Es ist dir vielleicht bekannt, dass wir jetzt im November die meisten Bestellungen für Jahres-Trainingspläne erhalten. Das ist auch gut so, denn es ist der absolut beste Zeitpunkt mit so einem Plan zu starten, weil im November eine vierwöchige Regeneration in den Plänen läuft und im Dezember dann mit dem Grundlagentraining begonnen wird.
Dies ist ein Vorteil für den Athleten, der sich bisher meistens selbst oder nach irgendwelchen Standardplänen trainiert hat. Diese sind aber in der Regel nicht genau auf ihn zugeschnitten. Kommt er nun in ein anderes Programm, welches wie bei uns eine Jahresperiodisierung beinhaltet, ist es ideal wenn er jetzt in dieser Zeit, wo alles noch ruhig abläuft, in den Plan einsteigt.
So kann er sich langsam mit dem Plan entwickeln und wird nicht von Anfang an überlastet, denn wir erhöhen später ganz sachte den Umfang und die Intensität. Und bei dieser sind wir schon an dem kritischen Punkt angekommen. Wir steuern nämlich die Trainingszeiten nach der aktuell erzielten zehn-Kilometer Zeit. Vielfach ist es so, dass die Planbesteller aber gar nicht wissen, wie schnell sie auf zehn Kilometer laufen können.
Es ist aber kein Problem aus einer Halbmarathonzeit eine zehn-Kilometer Zeit zu ermitteln. Kritischer sieht das schon aus wenn nur eine Marathonzeit zur Verfügung steht, dann kann man die nötige Zeit nur ungenau ermitteln, weil die Marathonzeit auch eine psychische Komponente enthält. Es ist bekannt, dass sich einige Leute über 42,2 Kilometer bis zum Letzten quälen und damit eine im Vergleich zu ihrer zehn-Kilometer Zeit gute Endzeit erreichen.
Andererseits gibt es auch den Menschentyp, der versucht seinen Marathon durchzulaufen und sich dabei aber nicht bis zum Letzten verausgabt. Aus dieser, ich nenne es mal Bequemzeit, ist kaum eine realistische zehn-Kilometer Zeit zu errechnen.
Was macht nun der Mensch, von dem bei der Planbestellung unbedingt eine zehn-Kilometer Zeit verlangt wird? Er wird sich einschätzen, oft sehr gut, manchmal zu gut und ein anderer zu schlecht. Bei einer zu niedrig eingeschätzten zehn-Kilometer Zeit wird das Training dann nicht intensiv genug, was aber der Athlet in der Regel irgendwann merkt und dann seine Tempo-Steuerzeit anpassen lassen kann.
Bei dem Fall einer zu hoch eingeschätzten Möglichkeit über zehn Kilometer oder auch absichtlich angegebenen zu guten Zeit wird das wesentlich kritischer. Dies machen oft sehr ehrgeizige Leute, die sich erhoffen mit einem besonders intensiven Training vorwärts zu kommen. Das funktioniert am Anfang auch.
Wer aber im Dezember schon am Anschlag oder auch darüber trainiert, der wird zwar im Februar unter Umständen schon neue Bestzeiten erringen können. Das Problem ist nur das eine: Die mit hochintensiven Training und ohne Grundlagentraining vorbereitete Form ist nur sehr kurzlebig. Die fällt manchmal innerhalb von drei Wochen zusammen und der vorher strahlende Athlet ist nur noch ein Häufchen Elend.
Darum rate ich jedem Neueinsteiger, bei uns eine wirklich ehrliche und aktuelle zehn Kilometer Zeit anzugeben. Seine daraus resultierende Trainingszeiten sind dann so ausgelegt, dass er in der Regel um eine Minute bessere Zeit im Frühjahr erreichen kann. Das klappt in der Regel auch ganz hervorragend. Die meisten der von mir trainierten Athleten sind schon im April in der Lage 30 bis 60 Sekunden über zehn Kilometer und ein bis zwei Minuten im Halbmarathon schneller laufen zu können als vorher.
In dem jetzigen Zeitraum planen auch oft altgediente Clubmitglieder neue Ziele für das kommende Jahr. Die meisten davon sehr realistisch, andere aber auch mit völlig überzogenen Ideen von erwünschten Zeiten.
Es kommt zum Beispiel vor, dass jemand eine Tempo-Steuerzeit von 36 Minuten/10 km eingetragen haben möchte, obwohl er im vorausgegangenen Trainingsjahr noch über 38 Minuten lief. In so einem Fall weigere ich mich dann diesen Wunsch zu entsprechen. Und dann gibt es endlose Diskussionen mit dem Athleten, der immer und immer wieder betont und auch wirklich glaubt, dass er wenn er 36 Minuten erreichen will, auch das entsprechende Tempo dafür trainieren muss.
Damit hat er natürlich nicht Unrecht, nur kann er nicht diesen Schritt auf einmal machen, sondern muss die Leistungstreppe stufenweise nach oben gehen. D.h. erst muss er seine 38 Minuten unterbieten und anschließend in 30-Sekunden-Schritten seinem Ziel von 36 Minuten nähern.
Erst wenn ich ihm dann klar mache, dass er die 10.000 Meter-Tempoläufe Ende März dann in 38 Minuten laufen muss, was schneller ist als seine bisherige Bestzeit im Wettkampf, dann sehen auch diese besonders ehrgeizigen Menschen ein, dass der Weg über die Stufenentwicklung, der sichere und Erfolg versprechendere Weg ist.
Aber dennoch, so richtig zufrieden sind diese Läufer nicht mit mir in so einem Augenblick. Sie maulen dann im Hintergrund noch herum, weil sie das Gefühl haben, dass der Trainer nicht an sie glaubt. Dieser Gedanke ist natürlich falsch, denn meine Pflicht ist es jeden Läufer oder jede Läuferin vor Trainingsfehlern zu bewahren.
Auch wenn du nach eigenen Plänen trainierst, dann kann ich dir nur für diesen Winter raten: Wenn du den November hinter dir hast, dann ziehe deine Umfänge wieder nach oben und beginne schon im Dezember wieder mit Tempoläufen.
Nun wirst du dich fragen: "Jetzt soll ich schon wieder anfangen schnell zu laufen?" Ja, sollst du. Wir beginnen hier in Seesen und auch in den Club-Trainingsplänen schon seit Jahren den ersten Tempolauf im neuen Trainingsjahr mit einer scheinbar leichten Einheit und zwar: 20 mal 400 Meter im Marathonrenntempo mit jeweils 200 Meter extensiven Dauerlauf dazwischen.
Als ich diese Einheit das erste Mal eingeführt habe, wollten sich unsere Cracks kaputt lachen. Als sie dann aber diese Einheit absolviert hatten, waren sie müde wie selten. Diese Tempowechsel belasten und trainieren das zentrale Nervensystem. Und so ein Training ist dreimal wertvoller als eine lockere 15 Kilometer-Einheit im Wald.
Wenn du es noch hübscher haben willst, dann probiere einfach mal 40-mal 200 Meter im gleichen Tempo. Dann bist du anschließend nur noch ein Haufen Biomasse mit unkontrollierten Zuckungen. Aber ich kann dich trösten: Wenn du dann in Form bist, dann darfst du auch 18 Kilometer im Marathonrenntempo durchlaufen und dabei von den schönen Wintereinheiten träumen.