Der nachfolgende Text über Bergtraining muss schon deutlich mehr als zehn Jahre alt sein. Ganz genau kann ich das nicht mehr sagen, aber
meine Frau und ich weilten in Südafrika und machten dort eine Rundreise mit dem Auto. Wir hatten schon viele Kilometer hinter uns, als
wir in Kapstadt eintrafen.
Diese Stadt hat uns begeistert. Die schönste Großstadt, die wir kennen. Gartenhäuser fast bis in die Stadtmitte und ein unglaubliches
Panorama. Besonders der 1076 m hohe Tafelberg hatte es mir angetan.
Ein fast senkrecht ansteigender Felsklotz verbreitete den Anschein der Unbesteigbarkeit. Schon bei der Ankunft am Abend war klar: "Da
rennst du hoch und wenn du platzt." Ich hatte den Gedanken noch gar nicht ausgedacht, da zweifelte ich schon an der Machbarkeit.
Am nächsten Morgen erwischten wir einen absoluten Traumtag im spätherbstlichen Kapstadt. Sonnig, windstill, warm und klar. Wir fuhren
zunächst erst einmal mit der Seilbahn nach oben und waren völlig verzaubert von dem Panorama. Unglaublich die Sicht, niemand sollte
sterben, ohne einmal von dort oben heruntergeschaut zu haben.
Mir aber kribbelten außer den Augen auch noch die Füße. Irgendwie muß ich das Ding packen. Von oben sah ich einige Pfade, die zum Einstieg
in den Aufstieg reizten. Einige Wanderer, denen ich begegnete, fragte ich nach der Aufstiegsmöglichkeit.
Die Kurzbeschreibung bestätigte die Möglichkeit, die Sache läuferisch anzugehen. Man kann dies nur über die Rückseite bewerkstelligen, auf
der Vorderseite ist es nur mit Klettern möglich.
Um 14:30 machte ich mich an den Start. 17:30 Uhr ca. war der Sonnenuntergang und um 18 Uhr fuhr die letzte Seilbahn. Kein Problem, dachte
ich. Es ging auch ganz moderat los. Im unteren Bereich noch befahrbare Schotterwege.
Irgendwie war das aber doch komisch, jeder Wanderer, den ich unterwegs fragte, bestätigte mir, daß ich auf dem richtigen Wege war, den
Tafelberg zu erklimmen, aber alle schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, daß ich es laufenderweise und zu der Uhrzeit versuchen wollte.
Ich dachte: "Die spinnen, die Südafrikaner, in 3 Stunden läufst du mehr als 2000 m hoch."
Naja, bald war es mit dem Fahrweg zu Ende und ein Pfad begann, zu dem im Vergleich die Wege auf den Sertigpaß in Davos geradezu ein Highway
sind. Ich mußte mich durch den Busch winden, mit den Händen hochziehen und auf loses Gestein achten. Darauf folgte ein Abschnitt, bei dem
jeder Fehltritt den Eintritt in das Reich der Engel bedeutete.
Aber nun kamen beim Peter die Adrenaline durch: "Jetzt erst recht, es wird gelaufen und du schaust nicht nach unten. Dieser waagerechte
Streckenabschnitt endet in ein ganz "leckeres" Stück Pfad: 200 Höhenmeter steil nach oben.
Nun ist es mit dem Laufen vorbei, jetzt muß ich gehen, teils auf allen Vieren. Gute 500 m hoch, dann eine Zwischenebene. Jetzt erst wird mir
klar, dass ich zwar nach oben gekommen bin, mich aber dabei vom Gipfel entfernt hatte.
Macht nichts, mit frischem Mut weiter durch den hüfthohen Busch. Nun wieder laufend. Plötzlich stehe ich vor einem Felsenklotz, an dem mein
Weg endet. "Oh Sch...., jetzt hast du den Weg verloren! Was jetzt? Drüber über die Felsen, wenn du oben bist, findest du den Pfad wieder."
Die Freeklimbing-Einlage beginnt. Stufe um Stufe geht es nach oben, zwischendurch muß ich runter zwischen die Felsen, um diese zu überbrücken.
Zum Glück erweisen sich meinen Brooks Radius als absolut ideal in diesem Gelände. (Auch heute, im Januar 2016, weine ich diesem Schuh nach.
Seine Sohle war damals wie eine Bärentatze geformt und passte sich jedem Gelände an.)
Aber bald ist es vorbei mit dem Laufen. Ich springe, hangele, drücke und bin schließlich oben und sehe auch glücklich wieder den Pfad in die
gedachte Richtung. Nun geht der ganze Spaß aber wieder von vorn los. Und zwar durch die Felsen abwärts; und das kostet Zeit.
15 Uhr, erst 500 m, so langsam wird mir doch ein bißchen schwummerig. Wieder auf dem Pfad geht es ganz gut vorwärts, nun bin ich schon auf
600 m. Au Backe, vor mir eine Schlucht. "Das kann doch nicht sein, dass du da runter musst?!"
Es muss sein, feuchter Schatten umgibt mich, die Sonne steht jetzt schon so tief, daß sie hier nicht mehr eindringt. 30 min später bin ich
wieder auf 600 m. So langsam bekomme ich die Krise. Rauf geht es, mein Höhenmesser zeigt 700 m an.
"Ich glaube, ich kriege einen Klaps!" Vor mir der nächste Abgrund. So langsam wird mir klar, worauf ich mich eingelassen hatte. Wenn ich die
letzte Bahn nicht erwische, dann komme ich in eine lebensbedrohliche Situation.
In der Dunkelheit kann man sich in diesem Gelände nicht bewegen, ich müßte die Nacht hier oben verbringen. Nur kurze Hose, T-Shirt und eine
Classic-Jacke dabei, das kann ja heiter werden. Es gibt kein Haus, keine Hütte und kein Mensch wohnt hier oben. Ein Glück ist nur, daß ich
mich in bester Kondition befinde. Dennoch schießen Stresshormone durch meine Blutgefäße.
Und die Zeit schwindet. Die Wegweiser unterwegs zeigen in alle Richtungen, nur nicht zur Seilbahnstaion. "Bin ich überhaupt auf dem richtigen
Weg?" Über Leitern geht es jetzt nach oben. Die Hoffnung ist groß, dort etwas zu sehen. Auf dem nächsten Absatz wieder keine Seilbahnstation
in Sicht.
Vor mir abermals eine Schlucht. "Alter Schwede, jetzt wird die Sache aber langsam heiß." Als ich unten bin, heult eine Sirene. Mir ist
blitzartig klar, daß es das Signal der Seilbahnstation ist, welches zur letzten Abfahrt ruft.
Jetzt hilft nichts mehr, ran an die Reserven. Runter in die Schlucht und wieder rauf. Auf dem Absatz angekommen, trifft mich die untergehende
Sonne waagerecht von vorn. "Verfluchter Mist, du siehst nichts mehr."
Ich kann mich nur noch vorwärts tasten, auch auf flachen Stücken ist ein Laufen nicht mehr möglich. Wieder ruft die Sirene, kürzer dringlicher.
Es ist 17:35 als mir klar wird: "Wenn du in eine weitere Schlucht mußt, dann schaffst du es nicht mehr."
So langsam packt mich die Panik. Zum ersten Mal stolpere ich. "Bleib ganz ruhig, es ist noch Zeit!. 17:35 Uhr, wie weit kann es noch sein? Aus
dem Heulen der Sirene versuche ich die Entfernung zur Seilbahnstation abzuschätzen. Aber je nach dem, ob ich mich nun zwischen den Felsen oder
im Busch befinde, klingt ihr Rufen nah oder fern.
Verzweifelt schaue ich wieder auf zwei Leitern, die mich nach oben führen sollen. Und das Klettern nach oben zieht rein in die Muskeln. Ich
komme mir vor wie im Marathon-Endkampf. Nur wußte ich dort immer, wie weit ich vom Ziel entfernt war.
Hier am Tafelberg aber war mir nur eins klar: Du mußt in den nächsten 15 min an der Seilbahnstation sein, sonst liegst du morgen früh entweder
1000 m tiefer in Einzelteilen am Fuß dieses Felsmonuments oder du bist schlicht und ergreifend erfroren.
Danach war mir in diesem Augenblick nun nicht gerade zumute, im Gegenteil, der Schweiß lief in Strömen und ich fand mich wiederum von drei Seiten
mit Felsen eingekesselt.
Als ich gerade mal wieder das schlimme Wort mit "Sch" herausschreie, sehe ich einen Wegweiser. "Hier warst du heute morgen schon einmal, fährt
es mir durch den Kopf. Sofort fügen sich die Fragmente zusammen, und ich weiß, daß ich nur noch 10 m zu steigen habe, um oben auf dem Plateau
zu sein.
Dort sehe ich sofort die Seilbahnstation und wieder ruft die Sirene, nun im Stakkato. Hektisch rennend, laufe ich in Richtung der Alarmanlage.
Jetzt sind auch schon die ersten Leute erreicht, die im Gegensatz zu mir ganz gemächlich der letzten Abfahrtsmöglichkeit entgegenstreben. Als
ich in das Gebäude der Seilbahn hineinhaste und auf die Uhr schaue, ist es erst 17:50.
Geschafft, denke ich! Habe ich gleich gewußt, daß ich pünktlich dort sein werde und weiß im gleichen Moment doch, welcher Gefahr ich mich
ausgesetzt hatte. Dieser Lauf hätte auch anders ausgehen können. Wie sehr mich die Sache körperlich mitgenommen hatte, merkte ich erst in den
Tagen danach. Mir war es nicht möglich, am folgenden Tag auch nur einen Schritt zu laufen.
Falls du auch einmal eine Südafrika-Tour machen möchtest, um dabei den Tafelberg zu Fuß zu erklimmen, dann nimm dir mindestens 5 Stunden Zeit.
Diese Zeilen schreibe ich im Übrigen ein paar Kilometer entfernt von den Viktoriafällen in Zimbabwe und schaue von meinem Zimmer direkt auf den
Sambesi. Aber bitte nicht neidisch sein, wir haben mit einem Safari-Bus mehr als 3000 km hinter uns.
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