er sich einnisten kann.
Achillessehne, Knie und auch "Shin Splints" = Knochenhautreizung im Unterschenkel werden immer wieder gerne genommen. Und wenn Kalle gut drauf ist, dann sucht er sich gleich zwei Nester, wo er wohlig quälen kann.
Der Betroffene verfällt dann in Apathie: "Ich hatte doch so viel vor und jetzt das." Die Zauderer und Zögerer machen schon gleich einen geistigen Strich und nehmen die Frühjahrssaison als Spaßveranstaltung und konzentrieren sich umgehend auf den Herbst.
Und diese Typen habe ich gefressen, wie ...- naja eigentlich bekomme ich sie noch einigermaßen runter, weil mir keine menschliche Schwäche unbekannt ist.
Aber wenn sie dann in Läuferkreisen ihre Sicht der Dinge verkünden, bekomme ich Ohrenschmerzen: "Ich war so drauf und hätte in diesem Frühjahr locker meine Halbmarathon-Bestzeit unterboten, wenn diese blöde Verletzung nicht gekommen wäre."
Da hat es doch der Fleißige gut. Jemand wie er, der schon früh mit der Umfangsvorbereitung anfing, kann locker eine zweiwöchige Verletzung oder Erkrankung wegstecken und trotzdem in der Hauptsaison exzellente Leistungen erzielen.
Zusammen gefasst heißt das mit anderen Worten: Ein Trainer kämpft immer an mehreren Fronten. Die einen müssen motiviert und die anderen in ihrem Ehrgeiz gebremst werden. Und ich sage dir, dieses Spiel verliere ich oft genug, weil sich meine Spielpartner die Karten aussuchen können.
Aber zu meinem und deinem Trost: Meistens geht es dennoch gut.