Es lässt sich gar icht so genau definieren, wann der Begriff „Natural Running“ zum bewegenden Impuls in der Laufszene wurde. Etwa seit 2 Jahren spüren wir ihn jedoch in der Nachfrage sehr deutlich. Das Buch "Born to run" hat gewiss zumindest in Deutschland einen entscheidenden Beitrag geleistet, um das Bewusstsein vieler Läufer zu öffnen. Bereits in unserem Newsletter vom 03.05.2011 Barfußlaufen mit "Leguano" befassten wir uns erstmals mit der Thematik "Natural Running".
Heute geht es im Beitrag nicht um das Für und Wider von Natural-Running Schuhen. Darüber wurde in der Vergangenheit kontrovers und viel geschrieben, so dass es letztendlich sowieso jeder für sich entscheidet, ob er anders als bisher laufen möchte oder nicht und dazu andere Schuhe verwendet.
Um es vorweg zu nehmen: Es hat sich auf dem Markt dafür geeigneter Produkte für die Füße seitdem sehr viel getan. Und dennoch hat die Entwicklung eigentlich gerade erst begonnen. Inzwischen liegen wesentlich breitere Erfahrungswerte von einer großen Zahl Läufer vor, die die Umstellung vom herkömmlichen Laufen hin zu dem ursprünglich von der Natur für uns vorgesehenen Laufstil bereits hinter sich hat.
Was ist in diesen gut 2 Jahren passiert? Und lassen sich aufgrund der Erfahrungswerte auf breiterer Grundlage als früher Empfehlungen für alle Interessierten geben?
Zunächst stoßen wir an lustige sprachliche Herausforderungen. Die Industrie bietet inzwischen viele Modelle, die wir oft umständlich und in sich widersinnig als "Barfußschuhe" bezeichnen. Uns fehlt im deutschen Sprachgebrauch einfach ein umgänglicher Begriff für eine Art Schutzbekleidung für die Füße, die einen möglichst natürlichen Laufstil zulassen und dennoch die Fußsohlen vor Verletzungen moderner Wegverläufe schützen. Nicht beeinflusst von Schuhmodellen mit zum Teil extremen orthopädischen Eigenschaften, wodurch man das Endprodukt getrost als "Gehhilfe" oder auch "Klotz am Bein" bezeichnen kann.
Anfangs war seitens der Nachfrage der Läufer ein klarer Trend hin zu federleichtem Minimalismus zu beobachten. Die Idee dahinter, wirklich wie barfuss zu laufen und trotzdem auf einen Schutz der Fußsohle durch ein geeignetes Produkt vertrauen zu können. In historisch natürlicher Umgebung traf der Mensch wohl kaum auf asphaltierte Wege mit Glasscherben oder auf geschotterte Feldwege. Deshalb sollte das Produkt so wenig Material wie möglich verkörpern und dennoch die Fußsohle vorm Laufalltag der modernen Welt schützen.
Der Vorteil dieser Methode ist, dass der Läufer so technisch unbeeinflusst wie nur möglich das Laufen mit Aufsatz auf dem Mittel-/ Vorfuß und den daraus folgenden ganz anderen Bewegungsablauf zulässt, bzw. wieder trainieren kann. Als Kinder konnten wir das schließlich alle mal. Je mehr Schuh am Fuß ist, und sei er noch so flexibel, je mehr wird die natürliche Bewegung zumindest beeinflusst.
Tja, und dann erlebten viele Läufer den harten Alltag: Bei manchen, bei mir selbst auch erheblich, stellten sich nach dem Training stahlharte Waden ein. Mehrere Läufer berichten von punktuellen starken Schmerzen in der Wadenmuskulatur, die zu einem Trainingsausfall von 7-10 Tagen führten. Das Dilemma konnte sich sogar wiederholen, so dass bei manchen ein immer wieder unterbrochener Saisonverlauf die Folge war.
Die Kritiker des Natural Running fühlten sich in vollem Umfang bestätigt. "Hab ich doch gesagt", schlaumeierte es in der Folge. Wobei ja völlig klar ist, woher die Probleme gekommen sind.
Die muskulären Anlagen zum eigentlich natürlichen Laufstil sind in uns allen vorhanden. Das zivilisierte Leben auf dem Bürostuhl, abgewechselt mit dem Sofa und gepaart mit schicken, aber teils bedenklichen Alltagsschuhen ließen diese Anlagen jedoch völlig verkümmern.
Auch jahrelanges Lauftraining in herkömmlichem Schuhwerk schützt vor der Notwendigkeit der Anpassung nicht, da der Bewegungsablauf und damit die muskuläre Beanspruchung in einem anderen Laufstil nun einmal unterschiedlich ist.
Das bedeutet, wir müssen die Phase der Umstellung wie den Gang ins Fitness-Studio verstehen, wo wir bei unseren ersten Besuchen selbstverständlich erst einmal leichtere Gewichte auflegen.
Wir würden diese Vorgehensweise dort niemals anzweifeln. Beim Laufen in ungedämpften und flexiblen "Schuhen" erwarten jedoch viele Läufer gleich vom ersten Tag an die "dicken" Gewichte drücken zu können, also die relativ weite Strecke zu laufen.
Die Nachfrage nach den extrem minimalistischen Modellen ging dann auch bald spürbar zurück. Findet nun eine Rückentwicklung zu hochgradig gedämpften Laufschuhen statt? Wir sehen sie definitiv nicht! Auf den Markt schwemmen nun jedoch eine Vielzahl von superleichten, flexiblen und dennoch gedämpften Schuhen, die Beachtung finden sollten. Auch für Läufer, für die "Natural Running" nicht der Kern ihres Interesses ist. Diese Modelle haben zudem eine sehr geringe "Sprengung" von 0 bis höchstens 4 - 6 mm.
Hinten ist der traditionelle Laufschuh gegenüber vorn immer etwas höher. Bei herkömmlichen Modellen 12 bis manchmal 16 mm und mehr. Gepaart mit einer relativ steifen Sohle ist mit einem solchen Schuh ein flüssiger Lauf auf dem Mittel-/Vorfuß nicht vernünftig möglich. Neugierigen Läufern können wir deshalb nur abraten, diesen Laufstil in einem konservativen Laufschuh zu probieren. Es verfälscht einfach ganz erheblich das Bild dieser Methode.
Am Natural Running interessierte Läufer finden nun 2 Gruppen an "Fußbekleidung" vor, die für sie anwendbar sind.
Nach wie vor die extrem minimalistischen Modelle wie die Five Fingers und die Leguanos oder andere. Darüber hinaus eine zahlenmäßig größere Auswahl an superleichten und flexiblen Laufschuhen, die noch über eine leichte Dämpfung, jedoch eine sehr geringe Sprengung verfügen. Wie soll man sich hier entscheiden?
Meine Empfehlung ist diese: Wenn du aus gesundheitlichen oder leistungssportlich motivierten Gründen weg von schwer gedämpften Luxustretern willst, um deine Laufwerkzeuge effizient so zu nutzen, wie sie eigentlich geschaffen sind, dann gehe vor wie folgt.
- Wähle die extrem minimalistische Variante wie Five Fingers oder Leguanos.
- Laufe damit deinen persönlichen Voraussetzungen entsprechend zunächst nur einige hundert Meter am Stück und steigere Dich sehr vorsichtig!!
- Dehne ab sofort mehrfach täglich deine Waden im oberen und unteren Bereich!
Diese Empfehlung ist in den 3 Punkten unbedingt und ausnahmslos als untrennbar anzusehen!
Der Hauptgrund ist dieser: Mit jedem Stück Dämpfung wird dein Abrollverhalten zumindest ein wenig beeinflusst. Du kannst dich bei jedem Fußaufsatz auf dem Untergrund auf die mehr oder weniger schützende und dämpfende Sohle verlassen. Das verringert die Notwendigkeit eines eigenen sensitiven Laufens. Je mehr dein Schuh dämpft, je mehr kannst du dich zumindest unbewusst in jeden Schritt hineinfallen lassen. Wenn also eine Anpassung durch Umstellung von dir gewünscht ist, dann auch richtig, aber sehr vorsichtig!
Diese kurzen Läufe baust Du maßvoll mehrmals pro Woche in dein Training ein. Nach einem dich ansonsten nicht stark belastenden Trainingslauf bist du gut aufgewärmt. Du ziehst dann deine Minimal-"Schuhe" an und joggst noch eine kurze Runde damit. Vermeide zunächst Asphalt, obwohl dieser sehr viel später kein größeres Problem sein wird.
Solltest Du bisher Wenigläufer sein und/oder Übergewicht haben, starte sogar unbedingt auf eher weichem Untergrund. Ein Rasenplatz oder auch maximal auf der Kunststoffbahn des Sportplatzes. Und steigere insbesondere du dich nur vorsichtig, aber dafür umso nachhaltiger!
Verwende zusätzlich einen Schuh aus der sanfteren Gruppe der superleichten flexiblen Modelle, mit denen Du dann von Beginn an etwas mehr Kilometer laufen kannst.
Auch dann möchte ich dir eine Empfehlung geben. Die hochflexiblen und sehr leichten Schuhe mit etwas Dämpfung können von fast jedem Läufer getragen werden, der sowieso Wettkampfschuhe trägt und keine Einlagen benötigt. Diese Modelle bieten in den meisten Fällen mindestens die gleiche Dämpfungsmenge wie ein herkömmlicher Rennschuh. Es "rollt" sich bloß spürbar anders mit ihnen, was aber in der Regel als sehr positiv empfunden wird.
Insbesondere der Brooks Connect wurde in diesem Zusammenhang auch von Läufern hochgelobt, die mit Natural Running nichts am Hut haben aber ihn einfach mal probierten. Wer also bisher ebenfalls mit sehr leichten Laufschuhen unterwegs ist, hat eine echte Bereicherung im Sortiment, wenn er es mal um einen solchen Schuh erweitert.
Abschließend möchte ich noch von einer beeindruckenden Selbsterfahrung bei einer Händlerfortbildung berichten:
Ein externer Sportwissenschaftler ließ uns folgende Übung absolvieren: Auf einem Betonuntergrund trugen wir "normale" Laufschuhe und sollten locker auf der Stelle hüpfen. Ohne weitere Anweisung setzte das jeder von uns so um, wie man nun einmal auf der Stelle hüpft. Man drückt sich mit dem vorderen Fußbereich in die Höhe und setzt auch wieder dort im Ballenbereich auf. Je nach persönlicher Kraft kann das ein Jeder locker federnd ziemlich lange so tun.
Dann kam vom Wissenschaftler die Anweisung: "Jetzt verlasst euch auf die Leistung der Kunststoff verarbeitenden Industrie. Setzt jetzt bei durchgedrückten Knien mit der Ferse auf."
Aus einer Höhe von nur wenigen cm schlugen wir auf der Ferse auf. Der Schlag des harten Aufsatzes, welcher vom luxuriösen Dämpfungselement des Laufschuhs in der Ferse eigentlich abgedämpft werden sollte, knallte uns allen bis in den Schädel. Was für ein Aha-Erlebnis! Die Dämpfungsleistung des Schuhs ist also faktisch geringfügig?
Warum tut denn der Aufsatz aus 20 cm Höhe auf der Ferse weh und wieso ist das beim Laufen selbst in hohem Tempo nicht so? Die Antwort erkennt jeder selbst: Das dynamische Zusammenwirken von Gelenken und Muskeln leistet im Bewegungsablauf offensichtlich die Hauptleistung der Dämpfung, nicht der Schuh. Wenn das so ist darf in Frage gestellt werden, wie viel offenbar unnützes dämpfendes Material des Schuhs verzichtbar ist.