Der November ist für die Athleten ein Regenerationsmonat und für den Schreiber dieser Zeilen ein Fragemonat. Jetzt in dieser Zeit bestellen die meisten Läufer ihren Jahresplan bei uns. Und wenn dann der erste davon auf dem Tisch liegen, dann kommen dazu Fragen auf meinen Schreibtisch.
Die häufigst gestellte ist nach "Steigerungen". Und ich bin immer fassungslos über diesen Fragen. Werden heute im Sportunterricht keine Steigerungen mehr gelaufen? Oder meinen die Betroffenen das Greif-Steigerungen etwas anderes sind als die früher erlernten?
Wie auch immer, ehe ich die zwanzigste Mail und das dreißigste Telefongespräch wegen dieses Themas führe, wiederhole ich einen Artikel der schon zweimal im Newsletter stand. Es tut mir um meine Leser leid, denen ich diesen Text zum dritten Mal vorsetzen muss.
Keine Tempoläufe im November
Zurück nun zum November in denen die Tempoläufe vollständig gestrichen werden. Jede Einheit bleibt im aeroben Rahmen. Es gibt aber eine Ausnahme! Da sich die Schnelligkeit sehr viel rascher verflüchtigt als die Ausdauer, sollte unser Augenmerk ganz besonders auf diesen Punkt gerichtet sein.
Besonders wenn du schon deutlich über 40 Jahre alt bist, sollte dir eines klar werden: Ein junger Mensch kann seine verlorenen Schnellkraftfähigkeiten rasch wieder zurückholen, ganz anders aber bei jemand, der schon fünf Lebensjahrzehnte in den Beinen stecken hat. Bei diesen Läufer(innen) wirkt sich die Unachtsamkeit in Richtung Schnelligkeit fatal aus.
Es ist zwar möglich die Schnelligkeit später wieder zu trainieren, aber es bleibt immer ein Rest im Mülleimer des Lebens liegen. Dieser Müll sind die Synapsen, die Kontaktstellen zwischen Nerven- und anderen Zellen. Wenn du diese Synapsen nicht reizt ihre Arbeit zu tun, dann schlafen sie ein und sterben schließlich. Du hast damit ein Stück Fähigkeit verloren.
Wettkampfleistung mit Steigerungen sichern
Was solltest du also machen, um deine Schnellkraftfähigkeiten zu erhalten, ohne dafür hochintensive Tempoläufe dazu zu absolvieren? Du ahnst es sicher schon: Das Mittel der Wahl sind Steigerungen. Mit ihnen kannst du deine Wettkampfleistung sichern, ohne dafür eine Menge Ermüdungsstoffe wie Laktat zu produzieren.
Du wirst sicher einmal etwas von Steigerungen gehört haben. Bist du dir eigentlich sicher, dass du weißt, was eine Steigerung nun genau ist? Wenn ich so das Verhalten einiger im Training sehe und die Anfragen zu diesem Thema betrachte, dann liegt der Verdacht nahe, dass das kollektive Wissen der Läufergemeinschaft über Steigerungen ziemlich schwammig ist.
Was sind Steigerungen?
Grundsätzlich wird bei einer Steigerung aus einem Tempo X heraus die Geschwindigkeit gleichmäßig bis zu einem Tempo Y erhöht. Das dies so ist, weiß so ziemlich jeder, der schon einmal einen Sportplatz vom Rasen aus gesehen hat. Damit erschöpfen sich aber die Gemeinsamkeiten. Die Damen und Herren aus dem oberen Leistungsbereich kennen meist nur eine Form der Tempoprogression, das ist die deutsche Brachialsteigerung. Diese wird immer dann eingesetzt, wenn mehrere Läufer(innen) gemeinsam starten.
Das sieht dann so aus: Nach dem Startkommando und einigen Metern einer behutsamen Tempoerhöhung dreht einer der Herren (immer die!) so richtig auf und holt durch einen kraftvollen Antritt ein paar Meter raus. Alle anderen "knallen" hinterher und aus der Steigerung wird ein Sprint bis zum festgelegten Ziel. Der Sieger, meist einer der sonst beim Tempolauf die eigenen Überrundungen zählt, streckt die Faust in die Luft und sieht sich triumphierend um.
Leicht-Steigerung
Alles menschlich und auch kein Problem. Aber es geht auch anders! Ich möchte dir heute mit der Leicht-Steigerung eine Trainingsform vorstellen, die du gerade jetzt in dieser Jahreszeit einsetzen solltest. Diese Übung dient besonders in der augenblicklichen Regenerationszeit dazu deine Schnelligkeit zu erhalten.
Schnelligkeit geht in Phasen der relativen Ruhe deutlich rascher verloren als die Ausdauer. Besonders ältere Läufer(innen) sollten tunlichst dafür sorgen ihren "Speed" zu erhalten.
Gerade Steigerungen sind ideal zur Erhaltung dieser Fähigkeit. Nun ist es aber nicht so, dass wir nur einen einzigen Tempobereich erhalten müssen, sondern es ist die ganze Bandbreite an Geschwindigkeiten in der wir Wettkämpfe laufen. Als Erinnerungsreiz an unseren Organismus sollte darum bei einer Steigerung auch alle diese Tempobereiche angesprochen werden. Es nützt dir wenig, wenn du schon nach wenigen Metern Steigerung im Sprintbereich bist. Das ist zur jetzigen Zeit auch völlig unerwünscht, weil du so in den anaeroben Bereich hinein laufen wirst.
Wie laufe ich eine Leicht-Steigerung?
Dazu gehst du folgendermaßen vor: Du suchst dir auf deiner Trainingsstrecke mehrere etwa 100 m lange Abschnitte aus, die ganz leicht abfallen. Du legst jeweils Start und Ziel fest. Aus deinem ganz normalen Trainingstempo beginnst du dich zu steigern, dies aber mit einer möglichst exakten Gleichmäßigkeit. Wenn du dein Tempo grafisch auftragen würdest, sollte dabei eine schnurgerade Linie heraus kommen. Visualisiere das vorher unbedingt! Am Ziel sollte deine Geschwindigkeit nur wenig höher sein, als das schnellste von dir angestrebte Wettkampftempo auf deiner kürzesten Wettkampfstrecke. Vermeide es unbedingt länger als 10 m im Sprinttempo zu laufen.
Hast du den Zielpunkt überlaufen, dann behältst du die Knie oben und trudelst noch 10 m aus, bis du wieder in deinem gewohnten Dauerlauftempo liegst und läufst dann in deiner gewohnten Technik weiter.
Technik der Leicht-Steigerung
Apropos Technik: Laufe die gesamte Steigerungen nach Möglichkeit auf dem Fußballen, wenn du es so nicht kannst, nimmst du wenigstens den Mittelfußaufsatz. Schaue dir einmal unsere Highspeed-Videofilme zur Laufanalyse an, die wir von Läufer(innen) in diesem Jahr gedreht haben.
Nimm dir den Fußaufsatz von der Spalte „Unterschenkel schnell“ als Vorbild für den Mittelfußaufsatz. Diese Stilproben sind im Halbmarathon-Renntempo gelaufen und nicht bei Steigerungen. Wenn noch schneller gelaufen wäre, würde sich der Auftritt mit zunehmenden Tempo nach vorne verschieben.
Ganz wichtig ist, dass du die Kompression der Mittel-Fußsohle betrachtest. Hier kannst Du genau sehen welche Belastung auf sie zukommt. Meistens ist es genau im Mittelfußbereich. Du siehst auch, das da, wo bei vielen Laufschuhen in der Ferse eine Extraverstärkung eingebaut wird, oft gar keine Kompression der Mittelsohle auftritt.
Quintessenz der Highspeed-Videos
Gerade gestern am 21. November 12 hat mich ein Greif-Club-Mitglied gefragt: "Was ist denn eigentlich die Quintessenz aus diesen Video-Aufnahmen?" Tja, dachte ich, das hättest du schreiben sollen, denn nicht alle Leser unseres Läufer-Blogs sind erfahrene Läufer.
Ich hole das hiermit nach: Wir wissen alle, dass ein Fersenaufsatz nicht gut für den optimalen Bewegungsablauf ist. Er ist immer eine Bremse für die Vorwärtsbewegung. Es hat sich aber gezeigt bei diesen High-Speed-Videoaufnahmen, dass der Fußaufsatz mit zunehmendem Tempo immer weiter über den Mittelfuß- bis zum Ballenaufsatz nach vorne wandert.
Die Quintessenz daraus ist: Du musst nicht mit langwierigen Technikübungen versuchen einen Mittelfußaufsatz hinzubekommen. Dieser entwickelt sich allein durch ein erhöhtes Trainings-und Wettkampftempo.
So müssen wir uns keine großen Gedanken machen über den Fußaufsatz, sondern eigentlich nur unser ursächliches Ziel des schnelleren Laufens anstreben.
Du bekommst das am besten hin, wenn du am Ende nicht die Frequenz erhöhst, sondern deine Schrittlänge maximal ausnutzt. Damit hast du dann auch noch einen zusätzlichen Krafttrainings-Effekt. Nach dieser eingeschobenen Übung fällst du sofort in dein normales Dauerlauftempo zurück und bereitest dich auf die nächste Steigerung einige km weiter vor.
Leicht-Steigerung auf einem leichten Gefälle laufen
Warum nun aber soll eine Leicht-Steigerung auf einem leichten Gefälle gelaufen werden? Der Grund ist, dass du dir in der jetzigen Regenerationszeit Schonung auferlegen solltest. Auf einem leichten Gefälle setzt du den Tempoerhaltensreiz durch die Steigerung mit weniger Kraftaufwand, als auf einer Geraden oder gar auf einer Steigung.
Solche leichten Gefälle findest du auch im Flachland z.B. im Verlauf eines Bach-/Flusslaufs auf parallel laufenden Wegen oder hinter einer Brücke herab. Hüte dich aber vor Gefällen von über 5%! Gerade der geforderte lange Schritt und starkes Gefälle sind prächtige Knorpelkiller.
Wenn du auf deiner Runde 3 - 5 Abschnitte gefunden hast, auf denen du deine Steigerungen absolvierst, ist das schon genug um deine Tempofähigkeiten zu erhalten. Setze dieses Training 2-, 3-mal in der Woche ein.
Noch einmal im Klartext: 3 Mal wöchentlich je 50 bis 100 Meter Steigerungen. Fange mit den 50 Meter Steigerungen am Anfang der Regeneration an und verlängere sie langsam bis 100 Meter zum Ende hin. Du wirst sehen, es wird dir Spaß machen und deine Muskeln danken es dir.